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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

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Das Fräulein wollte sich erheben. Münchhau-
sen hielt sie zurück und sagte: Fürchten Sie auch
jetzt nichts, meine Verehrte, von der Sinnlichkeit,
ich habe von diesem Zeitabschnitte nur zu berichten,
was selbst in einer Mädchenpension mit angehört
werden könnte. Es diente damals in der Küche
die alte Wally; wie man sagte, eine natürliche
Tochter von Lucinde Schlegel. Sie hieß bei dem
Gesinde die Zweiflerin, weil sie in ihrer Häßlich-
keit und Welkheit daran verzweifelte, noch einen
Mann zu bekommen.

Wenn man sie reden hörte, so hätte man frei-
lich glauben sollen, daß sie ein ziemlich freies Leben
geführt habe, denn ihre Aeußerungen klangen frech
und unanständig genug. Aber der Kutscher, der
auf seine Weise ein Spötter war, behauptete, er
habe sie von jeher gekannt; sie sei alle ihre Lebtage
über eine garstige Person gewesen und schon deßhalb
von Sünde frei geblieben. Ihre Zoten seien nur
wie die Krankheit der Hühner, wenn sie anfangen,
zu krähen, ohne gleichwohl durch solche Stimmübun-
gen jemals die rechte Hahnenhaftigkeitzu erringen.

Wir hatten bloß ein Titularverhältniß der Küchen-
ordnung gemäß zusammen; ich glaube, daß wir uns

Das Fräulein wollte ſich erheben. Münchhau-
ſen hielt ſie zurück und ſagte: Fürchten Sie auch
jetzt nichts, meine Verehrte, von der Sinnlichkeit,
ich habe von dieſem Zeitabſchnitte nur zu berichten,
was ſelbſt in einer Mädchenpenſion mit angehört
werden könnte. Es diente damals in der Küche
die alte Wally; wie man ſagte, eine natürliche
Tochter von Lucinde Schlegel. Sie hieß bei dem
Geſinde die Zweiflerin, weil ſie in ihrer Häßlich-
keit und Welkheit daran verzweifelte, noch einen
Mann zu bekommen.

Wenn man ſie reden hörte, ſo hätte man frei-
lich glauben ſollen, daß ſie ein ziemlich freies Leben
geführt habe, denn ihre Aeußerungen klangen frech
und unanſtändig genug. Aber der Kutſcher, der
auf ſeine Weiſe ein Spötter war, behauptete, er
habe ſie von jeher gekannt; ſie ſei alle ihre Lebtage
über eine garſtige Perſon geweſen und ſchon deßhalb
von Sünde frei geblieben. Ihre Zoten ſeien nur
wie die Krankheit der Hühner, wenn ſie anfangen,
zu krähen, ohne gleichwohl durch ſolche Stimmübun-
gen jemals die rechte Hahnenhaftigkeitzu erringen.

Wir hatten bloß ein Titularverhältniß der Küchen-
ordnung gemäß zuſammen; ich glaube, daß wir uns

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[222/0230] Das Fräulein wollte ſich erheben. Münchhau- ſen hielt ſie zurück und ſagte: Fürchten Sie auch jetzt nichts, meine Verehrte, von der Sinnlichkeit, ich habe von dieſem Zeitabſchnitte nur zu berichten, was ſelbſt in einer Mädchenpenſion mit angehört werden könnte. Es diente damals in der Küche die alte Wally; wie man ſagte, eine natürliche Tochter von Lucinde Schlegel. Sie hieß bei dem Geſinde die Zweiflerin, weil ſie in ihrer Häßlich- keit und Welkheit daran verzweifelte, noch einen Mann zu bekommen. Wenn man ſie reden hörte, ſo hätte man frei- lich glauben ſollen, daß ſie ein ziemlich freies Leben geführt habe, denn ihre Aeußerungen klangen frech und unanſtändig genug. Aber der Kutſcher, der auf ſeine Weiſe ein Spötter war, behauptete, er habe ſie von jeher gekannt; ſie ſei alle ihre Lebtage über eine garſtige Perſon geweſen und ſchon deßhalb von Sünde frei geblieben. Ihre Zoten ſeien nur wie die Krankheit der Hühner, wenn ſie anfangen, zu krähen, ohne gleichwohl durch ſolche Stimmübun- gen jemals die rechte Hahnenhaftigkeitzu erringen. Wir hatten bloß ein Titularverhältniß der Küchen- ordnung gemäß zuſammen; ich glaube, daß wir uns

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/230>, abgerufen am 30.04.2024.