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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Loxa in Peru Chilimoyas (sehr verschieden vom Corossol oder
der Anona der Antillen), in Caracas Granadillas oder
Parchas, in Esmeralda und auf Cuba Ananas gegessen haben,
um die Lobsprüche, womit die ältesten Reisenden die Köst-
lichkeit der Produkte der heißen Zone preisen, nicht übertrieben
zu finden. Die Ananas sind die Zierde der Felder bei der
Havana, wo sie in Reihen nebeneinander gezogen werden;
an den Abhängen des Duida schmücken sie den Rasen der
Savannen, wenn ihre gelben, mit einem Büschel silberglän-
zender Blätter gekrönten Früchte über den Setarien, den
Paspalum und ein paar Cyperaceen hervorragen. Dieses
Gewächs, das die Indianer Ana-curua nennen, verbreitete
sich schon im 16. Jahrhundert im inneren China, und noch
in neuester Zeit fanden es englische Reisende mit anderen,
unzweifelhaft amerikanischen Gewächsen (Mais, Maniok, Me-
lonenbaum, Tabak, Piment) an den Ufern des Rio Kongo in
Afrika.

In Esmeralda ist kein Missionär. Der Geistliche, der
hier Messe lesen soll, sitzt in Santa Barbara, über 225 km
weit. Er braucht den Fluß herauf vier Tage, er kommt
daher auch nur fünf- oder sechsmal im Jahre. Wir wurden
von einem alten Soldaten sehr freundlich aufgenommen; der
Mann hielt uns für katalonische Krämer, die in den Missionen
ihren Kleinhandel treiben wollten. Als er unsere Papier-
ballen zum Pflanzentrocknen sah, lächelte er über unsere naive
Unwissenheit. "Ihr kommt in ein Land," sagte er, "wo
derartige Ware keinen Absatz findet. Geschrieben wird hier
nicht viel, und trockene Mais-, Platano- (Bananen-) und
Vijaho- (Helikonia-) Blätter brauchen wir hier, wie in Europa
das Papier, um Nadeln, Fischangeln und andere kleine
Sachen, die man sorgfältig aufbewahren will, einzuwickeln."
Der alte Soldat vereinigte in seiner Person die bürgerliche
und die geistliche Behörde. Er lehrte die Kinder, ich sage
nicht den Katechismus, aber doch den Rosenkranz beten, er
läutete die Glocken zum Zeitvertreib, und im geistlichen Amts-
eifer bediente er sich zuweilen seines Küsterstocks in einer
Weise, die den Eingeborenen schlecht behagte.

So klein die Mission ist, werden in Esmeralda doch
drei indianische Sprachen gesprochen: Idapaminarisch, Ca-
tarapennisch und Maquiritanisch. Letztere Sprache ist am
oberen Orinoko vom Einfluß des Ventuari bis zu dem
des Padamo die herrschende, wie am unteren Orinoko das

Loxa in Peru Chilimoyas (ſehr verſchieden vom Coroſſol oder
der Anona der Antillen), in Caracas Granadillas oder
Parchas, in Esmeralda und auf Cuba Ananas gegeſſen haben,
um die Lobſprüche, womit die älteſten Reiſenden die Köſt-
lichkeit der Produkte der heißen Zone preiſen, nicht übertrieben
zu finden. Die Ananas ſind die Zierde der Felder bei der
Havana, wo ſie in Reihen nebeneinander gezogen werden;
an den Abhängen des Duida ſchmücken ſie den Raſen der
Savannen, wenn ihre gelben, mit einem Büſchel ſilberglän-
zender Blätter gekrönten Früchte über den Setarien, den
Paspalum und ein paar Cyperaceen hervorragen. Dieſes
Gewächs, das die Indianer Ana-curua nennen, verbreitete
ſich ſchon im 16. Jahrhundert im inneren China, und noch
in neueſter Zeit fanden es engliſche Reiſende mit anderen,
unzweifelhaft amerikaniſchen Gewächſen (Mais, Maniok, Me-
lonenbaum, Tabak, Piment) an den Ufern des Rio Kongo in
Afrika.

In Esmeralda iſt kein Miſſionär. Der Geiſtliche, der
hier Meſſe leſen ſoll, ſitzt in Santa Barbara, über 225 km
weit. Er braucht den Fluß herauf vier Tage, er kommt
daher auch nur fünf- oder ſechsmal im Jahre. Wir wurden
von einem alten Soldaten ſehr freundlich aufgenommen; der
Mann hielt uns für kataloniſche Krämer, die in den Miſſionen
ihren Kleinhandel treiben wollten. Als er unſere Papier-
ballen zum Pflanzentrocknen ſah, lächelte er über unſere naive
Unwiſſenheit. „Ihr kommt in ein Land,“ ſagte er, „wo
derartige Ware keinen Abſatz findet. Geſchrieben wird hier
nicht viel, und trockene Mais-, Platano- (Bananen-) und
Vijaho- (Helikonia-) Blätter brauchen wir hier, wie in Europa
das Papier, um Nadeln, Fiſchangeln und andere kleine
Sachen, die man ſorgfältig aufbewahren will, einzuwickeln.“
Der alte Soldat vereinigte in ſeiner Perſon die bürgerliche
und die geiſtliche Behörde. Er lehrte die Kinder, ich ſage
nicht den Katechismus, aber doch den Roſenkranz beten, er
läutete die Glocken zum Zeitvertreib, und im geiſtlichen Amts-
eifer bediente er ſich zuweilen ſeines Küſterſtocks in einer
Weiſe, die den Eingeborenen ſchlecht behagte.

So klein die Miſſion iſt, werden in Esmeralda doch
drei indianiſche Sprachen geſprochen: Idapaminariſch, Ca-
tarapeñiſch und Maquiritaniſch. Letztere Sprache iſt am
oberen Orinoko vom Einfluß des Ventuari bis zu dem
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[55/0063] Loxa in Peru Chilimoyas (ſehr verſchieden vom Coroſſol oder der Anona der Antillen), in Caracas Granadillas oder Parchas, in Esmeralda und auf Cuba Ananas gegeſſen haben, um die Lobſprüche, womit die älteſten Reiſenden die Köſt- lichkeit der Produkte der heißen Zone preiſen, nicht übertrieben zu finden. Die Ananas ſind die Zierde der Felder bei der Havana, wo ſie in Reihen nebeneinander gezogen werden; an den Abhängen des Duida ſchmücken ſie den Raſen der Savannen, wenn ihre gelben, mit einem Büſchel ſilberglän- zender Blätter gekrönten Früchte über den Setarien, den Paspalum und ein paar Cyperaceen hervorragen. Dieſes Gewächs, das die Indianer Ana-curua nennen, verbreitete ſich ſchon im 16. Jahrhundert im inneren China, und noch in neueſter Zeit fanden es engliſche Reiſende mit anderen, unzweifelhaft amerikaniſchen Gewächſen (Mais, Maniok, Me- lonenbaum, Tabak, Piment) an den Ufern des Rio Kongo in Afrika. In Esmeralda iſt kein Miſſionär. Der Geiſtliche, der hier Meſſe leſen ſoll, ſitzt in Santa Barbara, über 225 km weit. Er braucht den Fluß herauf vier Tage, er kommt daher auch nur fünf- oder ſechsmal im Jahre. Wir wurden von einem alten Soldaten ſehr freundlich aufgenommen; der Mann hielt uns für kataloniſche Krämer, die in den Miſſionen ihren Kleinhandel treiben wollten. Als er unſere Papier- ballen zum Pflanzentrocknen ſah, lächelte er über unſere naive Unwiſſenheit. „Ihr kommt in ein Land,“ ſagte er, „wo derartige Ware keinen Abſatz findet. Geſchrieben wird hier nicht viel, und trockene Mais-, Platano- (Bananen-) und Vijaho- (Helikonia-) Blätter brauchen wir hier, wie in Europa das Papier, um Nadeln, Fiſchangeln und andere kleine Sachen, die man ſorgfältig aufbewahren will, einzuwickeln.“ Der alte Soldat vereinigte in ſeiner Perſon die bürgerliche und die geiſtliche Behörde. Er lehrte die Kinder, ich ſage nicht den Katechismus, aber doch den Roſenkranz beten, er läutete die Glocken zum Zeitvertreib, und im geiſtlichen Amts- eifer bediente er ſich zuweilen ſeines Küſterſtocks in einer Weiſe, die den Eingeborenen ſchlecht behagte. So klein die Miſſion iſt, werden in Esmeralda doch drei indianiſche Sprachen geſprochen: Idapaminariſch, Ca- tarapeñiſch und Maquiritaniſch. Letztere Sprache iſt am oberen Orinoko vom Einfluß des Ventuari bis zu dem des Padamo die herrſchende, wie am unteren Orinoko das

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/63>, abgerufen am 26.04.2024.