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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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hauchen, zuerst zu einer eigenen Thätigkeit anspornen. Sie
bringen Leben und Strebekraft in dieselbe; unbefriedigt machen
sie thätig, zur Anlegung von Planen erfindsam, muthig zur
Ausübung; befriedigt befördern sie ein leichtes, ungehindertes
Ideenspiel. Ueberhaupt bringen sie alle Vorstellungen in grös-
sere und mannigfaltigere Bewegung, zeigen neue Ansichten,
führen auf neue, vorher unbemerkt gebliebene Seiten; unge-
rechnet, wie die verschiedne Art ihrer Befriedigung auf den
Körper und die Organisation, und diese wieder auf eine Weise,
die uns freilich nur in den Resultaten sichtbar wird, auf die
Seele zurückwirkt.

Indess ist ihr Einfluss in der Intension, wie in der Art des
Wirkens verschieden. Dies beruht theils auf ihrer Stärke oder
Schwäche, theils aber auch -- wenn ich mich so ausdrücken
darf -- auf ihrer Verwandtschaft mit dem Unsinnlichen, auf der
grösseren oder minderen Leichtigkeit, sie von thierischen Ge-
nüssen zu menschlichen Freuden zu erheben. So leiht das
Auge der Materie seiner Empfindung die für uns so genussreiche
und ideenfruchtbare Form der Gestalt, so das Ohr die der ver-
hältnissmässigen Zeitfolge der Töne. Ueber die verschiedene
Natur dieser Empfindungen, und die Art ihrer Wirkung liesse
sich vielleicht viel Schönes und manches Neue sagen, wozu aber
schon hier nicht einmal der Ort ist. Nur Eine Bemerkung
über ihren verschiedenen Nutzen zur Bildung der Seele.

Das Auge, wenn ich so sagen darf, liefert dem Verstande
einen mehr vorbereiteten Stoff. Das Innere des Menschen wird
uns gleichsam mit seiner, und der übrigen, immer in unserer
Phantasie auf ihn bezogenen Dinge Gestalt, bestimmt, und in
einem einzelnen Zustande, gegeben. Das Ohr, blos als Sinn
betrachtet, und insofern es nicht Worte aufnimmt, gewährt eine
bei weitem geringere Bestimmtheit. Darum räumt auch Kant
den bildenden Künsten den Vorzug vor der Musik ein +). Allein

+) Kritik der Urtheilskraft. 2te Aufl. (Berlin 1793). p. 220 f.

hauchen, zuerst zu einer eigenen Thätigkeit anspornen. Sie
bringen Leben und Strebekraft in dieselbe; unbefriedigt machen
sie thätig, zur Anlegung von Planen erfindsam, muthig zur
Ausübung; befriedigt befördern sie ein leichtes, ungehindertes
Ideenspiel. Ueberhaupt bringen sie alle Vorstellungen in grös-
sere und mannigfaltigere Bewegung, zeigen neue Ansichten,
führen auf neue, vorher unbemerkt gebliebene Seiten; unge-
rechnet, wie die verschiedne Art ihrer Befriedigung auf den
Körper und die Organisation, und diese wieder auf eine Weise,
die uns freilich nur in den Resultaten sichtbar wird, auf die
Seele zurückwirkt.

Indess ist ihr Einfluss in der Intension, wie in der Art des
Wirkens verschieden. Dies beruht theils auf ihrer Stärke oder
Schwäche, theils aber auch — wenn ich mich so ausdrücken
darf — auf ihrer Verwandtschaft mit dem Unsinnlichen, auf der
grösseren oder minderen Leichtigkeit, sie von thierischen Ge-
nüssen zu menschlichen Freuden zu erheben. So leiht das
Auge der Materie seiner Empfindung die für uns so genussreiche
und ideenfruchtbare Form der Gestalt, so das Ohr die der ver-
hältnissmässigen Zeitfolge der Töne. Ueber die verschiedene
Natur dieser Empfindungen, und die Art ihrer Wirkung liesse
sich vielleicht viel Schönes und manches Neue sagen, wozu aber
schon hier nicht einmal der Ort ist. Nur Eine Bemerkung
über ihren verschiedenen Nutzen zur Bildung der Seele.

Das Auge, wenn ich so sagen darf, liefert dem Verstande
einen mehr vorbereiteten Stoff. Das Innere des Menschen wird
uns gleichsam mit seiner, und der übrigen, immer in unserer
Phantasie auf ihn bezogenen Dinge Gestalt, bestimmt, und in
einem einzelnen Zustande, gegeben. Das Ohr, blos als Sinn
betrachtet, und insofern es nicht Worte aufnimmt, gewährt eine
bei weitem geringere Bestimmtheit. Darum räumt auch Kant
den bildenden Künsten den Vorzug vor der Musik ein †). Allein

†) Kritik der Urtheilskraft. 2te Aufl. (Berlin 1793). p. 220 f.
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[86/0122] hauchen, zuerst zu einer eigenen Thätigkeit anspornen. Sie bringen Leben und Strebekraft in dieselbe; unbefriedigt machen sie thätig, zur Anlegung von Planen erfindsam, muthig zur Ausübung; befriedigt befördern sie ein leichtes, ungehindertes Ideenspiel. Ueberhaupt bringen sie alle Vorstellungen in grös- sere und mannigfaltigere Bewegung, zeigen neue Ansichten, führen auf neue, vorher unbemerkt gebliebene Seiten; unge- rechnet, wie die verschiedne Art ihrer Befriedigung auf den Körper und die Organisation, und diese wieder auf eine Weise, die uns freilich nur in den Resultaten sichtbar wird, auf die Seele zurückwirkt. Indess ist ihr Einfluss in der Intension, wie in der Art des Wirkens verschieden. Dies beruht theils auf ihrer Stärke oder Schwäche, theils aber auch — wenn ich mich so ausdrücken darf — auf ihrer Verwandtschaft mit dem Unsinnlichen, auf der grösseren oder minderen Leichtigkeit, sie von thierischen Ge- nüssen zu menschlichen Freuden zu erheben. So leiht das Auge der Materie seiner Empfindung die für uns so genussreiche und ideenfruchtbare Form der Gestalt, so das Ohr die der ver- hältnissmässigen Zeitfolge der Töne. Ueber die verschiedene Natur dieser Empfindungen, und die Art ihrer Wirkung liesse sich vielleicht viel Schönes und manches Neue sagen, wozu aber schon hier nicht einmal der Ort ist. Nur Eine Bemerkung über ihren verschiedenen Nutzen zur Bildung der Seele. Das Auge, wenn ich so sagen darf, liefert dem Verstande einen mehr vorbereiteten Stoff. Das Innere des Menschen wird uns gleichsam mit seiner, und der übrigen, immer in unserer Phantasie auf ihn bezogenen Dinge Gestalt, bestimmt, und in einem einzelnen Zustande, gegeben. Das Ohr, blos als Sinn betrachtet, und insofern es nicht Worte aufnimmt, gewährt eine bei weitem geringere Bestimmtheit. Darum räumt auch Kant den bildenden Künsten den Vorzug vor der Musik ein †). Allein †) Kritik der Urtheilskraft. 2te Aufl. (Berlin 1793). p. 220 f.

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/122>, abgerufen am 30.04.2024.