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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

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Leben Sie ruhig, mein Geliebter und geben Sie mir bald eine Zeile
der Liebe!

J. P. F. Richter

Mein Logis ist beim Buchbinder Rüger neben der Nikolaikirche.

92. An Wilhelmine von Kropff in Bayreuth.5
[Kopie]

Indem ich ihn [Pfenninger] empfehlen sol, mus ich mich erst
selbst empfehlen, da Sie nicht bei mir wie bei den Kindern das
Schweigen unter die Tugenden rechnen. Die Höfer Freunde und
Leipziger Fremden [?] haben mir das Dintenfas verstekt und aus-10
gegossen.



93. An Christian Otto.

Lieber Otto! Gestern kam ich an, daher wil ich dir heute noch nichts
über den Dresdener Flor, Verfal, Populazion und Moralität etc.15
schreiben, sondern über den Leipziger.

Unter der Messe wurd ich so besucht als stände ich ausser dem Thore
und mässe entweder 2 Schuh oder 8. Ich wil dich mit keinem Passagier-
zettel von flachen Orkusschatten behängen sondern im Kalender nur
einige Heiligennamen roth schreiben. Ich sah Matzdorf, der nicht20
eigennüzig (eher grosmüthig aus Schwäche) sondern fürchterlich-
furchtsam ist (sein schlechter Druk war nur Angst, nicht Gewinsucht)
weich, wohlwollend und mit dem man machen kan was man wil d. h.
sol; ich lieb ihn und seine Mutter und Frau, die beide hel, entschlossen
und verbindlich sind. -- Dan v. Retzer aus Wien, dessen Wienerische25
[70]ungelenke Treuherzigkeit mehr moralisch- als ästhetisch-vortheilhaft
gegen die Berl[inischen] und Sächs[ischen] schnellen Evoluzionen,
gegen die Doppelzüngigkeit und Vielfüssigkeit ihrer Ideen abstach. --
Dan Merkel, ein junges zartes, dan Morgenstern, ein schwärme-
risches liebes Mängen -- dan Kanzlerin v. Bose, sanft, bescheiden,30
schön, und ein Gegenstand meines Verliebens, sie sol aber den weib-
lichen Ehrenpunkt wie einen Gefrierpunkt behandeln und scheuen. --
Dan Böttiger, Bertuch, Becker (den Reichs-Anzeiger und Noth- und
Hülfs Autor, mat und mittelmässig), Legazionsrath Matthäi aus

Leben Sie ruhig, mein Geliebter und geben Sie mir bald eine Zeile
der Liebe!

J. P. F. Richter

Mein Logis iſt beim Buchbinder Rüger neben der Nikolaikirche.

92. An Wilhelmine von Kropff in Bayreuth.5
[Kopie]

Indem ich ihn [Pfenninger] empfehlen ſol, mus ich mich erſt
ſelbſt empfehlen, da Sie nicht bei mir wie bei den Kindern das
Schweigen unter die Tugenden rechnen. Die Höfer Freunde und
Leipziger Fremden [?] haben mir das Dintenfas verſtekt und aus-10
gegoſſen.



93. An Chriſtian Otto.

Lieber Otto! Geſtern kam ich an, daher wil ich dir heute noch nichts
über den Dresdener Flor, Verfal, Populazion und Moralität ꝛc.15
ſchreiben, ſondern über den Leipziger.

Unter der Meſſe wurd ich ſo beſucht als ſtände ich auſſer dem Thore
und mäſſe entweder 2 Schuh oder 8. Ich wil dich mit keinem Paſſagier-
zettel von flachen Orkusſchatten behängen ſondern im Kalender nur
einige Heiligennamen roth ſchreiben. Ich ſah Matzdorf, der nicht20
eigennüzig (eher grosmüthig aus Schwäche) ſondern fürchterlich-
furchtſam iſt (ſein ſchlechter Druk war nur Angſt, nicht Gewinſucht)
weich, wohlwollend und mit dem man machen kan was man wil d. h.
ſol; ich lieb ihn und ſeine Mutter und Frau, die beide hel, entſchloſſen
und verbindlich ſind. — Dan v. Retzer aus Wien, deſſen Wieneriſche25
[70]ungelenke Treuherzigkeit mehr moraliſch- als äſthetiſch-vortheilhaft
gegen die Berl[iniſchen] und Sächſ[iſchen] ſchnellen Evoluzionen,
gegen die Doppelzüngigkeit und Vielfüſſigkeit ihrer Ideen abſtach. —
Dan Merkel, ein junges zartes, dan Morgenſtern, ein ſchwärme-
riſches liebes Mängen — dan Kanzlerin v. Boſe, ſanft, beſcheiden,30
ſchön, und ein Gegenſtand meines Verliebens, ſie ſol aber den weib-
lichen Ehrenpunkt wie einen Gefrierpunkt behandeln und ſcheuen. —
Dan Böttiger, Bertuch, Becker (den Reichs-Anzeiger und Noth- und
Hülfs Autor, mat und mittelmäſſig), Legazionsrath Matthäi aus

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[64/0071] Leben Sie ruhig, mein Geliebter und geben Sie mir bald eine Zeile der Liebe! J. P. F. Richter Mein Logis iſt beim Buchbinder Rüger neben der Nikolaikirche. 92. An Wilhelmine von Kropff in Bayreuth. 5 [Leipzig, 12. Mai 1798] Indem ich ihn [Pfenninger] empfehlen ſol, mus ich mich erſt ſelbſt empfehlen, da Sie nicht bei mir wie bei den Kindern das Schweigen unter die Tugenden rechnen. Die Höfer Freunde und Leipziger Fremden [?] haben mir das Dintenfas verſtekt und aus- 10 gegoſſen. 93. An Chriſtian Otto. Dresden d. 16 Mai 98 [Mittwoch]. Lieber Otto! Geſtern kam ich an, daher wil ich dir heute noch nichts über den Dresdener Flor, Verfal, Populazion und Moralität ꝛc. 15 ſchreiben, ſondern über den Leipziger. Unter der Meſſe wurd ich ſo beſucht als ſtände ich auſſer dem Thore und mäſſe entweder 2 Schuh oder 8. Ich wil dich mit keinem Paſſagier- zettel von flachen Orkusſchatten behängen ſondern im Kalender nur einige Heiligennamen roth ſchreiben. Ich ſah Matzdorf, der nicht 20 eigennüzig (eher grosmüthig aus Schwäche) ſondern fürchterlich- furchtſam iſt (ſein ſchlechter Druk war nur Angſt, nicht Gewinſucht) weich, wohlwollend und mit dem man machen kan was man wil d. h. ſol; ich lieb ihn und ſeine Mutter und Frau, die beide hel, entſchloſſen und verbindlich ſind. — Dan v. Retzer aus Wien, deſſen Wieneriſche 25 ungelenke Treuherzigkeit mehr moraliſch- als äſthetiſch-vortheilhaft gegen die Berl[iniſchen] und Sächſ[iſchen] ſchnellen Evoluzionen, gegen die Doppelzüngigkeit und Vielfüſſigkeit ihrer Ideen abſtach. — Dan Merkel, ein junges zartes, dan Morgenſtern, ein ſchwärme- riſches liebes Mängen — dan Kanzlerin v. Boſe, ſanft, beſcheiden, 30 ſchön, und ein Gegenſtand meines Verliebens, ſie ſol aber den weib- lichen Ehrenpunkt wie einen Gefrierpunkt behandeln und ſcheuen. — Dan Böttiger, Bertuch, Becker (den Reichs-Anzeiger und Noth- und Hülfs Autor, mat und mittelmäſſig), Legazionsrath Matthäi aus [70]

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/71>, abgerufen am 30.04.2024.