Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

Bild:
<< vorherige Seite

Goethe. Sie wirken schön auf meinen Titan, aber nicht als Väter
sondern als Lehrer, nicht als plastische Formen dieser Pflanze sondern
als reifende Sonnen. -- Leben Sie froh, mein Guter! Ich könte Ihnen
so lange erzählen als ein episches Gedicht zum Lesen Zeit nehmen sol,
nämlich 24 Stunden.5

Richter

N B Studieren Sie nie Nachts.

223. An Böttiger.

Hier sendet Ihnen Wieland mit Empfehlung, Dank und Versprechen10
des nachfolgenden Restes die Mondsschrift [!]. -- Wir waren beide
so heiter wie der Himmel. Wäre das Wetterglas in keiner zweideutigen
Bewegung: so macht' ich mir eine nach Gotha. Addio!

R.
224. An Christian Otto.15

Mein guter lieber Otto! Ich wolte, ich hätte meinen wilden Brief
noch im -- Kopfe. 1) Dich anlangend, so ist in meiner ganzen Seele
[182]nicht ein Gedanke, in meinem Herzen kein Blutstropfen, der nicht mit
deinetwegen warm wäre. Ich bitte dich, lasse von deiner dir zu ge-20
wöhnlichen Zeichendeuterei ab, die nie bei mir eintrift. Und weist
du nicht, daß ich dir alles geradezu, auf einmal sage? Ich gebe dir,
aber nicht du mir moralische, wenn auch nicht freundschaftliche
Blösen. Aber unsere Freundschaft hat hoff ich einen Boden, dem Erd-
stösse nichts thun. Es schmerzet mich, Bruder, daß meine Unbesonnen-25
heit dich so verwundet hat. -- Auch die Hiobsklage über das Leben
ist nur leider mit meinen biographischen Farbenkleksen hingeworfen.
Du irrest dich über meine Gegenwart, die eben und hel ist; ich klagte
vielmehr über die zertretene Vergangenheit; der Gedanke des Kriegs,
meines Bruders, der jezigen Frechheit trat noch dazu. Begegnet ist mir30
gar nichts jezt als ein zu gutes Leben. -- Hätt' ich nur eine Frau: so
fragt' ich nach dem Essen, nach dem Gelde und nach 100 andern Dingen
etwas. -- Das übrige mündlich! In dich schneidet leider jeder Spinnen-
faden zu tief ein; ich habe einen Kallus und bliebe sogar heiter, hätt'
ich jene seltene Brief-Minute den ganzen Tag. --35

Goethe. Sie wirken ſchön auf meinen Titan, aber nicht als Väter
ſondern als Lehrer, nicht als plaſtiſche Formen dieſer Pflanze ſondern
als reifende Sonnen. — Leben Sie froh, mein Guter! Ich könte Ihnen
ſo lange erzählen als ein epiſches Gedicht zum Leſen Zeit nehmen ſol,
nämlich 24 Stunden.5

Richter

N B Studieren Sie nie Nachts.

223. An Böttiger.

Hier ſendet Ihnen Wieland mit Empfehlung, Dank und Verſprechen10
des nachfolgenden Reſtes die Mondsſchrift [!]. — Wir waren beide
ſo heiter wie der Himmel. Wäre das Wetterglas in keiner zweideutigen
Bewegung: ſo macht’ ich mir eine nach Gotha. Addio!

R.
224. An Chriſtian Otto.15

Mein guter lieber Otto! Ich wolte, ich hätte meinen wilden Brief
noch im — Kopfe. 1) Dich anlangend, ſo iſt in meiner ganzen Seele
[182]nicht ein Gedanke, in meinem Herzen kein Blutstropfen, der nicht mit
deinetwegen warm wäre. Ich bitte dich, laſſe von deiner dir zu ge-20
wöhnlichen Zeichendeuterei ab, die nie bei mir eintrift. Und weiſt
du nicht, daß ich dir alles geradezu, auf einmal ſage? Ich gebe dir,
aber nicht du mir moraliſche, wenn auch nicht freundſchaftliche
Blöſen. Aber unſere Freundſchaft hat hoff ich einen Boden, dem Erd-
ſtöſſe nichts thun. Es ſchmerzet mich, Bruder, daß meine Unbeſonnen-25
heit dich ſo verwundet hat. — Auch die Hiobsklage über das Leben
iſt nur leider mit meinen biographiſchen Farbenklekſen hingeworfen.
Du irreſt dich über meine Gegenwart, die eben und hel iſt; ich klagte
vielmehr über die zertretene Vergangenheit; der Gedanke des Kriegs,
meines Bruders, der jezigen Frechheit trat noch dazu. Begegnet iſt mir30
gar nichts jezt als ein zu gutes Leben. — Hätt’ ich nur eine Frau: ſo
fragt’ ich nach dem Eſſen, nach dem Gelde und nach 100 andern Dingen
etwas. — Das übrige mündlich! In dich ſchneidet leider jeder Spinnen-
faden zu tief ein; ich habe einen Kallus und bliebe ſogar heiter, hätt’
ich jene ſeltene Brief-Minute den ganzen Tag. —35

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0178" n="164"/><hi rendition="#aq">Goethe.</hi> Sie wirken &#x017F;chön auf meinen <hi rendition="#aq">Titan,</hi> aber nicht als Väter<lb/>
&#x017F;ondern als Lehrer, nicht als pla&#x017F;ti&#x017F;che Formen die&#x017F;er Pflanze &#x017F;ondern<lb/>
als reifende Sonnen. &#x2014; Leben Sie froh, mein Guter! Ich könte Ihnen<lb/>
&#x017F;o lange erzählen als ein epi&#x017F;ches Gedicht zum Le&#x017F;en Zeit nehmen &#x017F;ol,<lb/>
nämlich 24 Stunden.<lb n="5"/>
</p>
        <closer>
          <salute> <hi rendition="#right">Richter</hi> </salute>
        </closer><lb/>
        <postscript>
          <p><hi rendition="#aq">N B</hi> Studieren Sie nie Nachts.</p>
        </postscript>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>223. An <hi rendition="#g">Böttiger.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#right">[Weimar, 12. oder 13. März 1799]</hi> </dateline><lb/>
        <p>Hier &#x017F;endet Ihnen <hi rendition="#aq">Wieland</hi> mit Empfehlung, Dank und Ver&#x017F;prechen<lb n="10"/>
des nachfolgenden Re&#x017F;tes die Monds&#x017F;chrift [!]. &#x2014; Wir waren beide<lb/>
&#x017F;o heiter wie der Himmel. Wäre das Wetterglas in keiner zweideutigen<lb/>
Bewegung: &#x017F;o macht&#x2019; ich mir eine nach <hi rendition="#aq">Gotha.</hi> Addio!</p><lb/>
        <closer>
          <salute> <hi rendition="#right">R.</hi> </salute>
        </closer>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>224. An <hi rendition="#g">Chri&#x017F;tian Otto.</hi><lb n="15"/>
</head>
        <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Weimar</hi> d. 13 März 99.</hi> </dateline><lb/>
        <p>Mein guter lieber Otto! Ich wolte, ich hätte meinen wilden Brief<lb/>
noch im &#x2014; Kopfe. 1) Dich anlangend, &#x017F;o i&#x017F;t in meiner ganzen Seele<lb/><note place="left"><ref target="1922_Bd3_182">[182]</ref></note>nicht ein Gedanke, in meinem Herzen kein Blutstropfen, der nicht mit<lb/>
deinetwegen warm wäre. Ich bitte dich, la&#x017F;&#x017F;e von deiner dir zu ge-<lb n="20"/>
wöhnlichen Zeichendeuterei ab, die nie bei mir eintrift. Und wei&#x017F;t<lb/>
du nicht, daß ich dir alles geradezu, auf einmal &#x017F;age? Ich gebe dir,<lb/>
aber nicht du mir morali&#x017F;che, wenn auch nicht freund&#x017F;chaftliche<lb/>
Blö&#x017F;en. Aber un&#x017F;ere Freund&#x017F;chaft hat hoff ich einen Boden, dem Erd-<lb/>
&#x017F;&#x017F;&#x017F;e nichts thun. Es &#x017F;chmerzet mich, Bruder, daß meine Unbe&#x017F;onnen-<lb n="25"/>
heit dich &#x017F;o verwundet hat. &#x2014; Auch die Hiobsklage über das Leben<lb/>
i&#x017F;t nur leider mit meinen biographi&#x017F;chen Farbenklek&#x017F;en hingeworfen.<lb/>
Du irre&#x017F;t dich über meine Gegenwart, die eben und hel i&#x017F;t; ich klagte<lb/>
vielmehr über die zertretene Vergangenheit; der Gedanke des Kriegs,<lb/>
meines Bruders, der jezigen Frechheit trat noch dazu. Begegnet i&#x017F;t mir<lb n="30"/>
gar nichts jezt als ein zu gutes Leben. &#x2014; Hätt&#x2019; ich nur eine Frau: &#x017F;o<lb/>
fragt&#x2019; ich nach dem E&#x017F;&#x017F;en, nach dem Gelde und nach 100 andern Dingen<lb/>
etwas. &#x2014; Das übrige mündlich! In dich &#x017F;chneidet leider jeder Spinnen-<lb/>
faden zu tief ein; ich habe einen Kallus und bliebe &#x017F;ogar heiter, hätt&#x2019;<lb/>
ich jene &#x017F;eltene Brief-Minute den ganzen Tag. &#x2014;<lb n="35"/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[164/0178] Goethe. Sie wirken ſchön auf meinen Titan, aber nicht als Väter ſondern als Lehrer, nicht als plaſtiſche Formen dieſer Pflanze ſondern als reifende Sonnen. — Leben Sie froh, mein Guter! Ich könte Ihnen ſo lange erzählen als ein epiſches Gedicht zum Leſen Zeit nehmen ſol, nämlich 24 Stunden. 5 Richter N B Studieren Sie nie Nachts. 223. An Böttiger. [Weimar, 12. oder 13. März 1799] Hier ſendet Ihnen Wieland mit Empfehlung, Dank und Verſprechen 10 des nachfolgenden Reſtes die Mondsſchrift [!]. — Wir waren beide ſo heiter wie der Himmel. Wäre das Wetterglas in keiner zweideutigen Bewegung: ſo macht’ ich mir eine nach Gotha. Addio! R. 224. An Chriſtian Otto. 15 Weimar d. 13 März 99. Mein guter lieber Otto! Ich wolte, ich hätte meinen wilden Brief noch im — Kopfe. 1) Dich anlangend, ſo iſt in meiner ganzen Seele nicht ein Gedanke, in meinem Herzen kein Blutstropfen, der nicht mit deinetwegen warm wäre. Ich bitte dich, laſſe von deiner dir zu ge- 20 wöhnlichen Zeichendeuterei ab, die nie bei mir eintrift. Und weiſt du nicht, daß ich dir alles geradezu, auf einmal ſage? Ich gebe dir, aber nicht du mir moraliſche, wenn auch nicht freundſchaftliche Blöſen. Aber unſere Freundſchaft hat hoff ich einen Boden, dem Erd- ſtöſſe nichts thun. Es ſchmerzet mich, Bruder, daß meine Unbeſonnen- 25 heit dich ſo verwundet hat. — Auch die Hiobsklage über das Leben iſt nur leider mit meinen biographiſchen Farbenklekſen hingeworfen. Du irreſt dich über meine Gegenwart, die eben und hel iſt; ich klagte vielmehr über die zertretene Vergangenheit; der Gedanke des Kriegs, meines Bruders, der jezigen Frechheit trat noch dazu. Begegnet iſt mir 30 gar nichts jezt als ein zu gutes Leben. — Hätt’ ich nur eine Frau: ſo fragt’ ich nach dem Eſſen, nach dem Gelde und nach 100 andern Dingen etwas. — Das übrige mündlich! In dich ſchneidet leider jeder Spinnen- faden zu tief ein; ich habe einen Kallus und bliebe ſogar heiter, hätt’ ich jene ſeltene Brief-Minute den ganzen Tag. — 35 [182]

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/178
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/178>, abgerufen am 04.05.2024.