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Humboldt, Alexander von: Vorwort von Alexander von Humboldt. In: Möllhausen, Balduin: Tagebuch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee. Leipzig, 1858, S. [I]-VIII.

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Freund, hat in einem von ihm unternommenen Werke einige vor einem halben Jahr-
hundert von mir geäusserte Überzeugungen bekräftigt und in Arbeiten, die er gemein-
schaftlich einst mit meinem Bruder, Wilhelm von Humboldt, unternommen, seine
tiefen Kenntnisse der alten Azteken-Sprache historisch nutzbar gemacht.

Neben dem ethnologischen und historischen Interesse, das sich an den
so wenig bekannten Erdraum knüpft, dessen genauere Beschreibung der Gegenstand
der nachfolgenden Blätter ist, tritt in gleichem Maasse anregend hervor das politische
Interesse des allgemeinen Weltverkehrs wie der Culturverhälnisse des Bodens,
welche durch jenen Verkehr mittelbar begünstigt werden. Die reichen atlantischen
Staaten
, die am Ohio und Mississippi, fühlen sich durch den Lauf der Begeben-
heiten gedrängt, die geeignetsten Wege nach den neu errungenen und in den mächtigen
nordamerikanischen Staatenbund aufgenommenen Küstenländern des Stillen
Meeres
zu finden. Diese Küstenländer sind reicher als das Europa gegenüberliegende
östliche Littoral, mit sicheren und schönen Häfen, mit Schiffsbauholz und dem gesuchte-
sten aller Mineralproducte versehen. Die neue Heimath, lange von Mönchen, streng aber
friedlich, regiert, und dem einträglichen Fischotter-Fange geöffnet, ist durch ihre natür-
lichen Verhältnisse und in den Händen einer rastlos thätigen, unternehmenden, intelli-
genten Bevölkerung berufen, eine wichtige Rolle in dem chinesischen, japanischen und
langsam aufkeimenden ost-sibirischen Handel zu spielen.

Wenn zu der Zeit der zweiten Entdeckung von Amerika durch Christoph Co-
lumbus Ackerbau, bürgerliche und staatliche Einrichtungen, weite Verbreitung dersel-
ben Form des religiösen Cultus: wenn Verkehr, durch Kunststrassen über hohe Ge-
birge befördert: monumentale Sculpturen, wie grosse Bauwerke Tempel, Treppen-
Pyramiden. Wohnungen der Fürsten und Befestigungsmittel sich vom mexicanischen
Anahuac bis Chili allein Asien gegenüber, im westlichen Theile des Neuen Conti-
nents, fanden: so war der vielfach grössere, verhältnissmässig flächere, von Flussnetzen
durchzogene, östliche Theil ein Sitz der Wildheit, von Volksstämmen bewohnt, welche,
vereinzelt, selten in Conföderationen zu kriegerischen gemeinsamen Unternehmungen
verbunden, sich fast allein vom Jagdleben und Fischfange ernährten. Dieser sonderbare
alte, nach den Weltgegenden zu bezeichnende Contrast der Cultur und Uncultur
begann aufgehoben zu werden, seitdem in zwei, durch ein halbes Jahrtausend getrenn-
ten Epochen, von dem nördlichsten und südlichsten Theile Europa's aus, das grosse oce-
anische Thal überschritten wurde, welches zwei Continente scheidet. Die erste, scan-
dinavisch-isländische Ansiedelung, veranlasst von Leif, dem Sohne Erik's des Rothen, war
schwach, von vorübergehender Art und sittlich fruchtlos gewesen, ohne alle Einwirkung
auf den Zustand der Eingeborenen, obgleich die amerikanischen Küsten in der kalten
und gemässigten Zone vom drei-und-siebzigsten Grade von der kleinen Gruppe der
west- grönländischen Weiber-Inseln bis zu 411/2° der Breite von kühnen christli-
chen Seefahrern besucht wurden.

Freund, hat in einem von ihm unternommenen Werke einige vor einem halben Jahr-
hundert von mir geäusserte Überzeugungen bekräftigt und in Arbeiten, die er gemein-
schaftlich einst mit meinem Bruder, Wilhelm von Humboldt, unternommen, seine
tiefen Kenntnisse der alten Azteken-Sprache historisch nutzbar gemacht.

Neben dem ethnologischen und historischen Interesse, das sich an den
so wenig bekannten Erdraum knüpft, dessen genauere Beschreibung der Gegenstand
der nachfolgenden Blätter ist, tritt in gleichem Maasse anregend hervor das politische
Interesse des allgemeinen Weltverkehrs wie der Culturverhälnisse des Bodens,
welche durch jenen Verkehr mittelbar begünstigt werden. Die reichen atlantischen
Staaten
, die am Ohio und Mississippi, fühlen sich durch den Lauf der Begeben-
heiten gedrängt, die geeignetsten Wege nach den neu errungenen und in den mächtigen
nordamerikanischen Staatenbund aufgenommenen Küstenländern des Stillen
Meeres
zu finden. Diese Küstenländer sind reicher als das Europa gegenüberliegende
östliche Littoral, mit sicheren und schönen Häfen, mit Schiffsbauholz und dem gesuchte-
sten aller Mineralproducte versehen. Die neue Heimath, lange von Mönchen, streng aber
friedlich, regiert, und dem einträglichen Fischotter-Fange geöffnet, ist durch ihre natür-
lichen Verhältnisse und in den Händen einer rastlos thätigen, unternehmenden, intelli-
genten Bevölkerung berufen, eine wichtige Rolle in dem chinesischen, japanischen und
langsam aufkeimenden ost-sibirischen Handel zu spielen.

Wenn zu der Zeit der zweiten Entdeckung von Amerika durch Christoph Co-
lumbus Ackerbau, bürgerliche und staatliche Einrichtungen, weite Verbreitung dersel-
ben Form des religiösen Cultus: wenn Verkehr, durch Kunststrassen über hohe Ge-
birge befördert: monumentale Sculpturen, wie grosse Bauwerke Tempel, Treppen-
Pyramiden. Wohnungen der Fürsten und Befestigungsmittel sich vom mexicanischen
Anahuac bis Chili allein Asien gegenüber, im westlichen Theile des Neuen Conti-
nents, fanden: so war der vielfach grössere, verhältnissmässig flächere, von Flussnetzen
durchzogene, östliche Theil ein Sitz der Wildheit, von Volksstämmen bewohnt, welche,
vereinzelt, selten in Conföderationen zu kriegerischen gemeinsamen Unternehmungen
verbunden, sich fast allein vom Jagdleben und Fischfange ernährten. Dieser sonderbare
alte, nach den Weltgegenden zu bezeichnende Contrast der Cultur und Uncultur
begann aufgehoben zu werden, seitdem in zwei, durch ein halbes Jahrtausend getrenn-
ten Epochen, von dem nördlichsten und südlichsten Theile Europa's aus, das grosse oce-
anische Thal überschritten wurde, welches zwei Continente scheidet. Die erste, scan-
dinavisch-isländische Ansiedelung, veranlasst von Leif, dem Sohne Erik's des Rothen, war
schwach, von vorübergehender Art und sittlich fruchtlos gewesen, ohne alle Einwirkung
auf den Zustand der Eingeborenen, obgleich die amerikanischen Küsten in der kalten
und gemässigten Zone vom drei-und-siebzigsten Grade von der kleinen Gruppe der
west- grönländischen Weiber-Inseln bis zu 41½° der Breite von kühnen christli-
chen Seefahrern besucht wurden.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Vorwort von Alexander von Humboldt. In: Möllhausen, Balduin: Tagebuch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee. Leipzig, 1858, S. [I]-VIII, S. IV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_vorwort_1858/6>, abgerufen am 27.04.2024.