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Humboldt, Alexander von: Ueber einige wichtige Punkte der Geographie Guyanas. In: Annalen der Erd-, Völker- und Staatenkunde, 5 (1837/1838), S. 35-62.

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Über die Geographie von Guyana.
mann gesehenen, mit Skulpturen bedeckten Felsen, wieder aufzufin-
den; aber er beschreibt andere am Ufer des Essequibo bei dem Was-
serfalle Warapouta. "Dieser Wasserfall," sagt er, "ist nicht nur
berühmt wegen seiner Höhe, sondern auch wegen der großen Menge
der in den Felsen gehauenen Figuren, welche denen gleichen, die ich
auf St. John, einer der Virginischen Jnseln gesehen habe, und
die ich für das Werk der Caraiben halte, die ehemals diesen Theil
der Antillen bewohnten. Jch that alles Mögliche, um einen von
den Steinen, welche Jnschriften trugen, zu zerbrechen und ihn mit
mir zu nehmen; aber das Gestein war zu hart und das Fieber
hatte mir alle Kräfte geraubt. Weder Drohungen noch Verspre-
chungen konnten die Jndianer bewegen, gegen jene Steinmassen,
die ehrwürdigen Denkmäler der Jntelligenz und höheren Bildung
ihrer Vorältern, einen einzigen Hammerschlag zu führen. Sie hal-
ten dieselben für das Werk des großen Geistes, und die ver-
schiedenen Stämme, die wir angetroffen haben, kannten sie un-
geachtet der großen Entfernung. Das Entsetzen malte sich auf den
Gesichtern meiner Jndianischen Gefährten. Sie schienen zu er-
warten, daß das Feüer des Himmels auf mein Haupt herabfalle.
Da ich sah, daß ich keinen dieser mit Skulptur bedeckten Steine
zerbrechen konnte, so mußte ich mich damit begnügen, sie vollständig
abzuzeichnen." Dies Letztere war offenbar das Klügste, und der
Herausgeber des Englischen Journals bemerkt zu meiner großen
Freüde in einer Note: "Es ist zu hoffen, daß andere Reisende nicht
glücklicher sein werden, als Herr Schomburgk und daß kein Reisen-
der, der einer civilisirten Nation angehört, an jene Monumente
der ungebildeten Jndianer (untutored Jndian) die Hand der
Zerstörung legen wird."

Ungeachtet der weiten Ausdehnung der Streifzüge Caraibischer
Volksstämme und der ehemaligen Macht dieser schönen Menschen-
Race, kann ich doch nicht glauben, daß jene große eben angegebene
Zone mit Skulpturen versehener Felsen, die einen gro-
ßen Theil Südamerika's von Westen nach Osten durchzieht, das
Werk der Caraiben sei. Es sind Spuren einer alten Civilisation,
die vielleicht einer Epoche angehört, wo die Racen, die wir jetzt un-
terscheiden, dem Namen und der Abstammung nach unbekannt wa-
ren. Selbst die Achtung, welche diesen rohen Bildwerken der Vor-
fahren gezollt wird, beweist, daß die heütigen Jndianer keine Jdee
von der Ausführung ähnlicher Werke haben. Ja, noch mehr. Zwi-
schen dem Encaramada und Caycara, an den Ufern des Orenoko,
sind die hieroglyphischen Figuren haüfig an den Felswänden in ei-
ner großen Höhe angebracht, die jetzt nur vermittelst ungemein ho-

Über die Geographie von Guyana.
mann geſehenen, mit Skulpturen bedeckten Felſen, wieder aufzufin-
den; aber er beſchreibt andere am Ufer des Eſſequibo bei dem Waſ-
ſerfalle Warapouta. „Dieſer Waſſerfall,“ ſagt er, „iſt nicht nur
beruͤhmt wegen ſeiner Hoͤhe, ſondern auch wegen der großen Menge
der in den Felſen gehauenen Figuren, welche denen gleichen, die ich
auf St. John, einer der Virginiſchen Jnſeln geſehen habe, und
die ich fuͤr das Werk der Caraiben halte, die ehemals dieſen Theil
der Antillen bewohnten. Jch that alles Moͤgliche, um einen von
den Steinen, welche Jnſchriften trugen, zu zerbrechen und ihn mit
mir zu nehmen; aber das Geſtein war zu hart und das Fieber
hatte mir alle Kraͤfte geraubt. Weder Drohungen noch Verſpre-
chungen konnten die Jndianer bewegen, gegen jene Steinmaſſen,
die ehrwuͤrdigen Denkmaͤler der Jntelligenz und hoͤheren Bildung
ihrer Voraͤltern, einen einzigen Hammerſchlag zu fuͤhren. Sie hal-
ten dieſelben fuͤr das Werk des großen Geiſtes, und die ver-
ſchiedenen Staͤmme, die wir angetroffen haben, kannten ſie un-
geachtet der großen Entfernung. Das Entſetzen malte ſich auf den
Geſichtern meiner Jndianiſchen Gefaͤhrten. Sie ſchienen zu er-
warten, daß das Feuͤer des Himmels auf mein Haupt herabfalle.
Da ich ſah, daß ich keinen dieſer mit Skulptur bedeckten Steine
zerbrechen konnte, ſo mußte ich mich damit begnuͤgen, ſie vollſtaͤndig
abzuzeichnen.“ Dies Letztere war offenbar das Kluͤgſte, und der
Herausgeber des Engliſchen Journals bemerkt zu meiner großen
Freuͤde in einer Note: „Es iſt zu hoffen, daß andere Reiſende nicht
gluͤcklicher ſein werden, als Herr Schomburgk und daß kein Reiſen-
der, der einer civiliſirten Nation angehoͤrt, an jene Monumente
der ungebildeten Jndianer (untutored Jndian) die Hand der
Zerſtoͤrung legen wird.“

Ungeachtet der weiten Ausdehnung der Streifzuͤge Caraibiſcher
Volksſtaͤmme und der ehemaligen Macht dieſer ſchoͤnen Menſchen-
Race, kann ich doch nicht glauben, daß jene große eben angegebene
Zone mit Skulpturen verſehener Felſen, die einen gro-
ßen Theil Suͤdamerika's von Weſten nach Oſten durchzieht, das
Werk der Caraiben ſei. Es ſind Spuren einer alten Civiliſation,
die vielleicht einer Epoche angehoͤrt, wo die Racen, die wir jetzt un-
terſcheiden, dem Namen und der Abſtammung nach unbekannt wa-
ren. Selbſt die Achtung, welche dieſen rohen Bildwerken der Vor-
fahren gezollt wird, beweiſt, daß die heuͤtigen Jndianer keine Jdee
von der Ausfuͤhrung aͤhnlicher Werke haben. Ja, noch mehr. Zwi-
ſchen dem Encaramada und Caycara, an den Ufern des Orenoko,
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[61/0027] Über die Geographie von Guyana. mann geſehenen, mit Skulpturen bedeckten Felſen, wieder aufzufin- den; aber er beſchreibt andere am Ufer des Eſſequibo bei dem Waſ- ſerfalle Warapouta. „Dieſer Waſſerfall,“ ſagt er, „iſt nicht nur beruͤhmt wegen ſeiner Hoͤhe, ſondern auch wegen der großen Menge der in den Felſen gehauenen Figuren, welche denen gleichen, die ich auf St. John, einer der Virginiſchen Jnſeln geſehen habe, und die ich fuͤr das Werk der Caraiben halte, die ehemals dieſen Theil der Antillen bewohnten. Jch that alles Moͤgliche, um einen von den Steinen, welche Jnſchriften trugen, zu zerbrechen und ihn mit mir zu nehmen; aber das Geſtein war zu hart und das Fieber hatte mir alle Kraͤfte geraubt. Weder Drohungen noch Verſpre- chungen konnten die Jndianer bewegen, gegen jene Steinmaſſen, die ehrwuͤrdigen Denkmaͤler der Jntelligenz und hoͤheren Bildung ihrer Voraͤltern, einen einzigen Hammerſchlag zu fuͤhren. Sie hal- ten dieſelben fuͤr das Werk des großen Geiſtes, und die ver- ſchiedenen Staͤmme, die wir angetroffen haben, kannten ſie un- geachtet der großen Entfernung. Das Entſetzen malte ſich auf den Geſichtern meiner Jndianiſchen Gefaͤhrten. Sie ſchienen zu er- warten, daß das Feuͤer des Himmels auf mein Haupt herabfalle. Da ich ſah, daß ich keinen dieſer mit Skulptur bedeckten Steine zerbrechen konnte, ſo mußte ich mich damit begnuͤgen, ſie vollſtaͤndig abzuzeichnen.“ Dies Letztere war offenbar das Kluͤgſte, und der Herausgeber des Engliſchen Journals bemerkt zu meiner großen Freuͤde in einer Note: „Es iſt zu hoffen, daß andere Reiſende nicht gluͤcklicher ſein werden, als Herr Schomburgk und daß kein Reiſen- der, der einer civiliſirten Nation angehoͤrt, an jene Monumente der ungebildeten Jndianer (untutored Jndian) die Hand der Zerſtoͤrung legen wird.“ Ungeachtet der weiten Ausdehnung der Streifzuͤge Caraibiſcher Volksſtaͤmme und der ehemaligen Macht dieſer ſchoͤnen Menſchen- Race, kann ich doch nicht glauben, daß jene große eben angegebene Zone mit Skulpturen verſehener Felſen, die einen gro- ßen Theil Suͤdamerika's von Weſten nach Oſten durchzieht, das Werk der Caraiben ſei. Es ſind Spuren einer alten Civiliſation, die vielleicht einer Epoche angehoͤrt, wo die Racen, die wir jetzt un- terſcheiden, dem Namen und der Abſtammung nach unbekannt wa- ren. Selbſt die Achtung, welche dieſen rohen Bildwerken der Vor- fahren gezollt wird, beweiſt, daß die heuͤtigen Jndianer keine Jdee von der Ausfuͤhrung aͤhnlicher Werke haben. Ja, noch mehr. Zwi- ſchen dem Encaramada und Caycara, an den Ufern des Orenoko, ſind die hieroglyphiſchen Figuren hauͤfig an den Felswaͤnden in ei- ner großen Hoͤhe angebracht, die jetzt nur vermittelſt ungemein ho-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Ueber einige wichtige Punkte der Geographie Guyanas. In: Annalen der Erd-, Völker- und Staatenkunde, 5 (1837/1838), S. 35-62, hier S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_punkte_1837/27>, abgerufen am 29.04.2024.