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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

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erweckt; und will man die allmälige Verbreitung eines sich erhöhenden Naturgefühls verfolgen, so muß man erinnern, wie Antonello di Messina, ein Schüler der Brüder van Eyck, den Hang zu landschaftlicher Auffassung nach Venedig verpflanzte, und wie die Bilder der van Eyckschen Schule selbst in Florenz auf den Domenico Ghirlandajo und andere Meister in ähnlichem Sinne eingewirkt haben18. Die Bestrebungen dieser Zeit waren auf eine sorgsame, aber meist ängstliche Nachahmung der Natur gerichtet. Frei und großartig aufgefaßt erscheint diese erst in den Meisterwerken des Tizian, dem auch hier Giorgione zum Vorbild gedient. Ich habe das Glück gehabt viele Jahre lang im Pariser Museum das Gemälde des Tizian bewundern zu können, welches den Tod des von einem Albigenser im Walde überfallenen Petrus Martyr19 in Gegenwart eines anderen Dominicanermönches darstellt. Die Form der Waldbäume und ihre Belaubung, die bergige blaue Ferne, die Abtönung und Beleuchtung des Ganzen lassen einen feierlichen Eindruck von Ernst und Größe, von einer Tiefe der Empfindungen, welche die überaus einfache landschaftliche Composition durchdringt. So lebendig war das Naturgefühl des Tizian, daß er nicht etwa bloß in Bildnissen schöner Frauen, wie in dem Hintergrunde der üppigen Gestalt der Dresdner Venus, sondern auch in den Bildnissen strengerer Auffassung, z. B. in dem des Dichters Pietro Aretino, sei es der Landschaft, sei es dem Himmel einen der individuellen Darstellung entsprechenden Charakter gab. Einem solchen Charakter der Erhabenheit blieben treu in der Bologneser Schule Annibal Carracci und Domenichino.

War aber die große Kunstepoche der Historienmalerei

erweckt; und will man die allmälige Verbreitung eines sich erhöhenden Naturgefühls verfolgen, so muß man erinnern, wie Antonello di Messina, ein Schüler der Brüder van Eyck, den Hang zu landschaftlicher Auffassung nach Venedig verpflanzte, und wie die Bilder der van Eyckschen Schule selbst in Florenz auf den Domenico Ghirlandajo und andere Meister in ähnlichem Sinne eingewirkt haben18. Die Bestrebungen dieser Zeit waren auf eine sorgsame, aber meist ängstliche Nachahmung der Natur gerichtet. Frei und großartig aufgefaßt erscheint diese erst in den Meisterwerken des Tizian, dem auch hier Giorgione zum Vorbild gedient. Ich habe das Glück gehabt viele Jahre lang im Pariser Museum das Gemälde des Tizian bewundern zu können, welches den Tod des von einem Albigenser im Walde überfallenen Petrus Martyr19 in Gegenwart eines anderen Dominicanermönches darstellt. Die Form der Waldbäume und ihre Belaubung, die bergige blaue Ferne, die Abtönung und Beleuchtung des Ganzen lassen einen feierlichen Eindruck von Ernst und Größe, von einer Tiefe der Empfindungen, welche die überaus einfache landschaftliche Composition durchdringt. So lebendig war das Naturgefühl des Tizian, daß er nicht etwa bloß in Bildnissen schöner Frauen, wie in dem Hintergrunde der üppigen Gestalt der Dresdner Venus, sondern auch in den Bildnissen strengerer Auffassung, z. B. in dem des Dichters Pietro Aretino, sei es der Landschaft, sei es dem Himmel einen der individuellen Darstellung entsprechenden Charakter gab. Einem solchen Charakter der Erhabenheit blieben treu in der Bologneser Schule Annibal Carracci und Domenichino.

War aber die große Kunstepoche der Historienmalerei

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[82/0087] erweckt; und will man die allmälige Verbreitung eines sich erhöhenden Naturgefühls verfolgen, so muß man erinnern, wie Antonello di Messina, ein Schüler der Brüder van Eyck, den Hang zu landschaftlicher Auffassung nach Venedig verpflanzte, und wie die Bilder der van Eyckschen Schule selbst in Florenz auf den Domenico Ghirlandajo und andere Meister in ähnlichem Sinne eingewirkt haben ¹⁸ . Die Bestrebungen dieser Zeit waren auf eine sorgsame, aber meist ängstliche Nachahmung der Natur gerichtet. Frei und großartig aufgefaßt erscheint diese erst in den Meisterwerken des Tizian, dem auch hier Giorgione zum Vorbild gedient. Ich habe das Glück gehabt viele Jahre lang im Pariser Museum das Gemälde des Tizian bewundern zu können, welches den Tod des von einem Albigenser im Walde überfallenen Petrus Martyr ¹⁹ in Gegenwart eines anderen Dominicanermönches darstellt. Die Form der Waldbäume und ihre Belaubung, die bergige blaue Ferne, die Abtönung und Beleuchtung des Ganzen lassen einen feierlichen Eindruck von Ernst und Größe, von einer Tiefe der Empfindungen, welche die überaus einfache landschaftliche Composition durchdringt. So lebendig war das Naturgefühl des Tizian, daß er nicht etwa bloß in Bildnissen schöner Frauen, wie in dem Hintergrunde der üppigen Gestalt der Dresdner Venus, sondern auch in den Bildnissen strengerer Auffassung, z. B. in dem des Dichters Pietro Aretino, sei es der Landschaft, sei es dem Himmel einen der individuellen Darstellung entsprechenden Charakter gab. Einem solchen Charakter der Erhabenheit blieben treu in der Bologneser Schule Annibal Carracci und Domenichino. War aber die große Kunstepoche der Historienmalerei

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/87>, abgerufen am 29.04.2024.