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Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913.

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faltung bedarf sie aber der Freiheit, bedarf es
einer gründlichen Reform der monogamen Ehe zur
reinsten Form des Liebeslebens.

Die Sittlichkeitsfrage

Ebenso wichtig, als daß das Verhältnis der Ge-
schlechter in der Ehe ein anderes, höheres werde,
ist es außerhalb der Ehe. Ja, vielleicht noch
wichtiger, denn hier liegen die Wurzeln aller Ver-
wirrung und Verrohung, die in der Auffassung der
sexuellen Frage herrschen, hier liegt der Kernpunkt
der Sittlichkeitsfrage.

Die Jugend, der keinerlei sexuelle Erziehung
zuteil wird, wächst in den primitiven über-
kommenen Anschauungen auf, daß dem Stärkeren,
dem Manne alles gestattet sei. Auch die Mutter
ist so überzeugt davon, sie hält es für eine solche
physische Notwendigkeit, daß der Junge sich "aus-
tobe", sie ist sich so wenig der Gefahren, die er da-
bei läuft und ihrer Pflicht ihn davor zu bewahren,
zu warnen, bewußt, daß sie keinen Finger dazu
rührt. Gute Freunde finden sich, die ihm die Wege
zum Laster weisen. (Wie früh das bereits geschieht,
beweist das von Katharina Scheven auf dem letzten
Deutschen Frauenkongreß zitierte Ergebnis einer
Enquete von Neißer und Meirowsky unter stu-
dierten Männern, derzufolge 33 Prozent von ihnen
bereits auf der Schule, 66 Prozent auf der Uni-

faltung bedarf sie aber der Freiheit, bedarf es
einer gründlichen Reform der monogamen Ehe zur
reinsten Form des Liebeslebens.

Die Sittlichkeitsfrage

Ebenso wichtig, als daß das Verhältnis der Ge-
schlechter in der Ehe ein anderes, höheres werde,
ist es außerhalb der Ehe. Ja, vielleicht noch
wichtiger, denn hier liegen die Wurzeln aller Ver-
wirrung und Verrohung, die in der Auffassung der
sexuellen Frage herrschen, hier liegt der Kernpunkt
der Sittlichkeitsfrage.

Die Jugend, der keinerlei sexuelle Erziehung
zuteil wird, wächst in den primitiven über-
kommenen Anschauungen auf, daß dem Stärkeren,
dem Manne alles gestattet sei. Auch die Mutter
ist so überzeugt davon, sie hält es für eine solche
physische Notwendigkeit, daß der Junge sich „aus-
tobe“, sie ist sich so wenig der Gefahren, die er da-
bei läuft und ihrer Pflicht ihn davor zu bewahren,
zu warnen, bewußt, daß sie keinen Finger dazu
rührt. Gute Freunde finden sich, die ihm die Wege
zum Laster weisen. (Wie früh das bereits geschieht,
beweist das von Katharina Scheven auf dem letzten
Deutschen Frauenkongreß zitierte Ergebnis einer
Enquete von Neißer und Meirowsky unter stu-
dierten Männern, derzufolge 33 Prozent von ihnen
bereits auf der Schule, 66 Prozent auf der Uni-

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[268/0272] faltung bedarf sie aber der Freiheit, bedarf es einer gründlichen Reform der monogamen Ehe zur reinsten Form des Liebeslebens. Die Sittlichkeitsfrage Ebenso wichtig, als daß das Verhältnis der Ge- schlechter in der Ehe ein anderes, höheres werde, ist es außerhalb der Ehe. Ja, vielleicht noch wichtiger, denn hier liegen die Wurzeln aller Ver- wirrung und Verrohung, die in der Auffassung der sexuellen Frage herrschen, hier liegt der Kernpunkt der Sittlichkeitsfrage. Die Jugend, der keinerlei sexuelle Erziehung zuteil wird, wächst in den primitiven über- kommenen Anschauungen auf, daß dem Stärkeren, dem Manne alles gestattet sei. Auch die Mutter ist so überzeugt davon, sie hält es für eine solche physische Notwendigkeit, daß der Junge sich „aus- tobe“, sie ist sich so wenig der Gefahren, die er da- bei läuft und ihrer Pflicht ihn davor zu bewahren, zu warnen, bewußt, daß sie keinen Finger dazu rührt. Gute Freunde finden sich, die ihm die Wege zum Laster weisen. (Wie früh das bereits geschieht, beweist das von Katharina Scheven auf dem letzten Deutschen Frauenkongreß zitierte Ergebnis einer Enquete von Neißer und Meirowsky unter stu- dierten Männern, derzufolge 33 Prozent von ihnen bereits auf der Schule, 66 Prozent auf der Uni-

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-12-07T10:34:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-12-07T10:34:09Z)

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Zitationshilfe: Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913/272>, abgerufen am 28.03.2024.