Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 3. Stuttgart u. a., 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

den Chaldäern oder den Aegyptern angehöre, ist nach den Quellen, die bisher haben benutzt werden können, um so schwerer zu entscheiden, als die griechischen Schriftsteller uns nicht die ursprünglichen, bei anderen Völkern gebräuchlichen Namen, sondern nur in das Griechische übertragene, nach der Individualität ihrer Ansichten gemodelte Aequivalente darbieten. Was die Aegypter früher als die Chaldäer besessen, ob diese bloß als begabte Schüler11 der Ersteren auftreten, berührt die wichtigen, aber dunklen Probleme der ersten Gesittung des Menschengeschlechts, der Anfänge wissenschaftlicher Gedankenentwickelung am Nil oder am Euphrat. Man kennt die ägyptischen Benennungen der 36 Decane; aber die ägyptischen Namen der Planeten sind uns, bis auf einen oder zwei, nicht erhalten.12

Auffallend ist es, daß Plato und Aristoteles sich nur der göttlichen Namen für die Planeten, die auch Diodor nennt, bedienen: während später z. B. in dem dem Aristoteles fälschlich zugeschriebenen Buche de Mundo schon ein Gemisch von beiden Arten der Benennungen, der göttlichen und der beschreibenden (expressiven), sich findet: phainon für Saturn, stibon für Merkur, puroeis für Mars.13 Wenn dem Saturn, dem äußersten der damals bekannten Planeten, sonderbar genug, wie Stellen aus dem Commentar des Simplicius (p. 122) zum 8ten Aristotelischen Buche de Coelo, aus Hygin, Diodor und Theon dem Smyrnäer beweisen, die Benennung Sonne beigelegt ward; so war es gewiß nur seine Lage und die Länge seines Umlaufes, die ihn zum Herrscher der anderen Planeten erhob. Die beschreibenden Benennungen, so alt und chaldäisch sie zum Theil auch sein mögen, fanden sich bei griechischen und römischen Schriftstellern, doch erst recht häufig

den Chaldäern oder den Aegyptern angehöre, ist nach den Quellen, die bisher haben benutzt werden können, um so schwerer zu entscheiden, als die griechischen Schriftsteller uns nicht die ursprünglichen, bei anderen Völkern gebräuchlichen Namen, sondern nur in das Griechische übertragene, nach der Individualität ihrer Ansichten gemodelte Aequivalente darbieten. Was die Aegypter früher als die Chaldäer besessen, ob diese bloß als begabte Schüler11 der Ersteren auftreten, berührt die wichtigen, aber dunklen Probleme der ersten Gesittung des Menschengeschlechts, der Anfänge wissenschaftlicher Gedankenentwickelung am Nil oder am Euphrat. Man kennt die ägyptischen Benennungen der 36 Decane; aber die ägyptischen Namen der Planeten sind uns, bis auf einen oder zwei, nicht erhalten.12

Auffallend ist es, daß Plato und Aristoteles sich nur der göttlichen Namen für die Planeten, die auch Diodor nennt, bedienen: während später z. B. in dem dem Aristoteles fälschlich zugeschriebenen Buche de Mundo schon ein Gemisch von beiden Arten der Benennungen, der göttlichen und der beschreibenden (expressiven), sich findet: φαίνων für Saturn, στίβων für Merkur, πυρόεις für Mars.13 Wenn dem Saturn, dem äußersten der damals bekannten Planeten, sonderbar genug, wie Stellen aus dem Commentar des Simplicius (p. 122) zum 8ten Aristotelischen Buche de Coelo, aus Hygin, Diodor und Theon dem Smyrnäer beweisen, die Benennung Sonne beigelegt ward; so war es gewiß nur seine Lage und die Länge seines Umlaufes, die ihn zum Herrscher der anderen Planeten erhob. Die beschreibenden Benennungen, so alt und chaldäisch sie zum Theil auch sein mögen, fanden sich bei griechischen und römischen Schriftstellern, doch erst recht häufig

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0428" n="423"/>
den Chaldäern oder den Aegyptern angehöre, ist nach den Quellen, die bisher haben benutzt werden können, um so schwerer zu entscheiden, als die griechischen Schriftsteller uns nicht die ursprünglichen, bei anderen Völkern gebräuchlichen Namen, sondern nur in das Griechische übertragene, nach der Individualität ihrer Ansichten gemodelte Aequivalente darbieten. Was die Aegypter früher als die Chaldäer besessen, ob diese bloß als begabte Schüler<note xml:id="ftn503" next="ftn503-text" place="end" n="11"/> der Ersteren auftreten, berührt die wichtigen, aber dunklen Probleme der ersten Gesittung des Menschengeschlechts, der Anfänge wissenschaftlicher Gedankenentwickelung am Nil oder am Euphrat. Man kennt die ägyptischen Benennungen der 36 Decane; aber die ägyptischen Namen der Planeten sind uns, bis auf einen oder zwei, nicht erhalten.<note xml:id="ftn504" next="ftn504-text" place="end" n="12"/>          </p>
                <p>Auffallend ist es, daß Plato und Aristoteles sich nur der <hi rendition="#g">göttlichen Namen</hi> für die Planeten, die auch Diodor nennt, bedienen: während später z. B. in dem dem Aristoteles fälschlich zugeschriebenen Buche <hi rendition="#g">de Mundo</hi> schon ein Gemisch von beiden Arten der Benennungen, der göttlichen und der beschreibenden (expressiven), sich findet: <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">&#x03C6;&#x03B1;&#x03AF;&#x03BD;&#x03C9;&#x03BD;</foreign></hi> für Saturn, <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">&#x03C3;&#x03C4;&#x03AF;&#x03B2;&#x03C9;&#x03BD;</foreign></hi> für Merkur, <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">&#x03C0;&#x03C5;&#x03C1;&#x03CC;&#x03B5;&#x03B9;&#x03C2;</foreign></hi> für Mars.<note xml:id="ftn505" next="ftn505-text" place="end" n="13"/> Wenn dem Saturn, dem äußersten der damals bekannten Planeten, sonderbar genug, wie Stellen aus dem Commentar des Simplicius (p. 122) zum 8ten Aristotelischen Buche <hi rendition="#g">de Coelo,</hi> aus Hygin, Diodor und Theon dem Smyrnäer beweisen, die Benennung <hi rendition="#g">Sonne</hi> beigelegt ward; so war es gewiß nur seine Lage und die Länge seines Umlaufes, die ihn zum Herrscher der anderen Planeten erhob. Die <hi rendition="#g">beschreibenden</hi> Benennungen, so alt und chaldäisch sie zum Theil auch sein mögen, fanden sich bei griechischen und römischen Schriftstellern, doch erst recht häufig
</p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[423/0428] den Chaldäern oder den Aegyptern angehöre, ist nach den Quellen, die bisher haben benutzt werden können, um so schwerer zu entscheiden, als die griechischen Schriftsteller uns nicht die ursprünglichen, bei anderen Völkern gebräuchlichen Namen, sondern nur in das Griechische übertragene, nach der Individualität ihrer Ansichten gemodelte Aequivalente darbieten. Was die Aegypter früher als die Chaldäer besessen, ob diese bloß als begabte Schüler ¹¹ der Ersteren auftreten, berührt die wichtigen, aber dunklen Probleme der ersten Gesittung des Menschengeschlechts, der Anfänge wissenschaftlicher Gedankenentwickelung am Nil oder am Euphrat. Man kennt die ägyptischen Benennungen der 36 Decane; aber die ägyptischen Namen der Planeten sind uns, bis auf einen oder zwei, nicht erhalten. ¹² Auffallend ist es, daß Plato und Aristoteles sich nur der göttlichen Namen für die Planeten, die auch Diodor nennt, bedienen: während später z. B. in dem dem Aristoteles fälschlich zugeschriebenen Buche de Mundo schon ein Gemisch von beiden Arten der Benennungen, der göttlichen und der beschreibenden (expressiven), sich findet: φαίνων für Saturn, στίβων für Merkur, πυρόεις für Mars. ¹³ Wenn dem Saturn, dem äußersten der damals bekannten Planeten, sonderbar genug, wie Stellen aus dem Commentar des Simplicius (p. 122) zum 8ten Aristotelischen Buche de Coelo, aus Hygin, Diodor und Theon dem Smyrnäer beweisen, die Benennung Sonne beigelegt ward; so war es gewiß nur seine Lage und die Länge seines Umlaufes, die ihn zum Herrscher der anderen Planeten erhob. Die beschreibenden Benennungen, so alt und chaldäisch sie zum Theil auch sein mögen, fanden sich bei griechischen und römischen Schriftstellern, doch erst recht häufig

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen (2013-04-18T11:04:31Z)



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos03_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos03_1850/428
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 3. Stuttgart u. a., 1850, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos03_1850/428>, abgerufen am 15.05.2024.