Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

wurde von Zügen des äußersten Schmerzes und
einer zornigen Verachtung durchschnitten, Ueber-
raschung, Spott, herber Unwille, dieser vielleicht
nicht auf einen einzelnen Menschen, sondern auf
ein unbarmherzig neckendes Geschick, kämpften auf
diesen reinen Wangen, auf dieser edeln Stirn,
wie Sonnenblitze, Regenschauer, fahle Lichter und
tückische Wolkenschatten an manchem Tage kämpfen,
den die Natur ausersehen zu haben scheint, ge-
heime Prozesse unter den Lamien, Empusen und
Lemuren zur Entscheidung zu führen.

Seine Pistole brachte er nicht mit. An dem
Zimmer Münchhausen's schlich er vorbei, scheu wie
ein Verbrecher. Er hielt die Hand den Augen vor,
als fürchte er Jemand zu begegnen. Es war ein
Knarren und Knacken in dem alten wurmfräßigen
Schlosse, als wolle der Baugeist, der es zusam-
mengefügt, ausziehen.

In dem Nebel draußen standen die Gegenstände
unheimlich zu Schemen verschattet. Er wollte eben
den Weg nach der Schloßstraße einschlagen, als ein
wilder Lärmen im Garten seine Schritte einen Au-
genblick lang hemmte. Auf den Gesang des Fräu-
leins, welchen er schon früher von weitem gehört

wurde von Zügen des äußerſten Schmerzes und
einer zornigen Verachtung durchſchnitten, Ueber-
raſchung, Spott, herber Unwille, dieſer vielleicht
nicht auf einen einzelnen Menſchen, ſondern auf
ein unbarmherzig neckendes Geſchick, kämpften auf
dieſen reinen Wangen, auf dieſer edeln Stirn,
wie Sonnenblitze, Regenſchauer, fahle Lichter und
tückiſche Wolkenſchatten an manchem Tage kämpfen,
den die Natur auserſehen zu haben ſcheint, ge-
heime Prozeſſe unter den Lamien, Empuſen und
Lemuren zur Entſcheidung zu führen.

Seine Piſtole brachte er nicht mit. An dem
Zimmer Münchhauſen’s ſchlich er vorbei, ſcheu wie
ein Verbrecher. Er hielt die Hand den Augen vor,
als fürchte er Jemand zu begegnen. Es war ein
Knarren und Knacken in dem alten wurmfräßigen
Schloſſe, als wolle der Baugeiſt, der es zuſam-
mengefügt, ausziehen.

In dem Nebel draußen ſtanden die Gegenſtände
unheimlich zu Schemen verſchattet. Er wollte eben
den Weg nach der Schloßſtraße einſchlagen, als ein
wilder Lärmen im Garten ſeine Schritte einen Au-
genblick lang hemmte. Auf den Geſang des Fräu-
leins, welchen er ſchon früher von weitem gehört

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0403" n="389"/>
wurde von Zügen des äußer&#x017F;ten Schmerzes und<lb/>
einer zornigen Verachtung durch&#x017F;chnitten, Ueber-<lb/>
ra&#x017F;chung, Spott, herber Unwille, die&#x017F;er vielleicht<lb/>
nicht auf einen einzelnen Men&#x017F;chen, &#x017F;ondern auf<lb/>
ein unbarmherzig neckendes Ge&#x017F;chick, kämpften auf<lb/>
die&#x017F;en reinen Wangen, auf die&#x017F;er edeln Stirn,<lb/>
wie Sonnenblitze, Regen&#x017F;chauer, fahle Lichter und<lb/>
tücki&#x017F;che Wolken&#x017F;chatten an manchem Tage kämpfen,<lb/>
den die Natur auser&#x017F;ehen zu haben &#x017F;cheint, ge-<lb/>
heime Proze&#x017F;&#x017F;e unter den Lamien, Empu&#x017F;en und<lb/>
Lemuren zur Ent&#x017F;cheidung zu führen.</p><lb/>
          <p>Seine Pi&#x017F;tole brachte er nicht mit. An dem<lb/>
Zimmer Münchhau&#x017F;en&#x2019;s &#x017F;chlich er vorbei, &#x017F;cheu wie<lb/>
ein Verbrecher. Er hielt die Hand den Augen vor,<lb/>
als fürchte er Jemand zu begegnen. Es war ein<lb/>
Knarren und Knacken in dem alten wurmfräßigen<lb/>
Schlo&#x017F;&#x017F;e, als wolle der Baugei&#x017F;t, der es zu&#x017F;am-<lb/>
mengefügt, ausziehen.</p><lb/>
          <p>In dem Nebel draußen &#x017F;tanden die Gegen&#x017F;tände<lb/>
unheimlich zu Schemen ver&#x017F;chattet. Er wollte eben<lb/>
den Weg nach der Schloß&#x017F;traße ein&#x017F;chlagen, als ein<lb/>
wilder Lärmen im Garten &#x017F;eine Schritte einen Au-<lb/>
genblick lang hemmte. Auf den Ge&#x017F;ang des Fräu-<lb/>
leins, welchen er &#x017F;chon früher von weitem gehört<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[389/0403] wurde von Zügen des äußerſten Schmerzes und einer zornigen Verachtung durchſchnitten, Ueber- raſchung, Spott, herber Unwille, dieſer vielleicht nicht auf einen einzelnen Menſchen, ſondern auf ein unbarmherzig neckendes Geſchick, kämpften auf dieſen reinen Wangen, auf dieſer edeln Stirn, wie Sonnenblitze, Regenſchauer, fahle Lichter und tückiſche Wolkenſchatten an manchem Tage kämpfen, den die Natur auserſehen zu haben ſcheint, ge- heime Prozeſſe unter den Lamien, Empuſen und Lemuren zur Entſcheidung zu führen. Seine Piſtole brachte er nicht mit. An dem Zimmer Münchhauſen’s ſchlich er vorbei, ſcheu wie ein Verbrecher. Er hielt die Hand den Augen vor, als fürchte er Jemand zu begegnen. Es war ein Knarren und Knacken in dem alten wurmfräßigen Schloſſe, als wolle der Baugeiſt, der es zuſam- mengefügt, ausziehen. In dem Nebel draußen ſtanden die Gegenſtände unheimlich zu Schemen verſchattet. Er wollte eben den Weg nach der Schloßſtraße einſchlagen, als ein wilder Lärmen im Garten ſeine Schritte einen Au- genblick lang hemmte. Auf den Geſang des Fräu- leins, welchen er ſchon früher von weitem gehört

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/403
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/403>, abgerufen am 13.05.2024.