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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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mich, ich weiß nicht weshalb? ich wünschte, ich weiß nicht was? ich war verstimmt, ich weiß nicht worüber? Unwillkürlich schweiften meine Gedanken nach dem Schlafzimmer der Somnambüle, ich sah den Arzt sich mit ihr beschäftigen, sie berühren. Der geistige Zwang, den in diesem Zustande ein Wesen über das andre sich anmaßt, die schrankenlose Hingebung eines Weibes in den Willen des Mannes kam mir unnatürlich, widerlich vor; und doch wäre ich gerne an der Stelle des Magnetiseurs gewesen. Ich glaubte damals, ich sei nicht fein genug organisirt, um mich in jenes Naturgeheimniß ganz hinein zu fühlen; jetzt, wo ich aus der Erinnerung diese Sachen niederschreibe, muß ich bekennen, daß ich war, was man im gemeinen Leben eifersüchtig nennt. Um mich zu zerstreuen, wollte ich ein Buch aus meiner Kommode nehmen: wer beschreibt meine unangenehme Ueberraschung, als ich ausschloß und in dem Fache zwar was ich suchte fand, aber meine Schatulle nicht sah, die daneben gestanden hatte? Irrte ich mich? Ich kehrte alle meine Sachen um, ich riß die anderen Schubfächer auf, ich schüttelte den Mantelsack aus -- die Schatulle war verschwunden. Ich rannte einigemale, fast ohne Besinnung, auf und nieder, ich schlug mich vor den Kopf, es sprang kein verständiger Gedanke heraus. Heftig riß ich an der Klingel; der Wirth soll kommen! donnerte ich den erschrockenen Jungen an, der, über meinen Ton entsetzt, sich fast rücklings überschlug. Ich bin in Ihrem Haus bestohlen worden, vierzig Pistolen sind mir entwendet!

mich, ich weiß nicht weshalb? ich wünschte, ich weiß nicht was? ich war verstimmt, ich weiß nicht worüber? Unwillkürlich schweiften meine Gedanken nach dem Schlafzimmer der Somnambüle, ich sah den Arzt sich mit ihr beschäftigen, sie berühren. Der geistige Zwang, den in diesem Zustande ein Wesen über das andre sich anmaßt, die schrankenlose Hingebung eines Weibes in den Willen des Mannes kam mir unnatürlich, widerlich vor; und doch wäre ich gerne an der Stelle des Magnetiseurs gewesen. Ich glaubte damals, ich sei nicht fein genug organisirt, um mich in jenes Naturgeheimniß ganz hinein zu fühlen; jetzt, wo ich aus der Erinnerung diese Sachen niederschreibe, muß ich bekennen, daß ich war, was man im gemeinen Leben eifersüchtig nennt. Um mich zu zerstreuen, wollte ich ein Buch aus meiner Kommode nehmen: wer beschreibt meine unangenehme Ueberraschung, als ich ausschloß und in dem Fache zwar was ich suchte fand, aber meine Schatulle nicht sah, die daneben gestanden hatte? Irrte ich mich? Ich kehrte alle meine Sachen um, ich riß die anderen Schubfächer auf, ich schüttelte den Mantelsack aus — die Schatulle war verschwunden. Ich rannte einigemale, fast ohne Besinnung, auf und nieder, ich schlug mich vor den Kopf, es sprang kein verständiger Gedanke heraus. Heftig riß ich an der Klingel; der Wirth soll kommen! donnerte ich den erschrockenen Jungen an, der, über meinen Ton entsetzt, sich fast rücklings überschlug. Ich bin in Ihrem Haus bestohlen worden, vierzig Pistolen sind mir entwendet!

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[0038] mich, ich weiß nicht weshalb? ich wünschte, ich weiß nicht was? ich war verstimmt, ich weiß nicht worüber? Unwillkürlich schweiften meine Gedanken nach dem Schlafzimmer der Somnambüle, ich sah den Arzt sich mit ihr beschäftigen, sie berühren. Der geistige Zwang, den in diesem Zustande ein Wesen über das andre sich anmaßt, die schrankenlose Hingebung eines Weibes in den Willen des Mannes kam mir unnatürlich, widerlich vor; und doch wäre ich gerne an der Stelle des Magnetiseurs gewesen. Ich glaubte damals, ich sei nicht fein genug organisirt, um mich in jenes Naturgeheimniß ganz hinein zu fühlen; jetzt, wo ich aus der Erinnerung diese Sachen niederschreibe, muß ich bekennen, daß ich war, was man im gemeinen Leben eifersüchtig nennt. Um mich zu zerstreuen, wollte ich ein Buch aus meiner Kommode nehmen: wer beschreibt meine unangenehme Ueberraschung, als ich ausschloß und in dem Fache zwar was ich suchte fand, aber meine Schatulle nicht sah, die daneben gestanden hatte? Irrte ich mich? Ich kehrte alle meine Sachen um, ich riß die anderen Schubfächer auf, ich schüttelte den Mantelsack aus — die Schatulle war verschwunden. Ich rannte einigemale, fast ohne Besinnung, auf und nieder, ich schlug mich vor den Kopf, es sprang kein verständiger Gedanke heraus. Heftig riß ich an der Klingel; der Wirth soll kommen! donnerte ich den erschrockenen Jungen an, der, über meinen Ton entsetzt, sich fast rücklings überschlug. Ich bin in Ihrem Haus bestohlen worden, vierzig Pistolen sind mir entwendet!

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/38>, abgerufen am 26.04.2024.