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Humboldt, Alexander von: Vorwort von Alexander von Humboldt. In: Möllhausen, Balduin: Tagebuch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee. Leipzig, 1858, S. [I]-VIII.

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Erst zu der Zeit der zweiten Entdeckung von Amerika, durch Christoph Co-
lumbus, der Entdeckung innerhalb der tropischen Zone, hat sich recht eigentlich eine
Erdhälfte der anderen zu offenbaren angefangen. Des Astronomen und Arztes Toscanelli
alte Verheissung: buscar el lerante por el poniente, den goldreichen Orient durch eine
Schifffahrt nach Westen aufzufinden, wurde erfüllt. Steigt man in der Erinnerung
zu den Weltaltern hinauf, in welchen den Culturvölkern, die das Becken des Mittel-
meeres umwohnten, durch die Gründung von Tartessus und die wichtige Irrfahrt des
Coläus von Samos die gadeirische Pforte, die mittelländische Meerenge, geöffnet wurde:
so erkennt man in derselben ost-westlichen Richtung ein unausgesetztes Streben atlanti-
scher Seefahrer nach der jenseitigen Ferne. Die weltgeschichtlichen Begebenheiten, in
denen sich ein grosser Theil der Menschheit von einer gewissen Gleichmässigkeit der Ten-
denz belebt zeigt, bereiten Grosses langsam und allmälich, aber um so sicherer, vor:
sie entwickeln sich aus einander nach ewigen Gesetzen: ganz wie die, welche walten in
der organischen Natur.

Obgleich die Südsee erst sieben Jahre nach dem Tode des Christoph Columbus
von dem Gipfel der Sierra de Quarequa auf dem Isthmus von Panama durch Vasco
Nundez de Balboa gesehen, und wenige Tage darauf in einem Canot von Alonzo Martin
de Don Benito beschifft wurde, so hatte doch schon Columbus im Jahre 1502, also eilf
Jahre vor Balboa, auf der vierten Reise, in welcher er am meisten die Thatkraft seines
Geistes erwiesen, im Puerto de Retrete an der Ostküste Veragua's eine genaue Kenntniss
von der Existenz der Südsee erhalten. Er bezeichnet in der Carta rarissima vom 7. Ju-
lius 1503, in dem Briefe, in welchem er so poetisch seinen grossartigen Wundertraum
beschreibt, auf das Deutlichste die zwei einander gegenüberliegenden Meere oder, wie der
Sohn in der Lebensbeschreibung des Vaters sagt, die "gesuchte Verengung estre-
cho
des Festlandes". Dieser ihm durch die Eingeborenen offenbarte Ocean sollte
nach seiner Meinung ihn führen nach dem Gold-Chersones des Ptolemäus, nach
dem ost-asiatischen Gewürzlande; dahin, wo einst in grosser Zahl, durch Chronometer
geleitet, nordamerikanische, in San Francisco gebaute Schiffe segeln werden. In einer
Zeit, wo Entwürfe zu riesenhaftem Bau sowohl von Eisenbahnen die geradlinige Ent-
fernung der atlantischen Küste zu der Küste von San Francisco in Californien ist ohn-
gefähr 550 deutsche Meilen, als von oceanischen Canälen: durch den Naipi und Cupi-
ca, durch den Atrato und Rio Truando, durch den Huasacualco und den Chimalapa,
durch den Rio de San Juan und den See Nicaragua, auf das Lebhafteste den Menschen-
geist beschäftigen gedenkt man gern an den ersten kleinen Anfang der Kenntniss vom
Stillen Meere; an das, was Columbus auf seinem Todtenbette davon wissen konnte.
Der grosse, schon von seinen Zeitgenossen, wie ich an einem anderen Orte erwiesen,
halb vergessene Mann, starb in Valladolid den 20. Mai 1506 in dem festen Glauben,
welchen auch noch Amerigo Vespucci bis zu seinem Tode in Sevilla am 22. Februar
1522 theilte, nur Küsten des Continents von Asien und keines neuen Welttheiles

Erst zu der Zeit der zweiten Entdeckung von Amerika, durch Christoph Co-
lumbus, der Entdeckung innerhalb der tropischen Zone, hat sich recht eigentlich eine
Erdhälfte der anderen zu offenbaren angefangen. Des Astronomen und Arztes Toscanelli
alte Verheissung: buscar el lerante por el poniente, den goldreichen Orient durch eine
Schifffahrt nach Westen aufzufinden, wurde erfüllt. Steigt man in der Erinnerung
zu den Weltaltern hinauf, in welchen den Culturvölkern, die das Becken des Mittel-
meeres umwohnten, durch die Gründung von Tartessus und die wichtige Irrfahrt des
Coläus von Samos die gadeirische Pforte, die mittelländische Meerenge, geöffnet wurde:
so erkennt man in derselben ost-westlichen Richtung ein unausgesetztes Streben atlanti-
scher Seefahrer nach der jenseitigen Ferne. Die weltgeschichtlichen Begebenheiten, in
denen sich ein grosser Theil der Menschheit von einer gewissen Gleichmässigkeit der Ten-
denz belebt zeigt, bereiten Grosses langsam und allmälich, aber um so sicherer, vor:
sie entwickeln sich aus einander nach ewigen Gesetzen: ganz wie die, welche walten in
der organischen Natur.

Obgleich die Südsee erst sieben Jahre nach dem Tode des Christoph Columbus
von dem Gipfel der Sierra de Quarequa auf dem Isthmus von Panama durch Vasco
Nuñez de Balboa gesehen, und wenige Tage darauf in einem Canot von Alonzo Martin
de Don Benito beschifft wurde, so hatte doch schon Columbus im Jahre 1502, also eilf
Jahre vor Balboa, auf der vierten Reise, in welcher er am meisten die Thatkraft seines
Geistes erwiesen, im Puerto de Retrete an der Ostküste Veragua's eine genaue Kenntniss
von der Existenz der Südsee erhalten. Er bezeichnet in der Carta rarissima vom 7. Ju-
lius 1503, in dem Briefe, in welchem er so poetisch seinen grossartigen Wundertraum
beschreibt, auf das Deutlichste die zwei einander gegenüberliegenden Meere oder, wie der
Sohn in der Lebensbeschreibung des Vaters sagt, die „gesuchte Verengung estre-
cho
des Festlandes“. Dieser ihm durch die Eingeborenen offenbarte Ocean sollte
nach seiner Meinung ihn führen nach dem Gold-Chersones des Ptolemäus, nach
dem ost-asiatischen Gewürzlande; dahin, wo einst in grosser Zahl, durch Chronometer
geleitet, nordamerikanische, in San Francisco gebaute Schiffe segeln werden. In einer
Zeit, wo Entwürfe zu riesenhaftem Bau sowohl von Eisenbahnen die geradlinige Ent-
fernung der atlantischen Küste zu der Küste von San Francisco in Californien ist ohn-
gefähr 550 deutsche Meilen, als von oceanischen Canälen: durch den Naipi und Cupi-
ca, durch den Atrato und Rio Truando, durch den Huasacualco und den Chimalapa,
durch den Rio de San Juan und den See Nicaragua, auf das Lebhafteste den Menschen-
geist beschäftigen gedenkt man gern an den ersten kleinen Anfang der Kenntniss vom
Stillen Meere; an das, was Columbus auf seinem Todtenbette davon wissen konnte.
Der grosse, schon von seinen Zeitgenossen, wie ich an einem anderen Orte erwiesen,
halb vergessene Mann, starb in Valladolid den 20. Mai 1506 in dem festen Glauben,
welchen auch noch Amerigo Vespucci bis zu seinem Tode in Sevilla am 22. Februar
1522 theilte, nur Küsten des Continents von Asien und keines neuen Welttheiles

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Vorwort von Alexander von Humboldt. In: Möllhausen, Balduin: Tagebuch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee. Leipzig, 1858, S. [I]-VIII, S. V. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_vorwort_1858/7>, abgerufen am 27.04.2024.