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Humboldt, Alexander von: Ueber einige wichtige Punkte der Geographie Guyanas. In: Annalen der Erd-, Völker- und Staatenkunde, 5 (1837/1838), S. 35-62.

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Annalen etc., Oktober 1837. -- Länder- und Völkerkunde.
schlecht diesen großen Kataklysmus, das Zeitalter der Wasser der
Mejikaner hat überleben können, so antworten sie sogleich, "daß ein
Mann und eine Frau sich auf den Gipfel des hohen Berges Tamanacu,
der an den Ufern des Asiveru liege, gerettet hätten, und indem sie die
Früchte der Mauritia-Palme über ihren Kopf hinter sich geworfen,
aus den Kernen dieser Früchte Menschen hätten entstehen sehen, welche
die Erde wieder bevölkerten." Einige Lieues von dem Encaramada
erhebt sich mitten in den Savannen ein Felsen, Tepu-Mereme,
d. h. bemalter Fels, genannt. Er zeigt Figuren von Thieren und
symbolische Zeichen, ähnlich denen, die wir in geringer Entfernung
oberhalb des Encaramada bei Caycara (Lat. 7° 5'-7° 40' N.; und
Long. 68° 50'-69° 45' W. Paris) gesehen haben. Mit eben sol-
cher Bildhauer-Arbeit verzierte Felsen finden sich zwischen dem
Casiquiare und Atabapo (Lat. 2° 5'-3° 20' N.; Long. 69° 70'
W. Paris) und was am meisten auffällt, 140 Lieues weiter öst-
lich, in der Einöde derselben Parime, welche der Gegenstand dieser
Abhandlung ist. Diese letztere Thatsache habe ich in dem Tage-
buche des Chirurgus Nikolas Hortsmann, wovon ich eine Kopie
von der Hand des berühmten d'Anville vor mir hatte, aufgefunden.
Dieser einfache und bescheidene Reisende beschreibt Tag für Tag,
an Ort und Stelle, was ihm bemerkenswerth erschien. Er verdient
um so mehr Vertrauen, als er, mißmuthig über das Mißlingen
seiner Nachforschungen nach dem Dorado-See, dem gediegenen
Golde und einer Diamanten-Grube, worin er nur sehr durchsich-
tige Bergkrystalle fand, Alles, was ihm auf seinem Wege vorkam,
mit einer Art Geringschätzung betrachtete. Jndem er den Rupu-
nuri aufwärts verfolgte, fand er am 16. April 1749 da, wo der
Fluß, mit kleinen Wasserfällen erfüllt, sich zwischen den Macarana-
Bergen hindurchwindet, vor seiner Ankunft in den Umgebungen
des Amucu-Sees, "Felsen mit Figuren bedeckt," oder wie er auf
Portugiesisch sagt: "de varias letras." Man zeigte uns auch an
dem Felsen Culimacari an den Ufern des Casiquiare Zeichen, die
man Caracteres alignes nannte; es waren jedoch nur rohe Figuren,
die Himmelskörper, Krokodile, Boas-Schlangen, und Werkzeüge
zur Bereitung des Manioc-Mehles darstellten. Jch habe in diesen
bemahlten Felsen (Piedras pintadas) keine symmetrische Anord-
nung oder in regelmäßigen Abständen gestellte Karaktere erkannt.
Das Wort letras in dem Tagebuche des Deütschen Wundarztes
darf daher, wie es mir scheint, nicht in seiner eigentlichen Bedeü-
tung genommen werden.

Herr Schomburgk ist nicht so glücklich gewesen, die von Horts-

Annalen ꝛc., Oktober 1837. — Laͤnder- und Voͤlkerkunde.
ſchlecht dieſen großen Kataklysmus, das Zeitalter der Waſſer der
Mejikaner hat uͤberleben koͤnnen, ſo antworten ſie ſogleich, „daß ein
Mann und eine Frau ſich auf den Gipfel des hohen Berges Tamanacu,
der an den Ufern des Aſiveru liege, gerettet haͤtten, und indem ſie die
Fruͤchte der Mauritia-Palme uͤber ihren Kopf hinter ſich geworfen,
aus den Kernen dieſer Fruͤchte Menſchen haͤtten entſtehen ſehen, welche
die Erde wieder bevoͤlkerten.“ Einige Lieues von dem Encaramada
erhebt ſich mitten in den Savannen ein Felſen, Tepu-Mereme,
d. h. bemalter Fels, genannt. Er zeigt Figuren von Thieren und
ſymboliſche Zeichen, aͤhnlich denen, die wir in geringer Entfernung
oberhalb des Encaramada bei Caycara (Lat. 7° 5′–7° 40′ N.; und
Long. 68° 50′–69° 45′ W. Paris) geſehen haben. Mit eben ſol-
cher Bildhauer-Arbeit verzierte Felſen finden ſich zwiſchen dem
Caſiquiare und Atabapo (Lat. 2° 5′–3° 20′ N.; Long. 69° 70′
W. Paris) und was am meiſten auffaͤllt, 140 Lieues weiter oͤſt-
lich, in der Einoͤde derſelben Parime, welche der Gegenſtand dieſer
Abhandlung iſt. Dieſe letztere Thatſache habe ich in dem Tage-
buche des Chirurgus Nikolas Hortsmann, wovon ich eine Kopie
von der Hand des beruͤhmten d'Anville vor mir hatte, aufgefunden.
Dieſer einfache und beſcheidene Reiſende beſchreibt Tag fuͤr Tag,
an Ort und Stelle, was ihm bemerkenswerth erſchien. Er verdient
um ſo mehr Vertrauen, als er, mißmuthig uͤber das Mißlingen
ſeiner Nachforſchungen nach dem Dorado-See, dem gediegenen
Golde und einer Diamanten-Grube, worin er nur ſehr durchſich-
tige Bergkryſtalle fand, Alles, was ihm auf ſeinem Wege vorkam,
mit einer Art Geringſchaͤtzung betrachtete. Jndem er den Rupu-
nuri aufwaͤrts verfolgte, fand er am 16. April 1749 da, wo der
Fluß, mit kleinen Waſſerfaͤllen erfuͤllt, ſich zwiſchen den Macarana-
Bergen hindurchwindet, vor ſeiner Ankunft in den Umgebungen
des Amucu-Sees, „Felſen mit Figuren bedeckt,“ oder wie er auf
Portugieſiſch ſagt: „de varias letras.“ Man zeigte uns auch an
dem Felſen Culimacari an den Ufern des Caſiquiare Zeichen, die
man Caractères alignés nannte; es waren jedoch nur rohe Figuren,
die Himmelskoͤrper, Krokodile, Boas-Schlangen, und Werkzeuͤge
zur Bereitung des Manioc-Mehles darſtellten. Jch habe in dieſen
bemahlten Felſen (Piedras pintadas) keine ſymmetriſche Anord-
nung oder in regelmaͤßigen Abſtaͤnden geſtellte Karaktere erkannt.
Das Wort letras in dem Tagebuche des Deuͤtſchen Wundarztes
darf daher, wie es mir ſcheint, nicht in ſeiner eigentlichen Bedeuͤ-
tung genommen werden.

Herr Schomburgk iſt nicht ſo gluͤcklich geweſen, die von Horts-

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[60/0026] Annalen ꝛc., Oktober 1837. — Laͤnder- und Voͤlkerkunde. ſchlecht dieſen großen Kataklysmus, das Zeitalter der Waſſer der Mejikaner hat uͤberleben koͤnnen, ſo antworten ſie ſogleich, „daß ein Mann und eine Frau ſich auf den Gipfel des hohen Berges Tamanacu, der an den Ufern des Aſiveru liege, gerettet haͤtten, und indem ſie die Fruͤchte der Mauritia-Palme uͤber ihren Kopf hinter ſich geworfen, aus den Kernen dieſer Fruͤchte Menſchen haͤtten entſtehen ſehen, welche die Erde wieder bevoͤlkerten.“ Einige Lieues von dem Encaramada erhebt ſich mitten in den Savannen ein Felſen, Tepu-Mereme, d. h. bemalter Fels, genannt. Er zeigt Figuren von Thieren und ſymboliſche Zeichen, aͤhnlich denen, die wir in geringer Entfernung oberhalb des Encaramada bei Caycara (Lat. 7° 5′–7° 40′ N.; und Long. 68° 50′–69° 45′ W. Paris) geſehen haben. Mit eben ſol- cher Bildhauer-Arbeit verzierte Felſen finden ſich zwiſchen dem Caſiquiare und Atabapo (Lat. 2° 5′–3° 20′ N.; Long. 69° 70′ W. Paris) und was am meiſten auffaͤllt, 140 Lieues weiter oͤſt- lich, in der Einoͤde derſelben Parime, welche der Gegenſtand dieſer Abhandlung iſt. Dieſe letztere Thatſache habe ich in dem Tage- buche des Chirurgus Nikolas Hortsmann, wovon ich eine Kopie von der Hand des beruͤhmten d'Anville vor mir hatte, aufgefunden. Dieſer einfache und beſcheidene Reiſende beſchreibt Tag fuͤr Tag, an Ort und Stelle, was ihm bemerkenswerth erſchien. Er verdient um ſo mehr Vertrauen, als er, mißmuthig uͤber das Mißlingen ſeiner Nachforſchungen nach dem Dorado-See, dem gediegenen Golde und einer Diamanten-Grube, worin er nur ſehr durchſich- tige Bergkryſtalle fand, Alles, was ihm auf ſeinem Wege vorkam, mit einer Art Geringſchaͤtzung betrachtete. Jndem er den Rupu- nuri aufwaͤrts verfolgte, fand er am 16. April 1749 da, wo der Fluß, mit kleinen Waſſerfaͤllen erfuͤllt, ſich zwiſchen den Macarana- Bergen hindurchwindet, vor ſeiner Ankunft in den Umgebungen des Amucu-Sees, „Felſen mit Figuren bedeckt,“ oder wie er auf Portugieſiſch ſagt: „de varias letras.“ Man zeigte uns auch an dem Felſen Culimacari an den Ufern des Caſiquiare Zeichen, die man Caractères alignés nannte; es waren jedoch nur rohe Figuren, die Himmelskoͤrper, Krokodile, Boas-Schlangen, und Werkzeuͤge zur Bereitung des Manioc-Mehles darſtellten. Jch habe in dieſen bemahlten Felſen (Piedras pintadas) keine ſymmetriſche Anord- nung oder in regelmaͤßigen Abſtaͤnden geſtellte Karaktere erkannt. Das Wort letras in dem Tagebuche des Deuͤtſchen Wundarztes darf daher, wie es mir ſcheint, nicht in ſeiner eigentlichen Bedeuͤ- tung genommen werden. Herr Schomburgk iſt nicht ſo gluͤcklich geweſen, die von Horts-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Ueber einige wichtige Punkte der Geographie Guyanas. In: Annalen der Erd-, Völker- und Staatenkunde, 5 (1837/1838), S. 35-62, hier S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_punkte_1837/26>, abgerufen am 29.04.2024.