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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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der unter seinen Herden in völliger Abgeschiedenheit lebte.
Es war das der Mann, der in seiner Einfalt glaubte, die
politischen Revolutionen in der Alten Welt und die daraus
entsprungenen Kriege rühren nur "vom langen Widerstande
der Observanten" her. Kaum hatten wir die Llanos von
Neubarcelona betreten, so brachten wir die erste Nacht wieder bei
einem Franzosen zu, der uns mit der liebenswürdigsten Gast-
freundlichkeit aufnahm. Er war aus Lyon gebürtig, hatte
das Vaterland in früher Jugend verlassen und schien sich um
alles, was jenseits des Atlantischen Meeres, oder, wie man
hier für Europa ziemlich geringschätzig sagt, "auf der anderen
Seite der großen Lache" (del otro lado del charco) vor-
geht, sehr wenig zu kümmern. Wir sahen unseren Wirt be-
schäftigt, große Holzstücke mittels eines Leimes, der Guayca
heißt, aneinander zu fügen. Dieser Stoff, dessen sich auch
die Tischler in Angostura bedienen, gleicht dem besten aus
dem Tierreich gewonnenen Leim. Derselbe liegt ganz fertig
zwischen Rinde und Splint einer Liane aus der Familie der
Kombretaceen. 1 Wahrscheinlich kommt er in seinem chemischen
Verhalten nahe überein mit dem Vogelleim, einem vegetabi-
lischen Stoff, der aus den Beeren der Mistel und der inneren
Rinde der Stechpalme gewonnen wird. Man erstaunt, in
welcher Masse dieser klebrige Stoff ausfließt, wenn man die
rankenden Zweige des Vejuco de Guayca abschneidet. So
findet man denn unter den Tropen in reinem Zustande und
in besonderen Organen abgelagert, was man sich in der ge-
mäßigten Zone nur auf künstlichem Wege verschaffen kann.

Erst am dritten Tage kamen wir in die karibischen Mis-
sionen am Cari. Wir fanden hier den Boden durch die Trocken-
heit nicht so stark aufgesprungen wie in den Lanos von Cala-
bozo. Ein paar Regengüsse hatten der Vegetation neues
Leben gegeben. Kleine Grasarten und besonders jene kraut-
artigen Sensitiven, von denen das halbwilde Vieh so fett
wird, bildeten einen dichten Rasen. Weit auseinander stan-
den hie und da Stämme der Fächerpalme (Corypha tectorum),
der Rhopala (Chaparro) und Malpighia mit lederartigen,
glänzenden Blättern. Die feuchten Stellen erkennt man von
weitem an den Büschen von Mauritia, welche der Sagobaum
dieses Landstriches ist. Auf den Küsten ist diese Palme das
ganze Besitztum der Guaraunenindianer, und, was ziemlich auf-

1 Combretum Guayca.

der unter ſeinen Herden in völliger Abgeſchiedenheit lebte.
Es war das der Mann, der in ſeiner Einfalt glaubte, die
politiſchen Revolutionen in der Alten Welt und die daraus
entſprungenen Kriege rühren nur „vom langen Widerſtande
der Obſervanten“ her. Kaum hatten wir die Llanos von
Neubarcelona betreten, ſo brachten wir die erſte Nacht wieder bei
einem Franzoſen zu, der uns mit der liebenswürdigſten Gaſt-
freundlichkeit aufnahm. Er war aus Lyon gebürtig, hatte
das Vaterland in früher Jugend verlaſſen und ſchien ſich um
alles, was jenſeits des Atlantiſchen Meeres, oder, wie man
hier für Europa ziemlich geringſchätzig ſagt, „auf der anderen
Seite der großen Lache“ (del otro lado del charco) vor-
geht, ſehr wenig zu kümmern. Wir ſahen unſeren Wirt be-
ſchäftigt, große Holzſtücke mittels eines Leimes, der Guayca
heißt, aneinander zu fügen. Dieſer Stoff, deſſen ſich auch
die Tiſchler in Angoſtura bedienen, gleicht dem beſten aus
dem Tierreich gewonnenen Leim. Derſelbe liegt ganz fertig
zwiſchen Rinde und Splint einer Liane aus der Familie der
Kombretaceen. 1 Wahrſcheinlich kommt er in ſeinem chemiſchen
Verhalten nahe überein mit dem Vogelleim, einem vegetabi-
liſchen Stoff, der aus den Beeren der Miſtel und der inneren
Rinde der Stechpalme gewonnen wird. Man erſtaunt, in
welcher Maſſe dieſer klebrige Stoff ausfließt, wenn man die
rankenden Zweige des Vejuco de Guayca abſchneidet. So
findet man denn unter den Tropen in reinem Zuſtande und
in beſonderen Organen abgelagert, was man ſich in der ge-
mäßigten Zone nur auf künſtlichem Wege verſchaffen kann.

Erſt am dritten Tage kamen wir in die karibiſchen Miſ-
ſionen am Cari. Wir fanden hier den Boden durch die Trocken-
heit nicht ſo ſtark aufgeſprungen wie in den Lanos von Cala-
bozo. Ein paar Regengüſſe hatten der Vegetation neues
Leben gegeben. Kleine Grasarten und beſonders jene kraut-
artigen Senſitiven, von denen das halbwilde Vieh ſo fett
wird, bildeten einen dichten Raſen. Weit auseinander ſtan-
den hie und da Stämme der Fächerpalme (Corypha tectorum),
der Rhopala (Chaparro) und Malpighia mit lederartigen,
glänzenden Blättern. Die feuchten Stellen erkennt man von
weitem an den Büſchen von Mauritia, welche der Sagobaum
dieſes Landſtriches iſt. Auf den Küſten iſt dieſe Palme das
ganze Beſitztum der Guaraunenindianer, und, was ziemlich auf-

1 Combretum Guayca.
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[229/0237] der unter ſeinen Herden in völliger Abgeſchiedenheit lebte. Es war das der Mann, der in ſeiner Einfalt glaubte, die politiſchen Revolutionen in der Alten Welt und die daraus entſprungenen Kriege rühren nur „vom langen Widerſtande der Obſervanten“ her. Kaum hatten wir die Llanos von Neubarcelona betreten, ſo brachten wir die erſte Nacht wieder bei einem Franzoſen zu, der uns mit der liebenswürdigſten Gaſt- freundlichkeit aufnahm. Er war aus Lyon gebürtig, hatte das Vaterland in früher Jugend verlaſſen und ſchien ſich um alles, was jenſeits des Atlantiſchen Meeres, oder, wie man hier für Europa ziemlich geringſchätzig ſagt, „auf der anderen Seite der großen Lache“ (del otro lado del charco) vor- geht, ſehr wenig zu kümmern. Wir ſahen unſeren Wirt be- ſchäftigt, große Holzſtücke mittels eines Leimes, der Guayca heißt, aneinander zu fügen. Dieſer Stoff, deſſen ſich auch die Tiſchler in Angoſtura bedienen, gleicht dem beſten aus dem Tierreich gewonnenen Leim. Derſelbe liegt ganz fertig zwiſchen Rinde und Splint einer Liane aus der Familie der Kombretaceen. 1 Wahrſcheinlich kommt er in ſeinem chemiſchen Verhalten nahe überein mit dem Vogelleim, einem vegetabi- liſchen Stoff, der aus den Beeren der Miſtel und der inneren Rinde der Stechpalme gewonnen wird. Man erſtaunt, in welcher Maſſe dieſer klebrige Stoff ausfließt, wenn man die rankenden Zweige des Vejuco de Guayca abſchneidet. So findet man denn unter den Tropen in reinem Zuſtande und in beſonderen Organen abgelagert, was man ſich in der ge- mäßigten Zone nur auf künſtlichem Wege verſchaffen kann. Erſt am dritten Tage kamen wir in die karibiſchen Miſ- ſionen am Cari. Wir fanden hier den Boden durch die Trocken- heit nicht ſo ſtark aufgeſprungen wie in den Lanos von Cala- bozo. Ein paar Regengüſſe hatten der Vegetation neues Leben gegeben. Kleine Grasarten und beſonders jene kraut- artigen Senſitiven, von denen das halbwilde Vieh ſo fett wird, bildeten einen dichten Raſen. Weit auseinander ſtan- den hie und da Stämme der Fächerpalme (Corypha tectorum), der Rhopala (Chaparro) und Malpighia mit lederartigen, glänzenden Blättern. Die feuchten Stellen erkennt man von weitem an den Büſchen von Mauritia, welche der Sagobaum dieſes Landſtriches iſt. Auf den Küſten iſt dieſe Palme das ganze Beſitztum der Guaraunenindianer, und, was ziemlich auf- 1 Combretum Guayca.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/237>, abgerufen am 05.05.2024.