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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

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hat, dem Nächsten, Besten die Hirnschaale zer-
schmettert. Diesem Schicksale wenigstens einiger-
maßen vorzubeugen, setzte er unter dem Vorwande,
daß es in dem von Hitze glühenden Flure kühl
ziehe, seinen Hut auf, obgleich dieß allgemein auf-
fiel. Wirklich war der arme Küster in einer trau-
rigen Lage. Seine Eßlust überstieg wo möglich
noch die des Schirrmeisters, der heutige Tag war
ein solcher, an dem er hatte zeigen wollen, was
Kinnbacken zu leisten vermögen, und nun ging ihm
dieser schöne Traum so häßlich aus. Denn nichts
hindert den Menschen mehr am Schlucken als
Furcht und Angst. Der Küster fühlte sich un-
glaublich gehemmt. Hatte er eben auch in einem
selbstvergessenen Augenblicke einen starken Bissen
zum Munde geführt, etwa eine Hühnerkeule oder
einen Streifen Rindfleisch von der Mächtigkeit einer
halben Hand, siehe! so flog hinter ihm der auf-
wartende Schulmeister, vielleicht eine Kelle in der
Faust, vorbei, und Hühnerkeule oder Rindfleisch-
streifen saßen ihm auf der Stelle fest, verzaubert,
wie Schiffe auf dem Lebermeere, zwischen den
Zähnen. -- Umsonst suchte er durch häufiges Trin-
ken die hinabführenden Wege geschmeidiger zu ma-

hat, dem Nächſten, Beſten die Hirnſchaale zer-
ſchmettert. Dieſem Schickſale wenigſtens einiger-
maßen vorzubeugen, ſetzte er unter dem Vorwande,
daß es in dem von Hitze glühenden Flure kühl
ziehe, ſeinen Hut auf, obgleich dieß allgemein auf-
fiel. Wirklich war der arme Küſter in einer trau-
rigen Lage. Seine Eßluſt überſtieg wo möglich
noch die des Schirrmeiſters, der heutige Tag war
ein ſolcher, an dem er hatte zeigen wollen, was
Kinnbacken zu leiſten vermögen, und nun ging ihm
dieſer ſchöne Traum ſo häßlich aus. Denn nichts
hindert den Menſchen mehr am Schlucken als
Furcht und Angſt. Der Küſter fühlte ſich un-
glaublich gehemmt. Hatte er eben auch in einem
ſelbſtvergeſſenen Augenblicke einen ſtarken Biſſen
zum Munde geführt, etwa eine Hühnerkeule oder
einen Streifen Rindfleiſch von der Mächtigkeit einer
halben Hand, ſiehe! ſo flog hinter ihm der auf-
wartende Schulmeiſter, vielleicht eine Kelle in der
Fauſt, vorbei, und Hühnerkeule oder Rindfleiſch-
ſtreifen ſaßen ihm auf der Stelle feſt, verzaubert,
wie Schiffe auf dem Lebermeere, zwiſchen den
Zähnen. — Umſonſt ſuchte er durch häufiges Trin-
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[100/0114] hat, dem Nächſten, Beſten die Hirnſchaale zer- ſchmettert. Dieſem Schickſale wenigſtens einiger- maßen vorzubeugen, ſetzte er unter dem Vorwande, daß es in dem von Hitze glühenden Flure kühl ziehe, ſeinen Hut auf, obgleich dieß allgemein auf- fiel. Wirklich war der arme Küſter in einer trau- rigen Lage. Seine Eßluſt überſtieg wo möglich noch die des Schirrmeiſters, der heutige Tag war ein ſolcher, an dem er hatte zeigen wollen, was Kinnbacken zu leiſten vermögen, und nun ging ihm dieſer ſchöne Traum ſo häßlich aus. Denn nichts hindert den Menſchen mehr am Schlucken als Furcht und Angſt. Der Küſter fühlte ſich un- glaublich gehemmt. Hatte er eben auch in einem ſelbſtvergeſſenen Augenblicke einen ſtarken Biſſen zum Munde geführt, etwa eine Hühnerkeule oder einen Streifen Rindfleiſch von der Mächtigkeit einer halben Hand, ſiehe! ſo flog hinter ihm der auf- wartende Schulmeiſter, vielleicht eine Kelle in der Fauſt, vorbei, und Hühnerkeule oder Rindfleiſch- ſtreifen ſaßen ihm auf der Stelle feſt, verzaubert, wie Schiffe auf dem Lebermeere, zwiſchen den Zähnen. — Umſonſt ſuchte er durch häufiges Trin- ken die hinabführenden Wege geſchmeidiger zu ma-

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/114>, abgerufen am 30.04.2024.