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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

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Er ging mit ihr zu dem Taufsteine, auf dessen
Grunde noch etwas von dem heiligen Naß stand,
denn es war vor der Hochzeit schon eine Taufe in
der Kirche gewesen. Sie mußte mit ihm auf den
Grund und in das Wasser hinabsehen. Dann
tauchte er den Finger hinein und netzte erst ihre
und dann seine Stirn.

Um Gotteswillen, was machen Sie? rief sie
ängstlich und wischte rasch die ihr frevelhaft dün-
kende Befeuchtung ab. -- Wiedertäuferei treibe ich,
sagte er wunderbar lächelnd. -- Dieses Wasser
weiht die Geburt zum Leben, und dann geht das
Leben so fort -- lange, lange, heißt Leben und ist
keins -- und dann bricht das wahre Leben auf,
und man sollte dann von neuem taufen. -- Sie
wurde ängstlich in seiner Nähe und stammelte: Kom-
men Sie, ein Ausgang wird durch die Sakristei
zu finden seyn. -- Nein, rief er, erst die Todten-
kronen wollen wir besehen; zwischen Geburt und
Grab erlebt unser Leben sein Leuchtendes, sein
Schönes! -- Er führte sie zu der stattlichsten Tod-
tenkrone am gegenüberstehenden Pfeiler und mur-
melte auf dem Wege mit trunken-irren Blicken
die Stelle von Gray, welche mit seinen übri-

Er ging mit ihr zu dem Taufſteine, auf deſſen
Grunde noch etwas von dem heiligen Naß ſtand,
denn es war vor der Hochzeit ſchon eine Taufe in
der Kirche geweſen. Sie mußte mit ihm auf den
Grund und in das Waſſer hinabſehen. Dann
tauchte er den Finger hinein und netzte erſt ihre
und dann ſeine Stirn.

Um Gotteswillen, was machen Sie? rief ſie
ängſtlich und wiſchte raſch die ihr frevelhaft dün-
kende Befeuchtung ab. — Wiedertäuferei treibe ich,
ſagte er wunderbar lächelnd. — Dieſes Waſſer
weiht die Geburt zum Leben, und dann geht das
Leben ſo fort — lange, lange, heißt Leben und iſt
keins — und dann bricht das wahre Leben auf,
und man ſollte dann von neuem taufen. — Sie
wurde ängſtlich in ſeiner Nähe und ſtammelte: Kom-
men Sie, ein Ausgang wird durch die Sakriſtei
zu finden ſeyn. — Nein, rief er, erſt die Todten-
kronen wollen wir beſehen; zwiſchen Geburt und
Grab erlebt unſer Leben ſein Leuchtendes, ſein
Schönes! — Er führte ſie zu der ſtattlichſten Tod-
tenkrone am gegenüberſtehenden Pfeiler und mur-
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[75/0089] Er ging mit ihr zu dem Taufſteine, auf deſſen Grunde noch etwas von dem heiligen Naß ſtand, denn es war vor der Hochzeit ſchon eine Taufe in der Kirche geweſen. Sie mußte mit ihm auf den Grund und in das Waſſer hinabſehen. Dann tauchte er den Finger hinein und netzte erſt ihre und dann ſeine Stirn. Um Gotteswillen, was machen Sie? rief ſie ängſtlich und wiſchte raſch die ihr frevelhaft dün- kende Befeuchtung ab. — Wiedertäuferei treibe ich, ſagte er wunderbar lächelnd. — Dieſes Waſſer weiht die Geburt zum Leben, und dann geht das Leben ſo fort — lange, lange, heißt Leben und iſt keins — und dann bricht das wahre Leben auf, und man ſollte dann von neuem taufen. — Sie wurde ängſtlich in ſeiner Nähe und ſtammelte: Kom- men Sie, ein Ausgang wird durch die Sakriſtei zu finden ſeyn. — Nein, rief er, erſt die Todten- kronen wollen wir beſehen; zwiſchen Geburt und Grab erlebt unſer Leben ſein Leuchtendes, ſein Schönes! — Er führte ſie zu der ſtattlichſten Tod- tenkrone am gegenüberſtehenden Pfeiler und mur- melte auf dem Wege mit trunken-irren Blicken die Stelle von Gray, welche mit ſeinen übri-

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/89>, abgerufen am 29.04.2024.