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Humboldt, Alexander von: Ueber einige wichtige Punkte der Geographie Guyanas. In: Annalen der Erd-, Völker- und Staatenkunde, 5 (1837/1838), S. 35-62.

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Über die Geographie von Guyana.

Das große Parime-Meer, welches so schwer von unseren
Karten zu verbannen ist, und dem man, bei meiner Rückkehr aus
Amerika, noch eine Länge von 40 Lieues gab, ist nun durch neüere
Forschungen auf den Amucu-See*) reducirt, der zwei bis drei
Lieues Umfang hat. Taüschungen, die fast zwei Jahrhunderte währ-
ten (eine letzte Spanische Expedition, die im Jahre 1775 zur Auf-
suchung des Dorado unternommen wurde, kostete mehreren hun-
dert Menschen das Leben) haben zuletzt der Geographie einige
Früchte getragen. Jm Jahre 1512 kamen bei der Expedition, die
Ponce de Leon unternahm, um die Verjüngungs-Quelle
auf einer kleinen Bahama-Jnsel, die Bimini heißt und sich kaum
auf unseren Karten findet, zu entdecken, Tausende von Soldaten
um. Diese Expedition führte zur Eroberung Florida's und zur
Kenntniß des unter dem Namen Golf-Strom bekannten großen
Meeres-Stromes, der aus dem Bahama-Kanal herausfließt. Der
Durst nach Reichthümern und der Wunsch, sich zu verjüngen, das
Dorado und eine Verjüngungs-Quelle, haben fast gleichzeitig die
Volksleidenschaften aufgeregt.

Jn der Sitzung der Gesellschaft der Alterthumsforscher in Lon-
don, am 17. November 1836, wurde eine Abhandlung des Herrn
Schomburgk über die religiösen Traditionen der Macusis-Jndianer
vorgelesen, die den oberen Mahu und einen Theil des Pacaraina-
Gebirges bewohnen, die also seit einem Jahrhundert (seit der Reise
des unternehmenden Hortsmann) ihre Wohnsitze nicht verändert
haben. "Die Macusis," sagt Herr Schomburgk, "glauben, daß
der einzige Mensch, welcher eine allgemeine Überschwemmung über-
lebt hat, die Erde dadurch wieder bevölkerte, daß er die Steine in
Menschen verwandelte." Wenn diese Mythe, die Frucht der leb-
haften Einbildungskraft der Völker, an Deukalion und Phrrha er-
innert, so erscheinen sie bei den Tamanaken des Orenoko in etwas
veränderter Gestalt. Wenn man sie fragt, wie das menschliche Ge-

*) Die Wichtigkeit, welche die Völker seit dem Alterthum den Quellen
der Flüsse oder den aus einem See entspringenden Flüssen beigelegt
haben, ist so groß, daß schon während meines kurzen Aufenthalts
im Fort San Carlos del Rio Negro, ein farbiger Bewohner von
Barcelos, mir "einen kleinen See bezeichnete, aus dem der Rio Ta-
cucu (Tacutu) entspringe und mit einem anderen Flusse (Uraricuera)
den Rio Branco bilde." Er verwechselte bloß den Tacuiu mit dem
Mahu und betrachtete den Pirara als den Anfang des Mahu.
Über die Geographie von Guyana.

Das große Parime-Meer, welches ſo ſchwer von unſeren
Karten zu verbannen iſt, und dem man, bei meiner Ruͤckkehr aus
Amerika, noch eine Laͤnge von 40 Lieues gab, iſt nun durch neuͤere
Forſchungen auf den Amucu-See*) reducirt, der zwei bis drei
Lieues Umfang hat. Tauͤſchungen, die faſt zwei Jahrhunderte waͤhr-
ten (eine letzte Spaniſche Expedition, die im Jahre 1775 zur Auf-
ſuchung des Dorado unternommen wurde, koſtete mehreren hun-
dert Menſchen das Leben) haben zuletzt der Geographie einige
Fruͤchte getragen. Jm Jahre 1512 kamen bei der Expedition, die
Ponce de Leon unternahm, um die Verjuͤngungs-Quelle
auf einer kleinen Bahama-Jnſel, die Bimini heißt und ſich kaum
auf unſeren Karten findet, zu entdecken, Tauſende von Soldaten
um. Dieſe Expedition fuͤhrte zur Eroberung Florida's und zur
Kenntniß des unter dem Namen Golf-Strom bekannten großen
Meeres-Stromes, der aus dem Bahama-Kanal herausfließt. Der
Durſt nach Reichthuͤmern und der Wunſch, ſich zu verjuͤngen, das
Dorado und eine Verjuͤngungs-Quelle, haben faſt gleichzeitig die
Volksleidenſchaften aufgeregt.

Jn der Sitzung der Geſellſchaft der Alterthumsforſcher in Lon-
don, am 17. November 1836, wurde eine Abhandlung des Herrn
Schomburgk uͤber die religioͤſen Traditionen der Macuſis-Jndianer
vorgeleſen, die den oberen Mahu und einen Theil des Pacaraina-
Gebirges bewohnen, die alſo ſeit einem Jahrhundert (ſeit der Reiſe
des unternehmenden Hortsmann) ihre Wohnſitze nicht veraͤndert
haben. „Die Macuſis,“ ſagt Herr Schomburgk, „glauben, daß
der einzige Menſch, welcher eine allgemeine Überſchwemmung uͤber-
lebt hat, die Erde dadurch wieder bevoͤlkerte, daß er die Steine in
Menſchen verwandelte.“ Wenn dieſe Mythe, die Frucht der leb-
haften Einbildungskraft der Voͤlker, an Deukalion und Phrrha er-
innert, ſo erſcheinen ſie bei den Tamanaken des Orenoko in etwas
veraͤnderter Geſtalt. Wenn man ſie fragt, wie das menſchliche Ge-

*) Die Wichtigkeit, welche die Voͤlker ſeit dem Alterthum den Quellen
der Fluͤſſe oder den aus einem See entſpringenden Fluͤſſen beigelegt
haben, iſt ſo groß, daß ſchon waͤhrend meines kurzen Aufenthalts
im Fort San Carlos del Rio Negro, ein farbiger Bewohner von
Barcelos, mir „einen kleinen See bezeichnete, aus dem der Rio Ta-
cucu (Tacutu) entſpringe und mit einem anderen Fluſſe (Uraricuera)
den Rio Branco bilde.“ Er verwechſelte bloß den Tacuiu mit dem
Mahu und betrachtete den Pirara als den Anfang des Mahu.
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[59/0025] Über die Geographie von Guyana. Das große Parime-Meer, welches ſo ſchwer von unſeren Karten zu verbannen iſt, und dem man, bei meiner Ruͤckkehr aus Amerika, noch eine Laͤnge von 40 Lieues gab, iſt nun durch neuͤere Forſchungen auf den Amucu-See *) reducirt, der zwei bis drei Lieues Umfang hat. Tauͤſchungen, die faſt zwei Jahrhunderte waͤhr- ten (eine letzte Spaniſche Expedition, die im Jahre 1775 zur Auf- ſuchung des Dorado unternommen wurde, koſtete mehreren hun- dert Menſchen das Leben) haben zuletzt der Geographie einige Fruͤchte getragen. Jm Jahre 1512 kamen bei der Expedition, die Ponce de Leon unternahm, um die Verjuͤngungs-Quelle auf einer kleinen Bahama-Jnſel, die Bimini heißt und ſich kaum auf unſeren Karten findet, zu entdecken, Tauſende von Soldaten um. Dieſe Expedition fuͤhrte zur Eroberung Florida's und zur Kenntniß des unter dem Namen Golf-Strom bekannten großen Meeres-Stromes, der aus dem Bahama-Kanal herausfließt. Der Durſt nach Reichthuͤmern und der Wunſch, ſich zu verjuͤngen, das Dorado und eine Verjuͤngungs-Quelle, haben faſt gleichzeitig die Volksleidenſchaften aufgeregt. Jn der Sitzung der Geſellſchaft der Alterthumsforſcher in Lon- don, am 17. November 1836, wurde eine Abhandlung des Herrn Schomburgk uͤber die religioͤſen Traditionen der Macuſis-Jndianer vorgeleſen, die den oberen Mahu und einen Theil des Pacaraina- Gebirges bewohnen, die alſo ſeit einem Jahrhundert (ſeit der Reiſe des unternehmenden Hortsmann) ihre Wohnſitze nicht veraͤndert haben. „Die Macuſis,“ ſagt Herr Schomburgk, „glauben, daß der einzige Menſch, welcher eine allgemeine Überſchwemmung uͤber- lebt hat, die Erde dadurch wieder bevoͤlkerte, daß er die Steine in Menſchen verwandelte.“ Wenn dieſe Mythe, die Frucht der leb- haften Einbildungskraft der Voͤlker, an Deukalion und Phrrha er- innert, ſo erſcheinen ſie bei den Tamanaken des Orenoko in etwas veraͤnderter Geſtalt. Wenn man ſie fragt, wie das menſchliche Ge- *) Die Wichtigkeit, welche die Voͤlker ſeit dem Alterthum den Quellen der Fluͤſſe oder den aus einem See entſpringenden Fluͤſſen beigelegt haben, iſt ſo groß, daß ſchon waͤhrend meines kurzen Aufenthalts im Fort San Carlos del Rio Negro, ein farbiger Bewohner von Barcelos, mir „einen kleinen See bezeichnete, aus dem der Rio Ta- cucu (Tacutu) entſpringe und mit einem anderen Fluſſe (Uraricuera) den Rio Branco bilde.“ Er verwechſelte bloß den Tacuiu mit dem Mahu und betrachtete den Pirara als den Anfang des Mahu.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Ueber einige wichtige Punkte der Geographie Guyanas. In: Annalen der Erd-, Völker- und Staatenkunde, 5 (1837/1838), S. 35-62, hier S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_punkte_1837/25>, abgerufen am 29.04.2024.