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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

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gen Gedanken nicht zusammenhing, und auf welche
ihn nur der Ort bringen konnte: "Viel Trop-
fen reinsten Glanzes bergen des Meeres dun-
kele unermessene Tiefen, viel Blumen brachen
auf, um ungesehen zu blühen und ihre Süße an die
öde Luft zu verschwenden!"

Dachte er an das Mädchen, von dessen Sarge
die strahlende Todtenkrone war? -- Ich weiß es
nicht. -- Flittern und glänzende Ringe hingen an
dünnem Zindel herunter. Er riß zwei Ringe ab
und flüsterte: Ihr seid nur schlechte Reifen, aber
zu köstlichem Gold will ich Euch weihen und hei-
ligen! -- Er steckte, ehe die Lisbeth es verwehren
konnte, ihr den einen und den andern darauf sich
an. Dabei sah er zornig aus, seine Lippen schürzte
ein erhabener Unmuth, er legte seine geballte Faust
dem Mädchen auf den Nacken, als wollte er sie
züchtigen, daß sie seine Seele ihm entwendet habe.
In diesem starken jungen Gemüthe riß die Liebe,
wie ein Waldstrom im Gebirge, tiefe Schluchten
und Spalten.

Oswald! rief sie und trat vor ihm zurück. Es
war das erstemal, daß sie seinen Vornamen nannte. --
Wir können das eben so gut thun, wie die dum-

gen Gedanken nicht zuſammenhing, und auf welche
ihn nur der Ort bringen konnte: „Viel Trop-
fen reinſten Glanzes bergen des Meeres dun-
kele unermeſſene Tiefen, viel Blumen brachen
auf, um ungeſehen zu blühen und ihre Süße an die
öde Luft zu verſchwenden!“

Dachte er an das Mädchen, von deſſen Sarge
die ſtrahlende Todtenkrone war? — Ich weiß es
nicht. — Flittern und glänzende Ringe hingen an
dünnem Zindel herunter. Er riß zwei Ringe ab
und flüſterte: Ihr ſeid nur ſchlechte Reifen, aber
zu köſtlichem Gold will ich Euch weihen und hei-
ligen! — Er ſteckte, ehe die Lisbeth es verwehren
konnte, ihr den einen und den andern darauf ſich
an. Dabei ſah er zornig aus, ſeine Lippen ſchürzte
ein erhabener Unmuth, er legte ſeine geballte Fauſt
dem Mädchen auf den Nacken, als wollte er ſie
züchtigen, daß ſie ſeine Seele ihm entwendet habe.
In dieſem ſtarken jungen Gemüthe riß die Liebe,
wie ein Waldſtrom im Gebirge, tiefe Schluchten
und Spalten.

Oswald! rief ſie und trat vor ihm zurück. Es
war das erſtemal, daß ſie ſeinen Vornamen nannte. —
Wir können das eben ſo gut thun, wie die dum-

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[76/0090] gen Gedanken nicht zuſammenhing, und auf welche ihn nur der Ort bringen konnte: „Viel Trop- fen reinſten Glanzes bergen des Meeres dun- kele unermeſſene Tiefen, viel Blumen brachen auf, um ungeſehen zu blühen und ihre Süße an die öde Luft zu verſchwenden!“ Dachte er an das Mädchen, von deſſen Sarge die ſtrahlende Todtenkrone war? — Ich weiß es nicht. — Flittern und glänzende Ringe hingen an dünnem Zindel herunter. Er riß zwei Ringe ab und flüſterte: Ihr ſeid nur ſchlechte Reifen, aber zu köſtlichem Gold will ich Euch weihen und hei- ligen! — Er ſteckte, ehe die Lisbeth es verwehren konnte, ihr den einen und den andern darauf ſich an. Dabei ſah er zornig aus, ſeine Lippen ſchürzte ein erhabener Unmuth, er legte ſeine geballte Fauſt dem Mädchen auf den Nacken, als wollte er ſie züchtigen, daß ſie ſeine Seele ihm entwendet habe. In dieſem ſtarken jungen Gemüthe riß die Liebe, wie ein Waldſtrom im Gebirge, tiefe Schluchten und Spalten. Oswald! rief ſie und trat vor ihm zurück. Es war das erſtemal, daß ſie ſeinen Vornamen nannte. — Wir können das eben ſo gut thun, wie die dum-

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/90>, abgerufen am 29.04.2024.