Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

und dem, was Unbegrenztes aus der Tiefe der Empfindung und der Stärke idealisirender Geisteskraft aufsteigt. Das Großartige, was dieser schöpferischen Geisteskraft die Landschaftmalerei, als eine mehr oder minder begeisterte Naturdichtung, verdankt (ich erinnere hier an die Stufenfolge der Baumformen von Ruysdael und Everdingen durch Claude Lorrain bis zu Poussin und Hannibal Carracci hinauf), ist, wie der mit Phantasie begabte Mensch, etwas nicht an den Boden gefesseltes. Bei den großen Meistern der Kunst ist die örtliche Beschränkung nicht zu spüren; aber Erweiterung des sinnlichen Horizonts, Bekanntschaft mit edleren und größeren Naturformen, mit der üppigen Lebensfülle der Tropenwelt gewähren den Vortheil, daß sie nicht bloß auf die Bereicherung des materiellen Substrats der Landschaftmalerei, sondern auch dahin wirken bei minder begabten Künstlern die Empfindung lebendiger anzuregen und so die schaffende Kraft zu erhöhen.

Sei es mir erlaubt hier an die Betrachtungen zu erinnern, welche ich fast vor einem halben Jahrhunderte in einer wenig gelesenen Abhandlung: Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse26 mitgetheilt habe, Betrachtungen, die in dem innigsten Zusammenhange mit den eben behandelten Gegenständen stehen. Wer die Natur mit einem Blicke zu umfassen und von Localphänomenen zu abstrahiren weiß, der erkennt, wie mit Zunahme der belebenden Wärme von den Polen zum Aequator hin sich auch allmälig die organische Kraft und die Lebensfülle vermehren. Der Zauber der Natur nimmt in einem geringeren Maaße noch vom nördlichen Europa nach den schönen Küstenländern des Mittelmeeres, als von der iberischen Halbinsel,

und dem, was Unbegrenztes aus der Tiefe der Empfindung und der Stärke idealisirender Geisteskraft aufsteigt. Das Großartige, was dieser schöpferischen Geisteskraft die Landschaftmalerei, als eine mehr oder minder begeisterte Naturdichtung, verdankt (ich erinnere hier an die Stufenfolge der Baumformen von Ruysdael und Everdingen durch Claude Lorrain bis zu Poussin und Hannibal Carracci hinauf), ist, wie der mit Phantasie begabte Mensch, etwas nicht an den Boden gefesseltes. Bei den großen Meistern der Kunst ist die örtliche Beschränkung nicht zu spüren; aber Erweiterung des sinnlichen Horizonts, Bekanntschaft mit edleren und größeren Naturformen, mit der üppigen Lebensfülle der Tropenwelt gewähren den Vortheil, daß sie nicht bloß auf die Bereicherung des materiellen Substrats der Landschaftmalerei, sondern auch dahin wirken bei minder begabten Künstlern die Empfindung lebendiger anzuregen und so die schaffende Kraft zu erhöhen.

Sei es mir erlaubt hier an die Betrachtungen zu erinnern, welche ich fast vor einem halben Jahrhunderte in einer wenig gelesenen Abhandlung: Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse26 mitgetheilt habe, Betrachtungen, die in dem innigsten Zusammenhange mit den eben behandelten Gegenständen stehen. Wer die Natur mit einem Blicke zu umfassen und von Localphänomenen zu abstrahiren weiß, der erkennt, wie mit Zunahme der belebenden Wärme von den Polen zum Aequator hin sich auch allmälig die organische Kraft und die Lebensfülle vermehren. Der Zauber der Natur nimmt in einem geringeren Maaße noch vom nördlichen Europa nach den schönen Küstenländern des Mittelmeeres, als von der iberischen Halbinsel,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0095" n="90"/>
und dem, was Unbegrenztes aus der Tiefe der Empfindung und der Stärke idealisirender Geisteskraft aufsteigt. Das Großartige, was dieser schöpferischen Geisteskraft die Landschaftmalerei, als eine mehr oder minder begeisterte Naturdichtung, verdankt (ich erinnere hier an die Stufenfolge der Baumformen von Ruysdael und Everdingen durch Claude Lorrain bis zu Poussin und Hannibal Carracci hinauf), ist, wie der mit Phantasie begabte Mensch, etwas nicht an den Boden gefesseltes. Bei den großen Meistern der Kunst ist die örtliche Beschränkung nicht zu spüren; aber Erweiterung des sinnlichen Horizonts, Bekanntschaft mit edleren und größeren Naturformen, mit der üppigen Lebensfülle der Tropenwelt gewähren den Vortheil, daß sie nicht bloß auf die Bereicherung des materiellen Substrats der Landschaftmalerei, sondern auch dahin wirken bei minder begabten Künstlern die Empfindung lebendiger anzuregen und so die schaffende Kraft zu erhöhen.</p>
            <p>Sei es mir erlaubt hier an die Betrachtungen zu erinnern, welche ich fast vor einem halben Jahrhunderte in einer wenig gelesenen Abhandlung: <hi rendition="#g">Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse</hi><note xml:id="ftn125" next="ftn125-text" place="end" n="26"/> mitgetheilt habe, Betrachtungen, die in dem innigsten Zusammenhange mit den eben behandelten Gegenständen stehen. Wer die Natur mit einem Blicke zu umfassen und von Localphänomenen zu abstrahiren weiß, der erkennt, wie mit Zunahme der belebenden Wärme von den Polen zum Aequator hin sich auch allmälig die organische Kraft und die Lebensfülle vermehren. Der Zauber der Natur nimmt in einem geringeren Maaße noch vom nördlichen Europa nach den schönen Küstenländern des Mittelmeeres, als von der iberischen Halbinsel,
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0095] und dem, was Unbegrenztes aus der Tiefe der Empfindung und der Stärke idealisirender Geisteskraft aufsteigt. Das Großartige, was dieser schöpferischen Geisteskraft die Landschaftmalerei, als eine mehr oder minder begeisterte Naturdichtung, verdankt (ich erinnere hier an die Stufenfolge der Baumformen von Ruysdael und Everdingen durch Claude Lorrain bis zu Poussin und Hannibal Carracci hinauf), ist, wie der mit Phantasie begabte Mensch, etwas nicht an den Boden gefesseltes. Bei den großen Meistern der Kunst ist die örtliche Beschränkung nicht zu spüren; aber Erweiterung des sinnlichen Horizonts, Bekanntschaft mit edleren und größeren Naturformen, mit der üppigen Lebensfülle der Tropenwelt gewähren den Vortheil, daß sie nicht bloß auf die Bereicherung des materiellen Substrats der Landschaftmalerei, sondern auch dahin wirken bei minder begabten Künstlern die Empfindung lebendiger anzuregen und so die schaffende Kraft zu erhöhen. Sei es mir erlaubt hier an die Betrachtungen zu erinnern, welche ich fast vor einem halben Jahrhunderte in einer wenig gelesenen Abhandlung: Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse ²⁶ mitgetheilt habe, Betrachtungen, die in dem innigsten Zusammenhange mit den eben behandelten Gegenständen stehen. Wer die Natur mit einem Blicke zu umfassen und von Localphänomenen zu abstrahiren weiß, der erkennt, wie mit Zunahme der belebenden Wärme von den Polen zum Aequator hin sich auch allmälig die organische Kraft und die Lebensfülle vermehren. Der Zauber der Natur nimmt in einem geringeren Maaße noch vom nördlichen Europa nach den schönen Küstenländern des Mittelmeeres, als von der iberischen Halbinsel,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen (2013-04-18T11:04:31Z)



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/95
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/95>, abgerufen am 29.04.2024.