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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

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aufhört. Demnach tritt denn der großen und merk-
würdigen Erfahrung, die wir an dem halben Kinds-
geiste haben, diejenige nicht kleinere und un-
merkwürdigere Thatsache symmetrisch entgegen,
welche wir hier erleben, nämlich, daß im Zwischen-
reiche auch eine völlige Confusion der Geister mög-
lich ist.

Nach dieser tiefsinnigen Bemerkung bat ich um
die Erlaubniß, allein mit der Schnotterbaum reden
zu dürfen, welche mir auch gegeben wurde, da
Niemand Lust bezeigte, das Verhör jetzt fortzu-
setzen, und der Dämon daher, seines Zwanges ent-
ledigt, aus dem Halse wieder in die Magengegend
hinabsank, wie unsere Kranke sagte. Als die An-
dern das Zimmer verlassen hatten, befragte ich sie,
ob sie mir nicht den wunderbaren Vorgang erklären
könne. Ach, versetzte sie weinend, ich lebe in
großer Qual. Ich werde von Tag zu Tag schwä-
cher, und sehne mich inbrünstig nach meiner Näh-
stub', und nach meinem sonnigen Platz unter den
Rebstöcken, da meine ich, würde mir gleich wieder
wohl werden bei Hohlsaum und Doppelnath. Nun
weiß ich freilich wohl, denn die Herren und der
Dürr sagen es mir ja täglich, daß dieses schwache

aufhört. Demnach tritt denn der großen und merk-
würdigen Erfahrung, die wir an dem halben Kinds-
geiſte haben, diejenige nicht kleinere und un-
merkwürdigere Thatſache ſymmetriſch entgegen,
welche wir hier erleben, nämlich, daß im Zwiſchen-
reiche auch eine völlige Confuſion der Geiſter mög-
lich iſt.

Nach dieſer tiefſinnigen Bemerkung bat ich um
die Erlaubniß, allein mit der Schnotterbaum reden
zu dürfen, welche mir auch gegeben wurde, da
Niemand Luſt bezeigte, das Verhör jetzt fortzu-
ſetzen, und der Dämon daher, ſeines Zwanges ent-
ledigt, aus dem Halſe wieder in die Magengegend
hinabſank, wie unſere Kranke ſagte. Als die An-
dern das Zimmer verlaſſen hatten, befragte ich ſie,
ob ſie mir nicht den wunderbaren Vorgang erklären
könne. Ach, verſetzte ſie weinend, ich lebe in
großer Qual. Ich werde von Tag zu Tag ſchwä-
cher, und ſehne mich inbrünſtig nach meiner Näh-
ſtub’, und nach meinem ſonnigen Platz unter den
Rebſtöcken, da meine ich, würde mir gleich wieder
wohl werden bei Hohlſaum und Doppelnath. Nun
weiß ich freilich wohl, denn die Herren und der
Dürr ſagen es mir ja täglich, daß dieſes ſchwache

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[300/0318] aufhört. Demnach tritt denn der großen und merk- würdigen Erfahrung, die wir an dem halben Kinds- geiſte haben, diejenige nicht kleinere und un- merkwürdigere Thatſache ſymmetriſch entgegen, welche wir hier erleben, nämlich, daß im Zwiſchen- reiche auch eine völlige Confuſion der Geiſter mög- lich iſt. Nach dieſer tiefſinnigen Bemerkung bat ich um die Erlaubniß, allein mit der Schnotterbaum reden zu dürfen, welche mir auch gegeben wurde, da Niemand Luſt bezeigte, das Verhör jetzt fortzu- ſetzen, und der Dämon daher, ſeines Zwanges ent- ledigt, aus dem Halſe wieder in die Magengegend hinabſank, wie unſere Kranke ſagte. Als die An- dern das Zimmer verlaſſen hatten, befragte ich ſie, ob ſie mir nicht den wunderbaren Vorgang erklären könne. Ach, verſetzte ſie weinend, ich lebe in großer Qual. Ich werde von Tag zu Tag ſchwä- cher, und ſehne mich inbrünſtig nach meiner Näh- ſtub’, und nach meinem ſonnigen Platz unter den Rebſtöcken, da meine ich, würde mir gleich wieder wohl werden bei Hohlſaum und Doppelnath. Nun weiß ich freilich wohl, denn die Herren und der Dürr ſagen es mir ja täglich, daß dieſes ſchwache

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/318>, abgerufen am 27.04.2024.