Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

ruhr geriet, z. B. bei der Insel Barbados, die über 5400 km
von der Küste von Portugal liegt.

Verschiedene Thatsachen weisen darauf hin, daß die Erd-
beben und die vulkanischen Ausbrüche 1 in engem ursachlichen
Zusammenhang stehen. In Pasto hörten wir, die schwarze
dicke Rauchsäule, die im Jahre 1797 seit mehreren Monaten
dem Vulkan in der Nähe dieser Stadt entstiegen war, sei zur
selben Stunde verschwunden, wo 270 km gegen Süd die
Städte Riobamba, Hambato und Tacunga durch einen unge-
heuren Stoß über den Haufen geworfen wurden. Setzt man
sich im Inneren eines brennenden Kraters neben die Hügel,
die sich durch die Schlacken- und Aschenauswürfe bilden, so
fühlt man mehrere Sekunden vor jedem einzelnen Ausbruch
die Bewegung des Bodens. Wir haben dies im Jahre 1805
auf dem Vesuv beobachtet, während der Berg glühende Schlacken
auswarf; wir waren im Jahre 1802 Zeugen desselben Vor-
ganges gewesen, als wir am Rande des ungeheuren Kraters
des Pichincha standen, aus dem übrigens eben nur schweflig
saure Dämpfe aufstiegen.

Alles weist darauf hin, daß das eigentlich Wirksame
bei den Erdbeben darin besteht, daß elastische Flüssigkeiten
einen Ausweg suchen, um sich in der Luft zu verbreiten. An
den Küsten der Südsee pflanzt sich diese Wirkung oft fast

Ich gestehe, wenn die Erdstöße nicht gleichzeitig sind, oder doch kurz
nacheinander erfolgen, so erscheint die angebliche Fortpflanzung der
Bewegung sehr zweifelhaft.
1 Dieser ursachliche Zusammenhang, den schon die Alten er-
kannten, beschäftigte die Geister nach der Entdeckung von Amerika
wieder sehr lebhaft. Diese Entdeckung vergnügte nicht allein die
Neugier der Menschen durch neue Naturprodukte, sie erweiterte auch
ihre Vorstellungen von der physischen Beschaffenheit der Länder,
von den Spielarten des Menschengeschlechtes und von den Wande-
rungen der Völker. Man kann die Beschreibungen der ältesten
spanischen Reisenden, namentlich die des Jesuiten Acosta, nicht
lesen, ohne jeden Augenblick freudig zu staunen, wie mächtig der
Anblick eines großen Festlandes, die Betrachtung einer wunder-
vollen Natur und die Berührung mit Menschen von anderer Rasse
auf die Geistesentwickelung in Europa gewirkt haben. Der Keim
sehr vieler physikalischer Wahrheiten ist in den Schriften des
16. Jahrhunderts niedergelegt, und dieser Keim hätte Früchte ge-
tragen, wäre er nicht durch Fanatismus und Aberglauben erstickt
worden.

ruhr geriet, z. B. bei der Inſel Barbados, die über 5400 km
von der Küſte von Portugal liegt.

Verſchiedene Thatſachen weiſen darauf hin, daß die Erd-
beben und die vulkaniſchen Ausbrüche 1 in engem urſachlichen
Zuſammenhang ſtehen. In Paſto hörten wir, die ſchwarze
dicke Rauchſäule, die im Jahre 1797 ſeit mehreren Monaten
dem Vulkan in der Nähe dieſer Stadt entſtiegen war, ſei zur
ſelben Stunde verſchwunden, wo 270 km gegen Süd die
Städte Riobamba, Hambato und Tacunga durch einen unge-
heuren Stoß über den Haufen geworfen wurden. Setzt man
ſich im Inneren eines brennenden Kraters neben die Hügel,
die ſich durch die Schlacken- und Aſchenauswürfe bilden, ſo
fühlt man mehrere Sekunden vor jedem einzelnen Ausbruch
die Bewegung des Bodens. Wir haben dies im Jahre 1805
auf dem Veſuv beobachtet, während der Berg glühende Schlacken
auswarf; wir waren im Jahre 1802 Zeugen desſelben Vor-
ganges geweſen, als wir am Rande des ungeheuren Kraters
des Pichincha ſtanden, aus dem übrigens eben nur ſchweflig
ſaure Dämpfe aufſtiegen.

Alles weiſt darauf hin, daß das eigentlich Wirkſame
bei den Erdbeben darin beſteht, daß elaſtiſche Flüſſigkeiten
einen Ausweg ſuchen, um ſich in der Luft zu verbreiten. An
den Küſten der Südſee pflanzt ſich dieſe Wirkung oft faſt

Ich geſtehe, wenn die Erdſtöße nicht gleichzeitig ſind, oder doch kurz
nacheinander erfolgen, ſo erſcheint die angebliche Fortpflanzung der
Bewegung ſehr zweifelhaft.
1 Dieſer urſachliche Zuſammenhang, den ſchon die Alten er-
kannten, beſchäftigte die Geiſter nach der Entdeckung von Amerika
wieder ſehr lebhaft. Dieſe Entdeckung vergnügte nicht allein die
Neugier der Menſchen durch neue Naturprodukte, ſie erweiterte auch
ihre Vorſtellungen von der phyſiſchen Beſchaffenheit der Länder,
von den Spielarten des Menſchengeſchlechtes und von den Wande-
rungen der Völker. Man kann die Beſchreibungen der älteſten
ſpaniſchen Reiſenden, namentlich die des Jeſuiten Acoſta, nicht
leſen, ohne jeden Augenblick freudig zu ſtaunen, wie mächtig der
Anblick eines großen Feſtlandes, die Betrachtung einer wunder-
vollen Natur und die Berührung mit Menſchen von anderer Raſſe
auf die Geiſtesentwickelung in Europa gewirkt haben. Der Keim
ſehr vieler phyſikaliſcher Wahrheiten iſt in den Schriften des
16. Jahrhunderts niedergelegt, und dieſer Keim hätte Früchte ge-
tragen, wäre er nicht durch Fanatismus und Aberglauben erſtickt
worden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0197" n="181"/>
ruhr geriet, z. B. bei der In&#x017F;el Barbados, die über 5400 <hi rendition="#aq">km</hi><lb/>
von der Kü&#x017F;te von Portugal liegt.</p><lb/>
          <p>Ver&#x017F;chiedene That&#x017F;achen wei&#x017F;en darauf hin, daß die Erd-<lb/>
beben und die vulkani&#x017F;chen Ausbrüche <note place="foot" n="1">Die&#x017F;er ur&#x017F;achliche Zu&#x017F;ammenhang, den &#x017F;chon die Alten er-<lb/>
kannten, be&#x017F;chäftigte die Gei&#x017F;ter nach der Entdeckung von Amerika<lb/>
wieder &#x017F;ehr lebhaft. Die&#x017F;e Entdeckung vergnügte nicht allein die<lb/>
Neugier der Men&#x017F;chen durch neue Naturprodukte, &#x017F;ie erweiterte auch<lb/>
ihre Vor&#x017F;tellungen von der phy&#x017F;i&#x017F;chen Be&#x017F;chaffenheit der Länder,<lb/>
von den Spielarten des Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechtes und von den Wande-<lb/>
rungen der Völker. Man kann die Be&#x017F;chreibungen der älte&#x017F;ten<lb/>
&#x017F;pani&#x017F;chen Rei&#x017F;enden, namentlich die des Je&#x017F;uiten Aco&#x017F;ta, nicht<lb/>
le&#x017F;en, ohne jeden Augenblick freudig zu &#x017F;taunen, wie mächtig der<lb/>
Anblick eines großen Fe&#x017F;tlandes, die Betrachtung einer wunder-<lb/>
vollen Natur und die Berührung mit Men&#x017F;chen von anderer Ra&#x017F;&#x017F;e<lb/>
auf die Gei&#x017F;tesentwickelung in Europa gewirkt haben. Der Keim<lb/>
&#x017F;ehr vieler phy&#x017F;ikali&#x017F;cher Wahrheiten i&#x017F;t in den Schriften des<lb/>
16. Jahrhunderts niedergelegt, und die&#x017F;er Keim hätte Früchte ge-<lb/>
tragen, wäre er nicht durch Fanatismus und Aberglauben er&#x017F;tickt<lb/>
worden.</note> in engem ur&#x017F;achlichen<lb/>
Zu&#x017F;ammenhang &#x017F;tehen. In Pa&#x017F;to hörten wir, die &#x017F;chwarze<lb/>
dicke Rauch&#x017F;äule, die im Jahre 1797 &#x017F;eit mehreren Monaten<lb/>
dem Vulkan in der Nähe die&#x017F;er Stadt ent&#x017F;tiegen war, &#x017F;ei zur<lb/>
&#x017F;elben Stunde ver&#x017F;chwunden, wo 270 <hi rendition="#aq">km</hi> gegen Süd die<lb/>
Städte Riobamba, Hambato und Tacunga durch einen unge-<lb/>
heuren Stoß über den Haufen geworfen wurden. Setzt man<lb/>
&#x017F;ich im Inneren eines brennenden Kraters neben die Hügel,<lb/>
die &#x017F;ich durch die Schlacken- und A&#x017F;chenauswürfe bilden, &#x017F;o<lb/>
fühlt man mehrere Sekunden vor jedem einzelnen Ausbruch<lb/>
die Bewegung des Bodens. Wir haben dies im Jahre 1805<lb/>
auf dem Ve&#x017F;uv beobachtet, während der Berg glühende Schlacken<lb/>
auswarf; wir waren im Jahre 1802 Zeugen des&#x017F;elben Vor-<lb/>
ganges gewe&#x017F;en, als wir am Rande des ungeheuren Kraters<lb/>
des Pichincha &#x017F;tanden, aus dem übrigens eben nur &#x017F;chweflig<lb/>
&#x017F;aure Dämpfe auf&#x017F;tiegen.</p><lb/>
          <p>Alles wei&#x017F;t darauf hin, daß das eigentlich Wirk&#x017F;ame<lb/>
bei den Erdbeben darin be&#x017F;teht, daß ela&#x017F;ti&#x017F;che Flü&#x017F;&#x017F;igkeiten<lb/>
einen Ausweg &#x017F;uchen, um &#x017F;ich in der Luft zu verbreiten. An<lb/>
den Kü&#x017F;ten der Süd&#x017F;ee pflanzt &#x017F;ich die&#x017F;e Wirkung oft fa&#x017F;t<lb/><note xml:id="seg2pn_8_2" prev="#seg2pn_8_1" place="foot" n="1">Ich ge&#x017F;tehe, wenn die Erd&#x017F;töße nicht gleichzeitig &#x017F;ind, oder doch kurz<lb/>
nacheinander erfolgen, &#x017F;o er&#x017F;cheint die angebliche Fortpflanzung der<lb/>
Bewegung &#x017F;ehr zweifelhaft.</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[181/0197] ruhr geriet, z. B. bei der Inſel Barbados, die über 5400 km von der Küſte von Portugal liegt. Verſchiedene Thatſachen weiſen darauf hin, daß die Erd- beben und die vulkaniſchen Ausbrüche 1 in engem urſachlichen Zuſammenhang ſtehen. In Paſto hörten wir, die ſchwarze dicke Rauchſäule, die im Jahre 1797 ſeit mehreren Monaten dem Vulkan in der Nähe dieſer Stadt entſtiegen war, ſei zur ſelben Stunde verſchwunden, wo 270 km gegen Süd die Städte Riobamba, Hambato und Tacunga durch einen unge- heuren Stoß über den Haufen geworfen wurden. Setzt man ſich im Inneren eines brennenden Kraters neben die Hügel, die ſich durch die Schlacken- und Aſchenauswürfe bilden, ſo fühlt man mehrere Sekunden vor jedem einzelnen Ausbruch die Bewegung des Bodens. Wir haben dies im Jahre 1805 auf dem Veſuv beobachtet, während der Berg glühende Schlacken auswarf; wir waren im Jahre 1802 Zeugen desſelben Vor- ganges geweſen, als wir am Rande des ungeheuren Kraters des Pichincha ſtanden, aus dem übrigens eben nur ſchweflig ſaure Dämpfe aufſtiegen. Alles weiſt darauf hin, daß das eigentlich Wirkſame bei den Erdbeben darin beſteht, daß elaſtiſche Flüſſigkeiten einen Ausweg ſuchen, um ſich in der Luft zu verbreiten. An den Küſten der Südſee pflanzt ſich dieſe Wirkung oft faſt 1 1 Dieſer urſachliche Zuſammenhang, den ſchon die Alten er- kannten, beſchäftigte die Geiſter nach der Entdeckung von Amerika wieder ſehr lebhaft. Dieſe Entdeckung vergnügte nicht allein die Neugier der Menſchen durch neue Naturprodukte, ſie erweiterte auch ihre Vorſtellungen von der phyſiſchen Beſchaffenheit der Länder, von den Spielarten des Menſchengeſchlechtes und von den Wande- rungen der Völker. Man kann die Beſchreibungen der älteſten ſpaniſchen Reiſenden, namentlich die des Jeſuiten Acoſta, nicht leſen, ohne jeden Augenblick freudig zu ſtaunen, wie mächtig der Anblick eines großen Feſtlandes, die Betrachtung einer wunder- vollen Natur und die Berührung mit Menſchen von anderer Raſſe auf die Geiſtesentwickelung in Europa gewirkt haben. Der Keim ſehr vieler phyſikaliſcher Wahrheiten iſt in den Schriften des 16. Jahrhunderts niedergelegt, und dieſer Keim hätte Früchte ge- tragen, wäre er nicht durch Fanatismus und Aberglauben erſtickt worden. 1 Ich geſtehe, wenn die Erdſtöße nicht gleichzeitig ſind, oder doch kurz nacheinander erfolgen, ſo erſcheint die angebliche Fortpflanzung der Bewegung ſehr zweifelhaft.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/197
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/197>, abgerufen am 26.04.2024.