Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

Bild:
<< vorherige Seite

Lebe wohl, mein Bruder! Ich sehne mich täglich bitterer nach dir.
O du hättest keine Entschuldigung, wenn du in ungeänderten Lagen
anders würdest und ich in veränderten derselbe bliebe. -- Bald kan
[52]ich dir den 4bändigen Ancora-Hesperus schicken. -- Es gehe dir wohl
unter deinen geliebten Theuern und besser als deinem Freunde auf5
seinem bewegten Meere!

Richter

Schicke mir die Briefe der B. sogleich zurük.

62. An Präsident von Voelderndorff in Bayreuth.
[Kopie]10

Da der preussische Adler, dem bisher in seiner Mausse einige Federn
ausfielen, mit frischen vom Horst nach der Sonne und dem Licht fliegt.
Sein Verdienst erschwert ihm die Belohnung. Die Regel, daß man
Schulverdienst nicht durch andere Aemter belohnen dürfe, um sie
länger zu haben, ist wider die Moral. Der Staat mus früher auf die15
Gerechtigkeit als auf seinen Nuzen achten, sonst verliert er beide.
Wirds Regel, daß gute Schulmänner ewige bleiben, so wird keiner
mehr ein guter scheinen wollen. Ein guter Schulmeister ist nüzlicher
als ein guter Pfarrer; aber ein guter Pfarrer ist nüzlicher als ein guter
Kollaborator, weil die moralische Bildung nöthiger und schwieriger ist20
als die gelehrte. Haben Sie so viel Freude wie Arbeit.

63. An Charlotte von Kalb in Weimar.
[Kopie]

Was ist ein kaltes flatterndes eine 1/2 Minute redendes Blat, das
nie meine augenbliklichen Gefühle beantwortet, gegen das lebend[ige]25
glühende ewig erwiedernde Beisammensein, wo jeder Blik seine Ant-
wort und jede Freude und Gabe ihre Wiederholung und jeder liebende
Wunsch seinen Ausdruk findet. Nur Kalte haben Briefe erfunden. --
Ihr Herz, das immer ein blauer Horizont umgebe.

64. An Henriette von Schuckmann in Mölln.30
[Kopie]

Obgleich das Menschenherz wie der Magnet durch körperliche
Gegenstände ziehend durchwirkt: so geniesset man doch nicht so freund-

Lebe wohl, mein Bruder! Ich ſehne mich täglich bitterer nach dir.
O du hätteſt keine Entſchuldigung, wenn du in ungeänderten Lagen
anders würdeſt und ich in veränderten derſelbe bliebe. — Bald kan
[52]ich dir den 4bändigen Ancora-Hesperus ſchicken. — Es gehe dir wohl
unter deinen geliebten Theuern und beſſer als deinem Freunde auf5
ſeinem bewegten Meere!

Richter

Schicke mir die Briefe der B. ſogleich zurük.

62. An Präſident von Voelderndorff in Bayreuth.
[Kopie]10

Da der preuſſiſche Adler, dem bisher in ſeiner Mauſſe einige Federn
ausfielen, mit friſchen vom Horſt nach der Sonne und dem Licht fliegt.
Sein Verdienſt erſchwert ihm die Belohnung. Die Regel, daß man
Schulverdienſt nicht durch andere Aemter belohnen dürfe, um ſie
länger zu haben, iſt wider die Moral. Der Staat mus früher auf die15
Gerechtigkeit als auf ſeinen Nuzen achten, ſonſt verliert er beide.
Wirds Regel, daß gute Schulmänner ewige bleiben, ſo wird keiner
mehr ein guter ſcheinen wollen. Ein guter Schulmeiſter iſt nüzlicher
als ein guter Pfarrer; aber ein guter Pfarrer iſt nüzlicher als ein guter
Kollaborator, weil die moraliſche Bildung nöthiger und ſchwieriger iſt20
als die gelehrte. Haben Sie ſo viel Freude wie Arbeit.

63. An Charlotte von Kalb in Weimar.
[Kopie]

Was iſt ein kaltes flatterndes eine ½ Minute redendes Blat, das
nie meine augenbliklichen Gefühle beantwortet, gegen das lebend[ige]25
glühende ewig erwiedernde Beiſammenſein, wo jeder Blik ſeine Ant-
wort und jede Freude und Gabe ihre Wiederholung und jeder liebende
Wunſch ſeinen Ausdruk findet. Nur Kalte haben Briefe erfunden. —
Ihr Herz, das immer ein blauer Horizont umgebe.

64. An Henriette von Schuckmann in Mölln.30
[Kopie]

Obgleich das Menſchenherz wie der Magnet durch körperliche
Gegenſtände ziehend durchwirkt: ſo genieſſet man doch nicht ſo freund-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0055" n="48"/>
          <p>Lebe wohl, mein Bruder! Ich &#x017F;ehne mich täglich bitterer nach dir.<lb/>
O du hätte&#x017F;t keine Ent&#x017F;chuldigung, wenn du in ungeänderten Lagen<lb/><hi rendition="#g">anders</hi> würde&#x017F;t und ich in veränderten <hi rendition="#g">der&#x017F;elbe</hi> bliebe. &#x2014; Bald kan<lb/><note place="left"><ref target="1922_Bd3_52">[52]</ref></note>ich dir den 4bändigen <hi rendition="#aq">Ancora-Hesperus</hi> &#x017F;chicken. &#x2014; Es gehe dir wohl<lb/>
unter deinen geliebten Theuern und be&#x017F;&#x017F;er als deinem Freunde auf<lb n="5"/>
&#x017F;einem bewegten Meere!</p><lb/>
          <closer>
            <salute> <hi rendition="#right">Richter</hi> </salute>
          </closer><lb/>
          <postscript>
            <p>Schicke mir die Briefe der <hi rendition="#aq">B.</hi> &#x017F;ogleich zurük.</p>
          </postscript>
        </div>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>62. An <hi rendition="#g">Prä&#x017F;ident von Voelderndorff in Bayreuth.</hi></head><lb/>
        <note type="editorial">[Kopie]</note>
        <dateline> <hi rendition="#right">[Leipzig, 27. Febr. 1798]</hi> </dateline>
        <lb n="10"/>
        <p>Da der preu&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Adler, dem bisher in &#x017F;einer Mau&#x017F;&#x017F;e einige Federn<lb/>
ausfielen, mit fri&#x017F;chen vom Hor&#x017F;t nach der Sonne und dem Licht fliegt.<lb/>
Sein Verdien&#x017F;t er&#x017F;chwert ihm die Belohnung. Die Regel, daß man<lb/>
Schulverdien&#x017F;t nicht durch andere Aemter belohnen dürfe, um &#x017F;ie<lb/>
länger zu haben, i&#x017F;t wider die Moral. Der Staat mus früher auf die<lb n="15"/>
Gerechtigkeit als auf &#x017F;einen Nuzen achten, &#x017F;on&#x017F;t verliert er beide.<lb/>
Wirds Regel, daß gute Schulmänner ewige bleiben, &#x017F;o wird keiner<lb/>
mehr ein guter &#x017F;cheinen wollen. Ein guter Schulmei&#x017F;ter i&#x017F;t nüzlicher<lb/>
als ein guter Pfarrer; aber ein guter Pfarrer i&#x017F;t nüzlicher als ein guter<lb/>
Kollaborator, weil die morali&#x017F;che Bildung nöthiger und &#x017F;chwieriger i&#x017F;t<lb n="20"/>
als die gelehrte. Haben Sie &#x017F;o viel Freude wie Arbeit.</p>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>63. An <hi rendition="#g">Charlotte von Kalb in Weimar.</hi></head><lb/>
        <note type="editorial">[Kopie]</note>
        <dateline> <hi rendition="#right">[Leipzig, 27. Febr. 1798]</hi> </dateline><lb/>
        <p>Was i&#x017F;t ein kaltes flatterndes eine ½ Minute redendes Blat, das<lb/>
nie meine augenbliklichen Gefühle beantwortet, gegen das lebend[ige]<lb n="25"/>
glühende ewig erwiedernde Bei&#x017F;ammen&#x017F;ein, wo jeder Blik &#x017F;eine Ant-<lb/>
wort und jede Freude und Gabe ihre Wiederholung und jeder liebende<lb/>
Wun&#x017F;ch &#x017F;einen Ausdruk findet. Nur Kalte haben Briefe erfunden. &#x2014;<lb/>
Ihr Herz, das immer ein blauer Horizont umgebe.</p>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>64. An <hi rendition="#g">Henriette von Schuckmann in Mölln.</hi><lb n="30"/>
</head>
        <note type="editorial">[Kopie]</note>
        <dateline> <hi rendition="#right">[Leipzig, 27. Febr. 1798]</hi> </dateline><lb/>
        <p>Obgleich das Men&#x017F;chenherz wie der Magnet durch körperliche<lb/>
Gegen&#x017F;tände ziehend durchwirkt: &#x017F;o genie&#x017F;&#x017F;et man doch nicht &#x017F;o freund-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0055] Lebe wohl, mein Bruder! Ich ſehne mich täglich bitterer nach dir. O du hätteſt keine Entſchuldigung, wenn du in ungeänderten Lagen anders würdeſt und ich in veränderten derſelbe bliebe. — Bald kan ich dir den 4bändigen Ancora-Hesperus ſchicken. — Es gehe dir wohl unter deinen geliebten Theuern und beſſer als deinem Freunde auf 5 ſeinem bewegten Meere! [52] Richter Schicke mir die Briefe der B. ſogleich zurük. 62. An Präſident von Voelderndorff in Bayreuth. [Leipzig, 27. Febr. 1798] 10 Da der preuſſiſche Adler, dem bisher in ſeiner Mauſſe einige Federn ausfielen, mit friſchen vom Horſt nach der Sonne und dem Licht fliegt. Sein Verdienſt erſchwert ihm die Belohnung. Die Regel, daß man Schulverdienſt nicht durch andere Aemter belohnen dürfe, um ſie länger zu haben, iſt wider die Moral. Der Staat mus früher auf die 15 Gerechtigkeit als auf ſeinen Nuzen achten, ſonſt verliert er beide. Wirds Regel, daß gute Schulmänner ewige bleiben, ſo wird keiner mehr ein guter ſcheinen wollen. Ein guter Schulmeiſter iſt nüzlicher als ein guter Pfarrer; aber ein guter Pfarrer iſt nüzlicher als ein guter Kollaborator, weil die moraliſche Bildung nöthiger und ſchwieriger iſt 20 als die gelehrte. Haben Sie ſo viel Freude wie Arbeit. 63. An Charlotte von Kalb in Weimar. [Leipzig, 27. Febr. 1798] Was iſt ein kaltes flatterndes eine ½ Minute redendes Blat, das nie meine augenbliklichen Gefühle beantwortet, gegen das lebend[ige] 25 glühende ewig erwiedernde Beiſammenſein, wo jeder Blik ſeine Ant- wort und jede Freude und Gabe ihre Wiederholung und jeder liebende Wunſch ſeinen Ausdruk findet. Nur Kalte haben Briefe erfunden. — Ihr Herz, das immer ein blauer Horizont umgebe. 64. An Henriette von Schuckmann in Mölln. 30 [Leipzig, 27. Febr. 1798] Obgleich das Menſchenherz wie der Magnet durch körperliche Gegenſtände ziehend durchwirkt: ſo genieſſet man doch nicht ſo freund-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/55
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/55>, abgerufen am 30.04.2024.