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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Ich bin von jeher ein großer Liebhaber alles Merkwürdigen gewesen, und wenn es mir nach meinen Wünschen im Leben gegangen wäre, so hätte ich die ägyptischen Pyramiden und den Niagarafall sehen müssen. Ich kam aber nicht bis zu diesen Wunderdingen, sondern blieb meistens auf die Wanderung um den runden Tisch meines Studirzimmers beschränkt. Als ich mich eben anschickte, wenigstens die Tour durch Frankreich und Italien zu machen, lernte ich meine nachherige Frau kennen, die mit ihrem Oheim gerade von Neapel über Rom, Mailand und Paris zurückkehrte. Ich wollte die Gelegenheit benutzen, mich aus ihrem Munde über so Manches, was mir, als einem gründlich Reisenden, Noth that, unterrichten zu lassen, und besuchte den Oheim und die Nichte täglich in den Abendstunden. Weiß der Himmel, wie es zuging -- sie hatte noch nicht halb ihren Cursus vollendet, als ich mich schon ganz verliebt fühlte. Ich sagte ihr, was ich in mir entdeckt hatte. Sie lachte anfangs stark über mich (denn sie ist von sehr lustiger Gemühtsart), nachher lachte sie schwächer, späterhin lachte sie gar nicht, und endlich, als ich ihr sagte, ich würde sterben, wenn sie mich nicht erhörte, lachte sie wieder.

Ich bin von jeher ein großer Liebhaber alles Merkwürdigen gewesen, und wenn es mir nach meinen Wünschen im Leben gegangen wäre, so hätte ich die ägyptischen Pyramiden und den Niagarafall sehen müssen. Ich kam aber nicht bis zu diesen Wunderdingen, sondern blieb meistens auf die Wanderung um den runden Tisch meines Studirzimmers beschränkt. Als ich mich eben anschickte, wenigstens die Tour durch Frankreich und Italien zu machen, lernte ich meine nachherige Frau kennen, die mit ihrem Oheim gerade von Neapel über Rom, Mailand und Paris zurückkehrte. Ich wollte die Gelegenheit benutzen, mich aus ihrem Munde über so Manches, was mir, als einem gründlich Reisenden, Noth that, unterrichten zu lassen, und besuchte den Oheim und die Nichte täglich in den Abendstunden. Weiß der Himmel, wie es zuging — sie hatte noch nicht halb ihren Cursus vollendet, als ich mich schon ganz verliebt fühlte. Ich sagte ihr, was ich in mir entdeckt hatte. Sie lachte anfangs stark über mich (denn sie ist von sehr lustiger Gemühtsart), nachher lachte sie schwächer, späterhin lachte sie gar nicht, und endlich, als ich ihr sagte, ich würde sterben, wenn sie mich nicht erhörte, lachte sie wieder.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/9>, abgerufen am 26.04.2024.