Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

Bild:
<< vorherige Seite

Dessau (ein gereister gelehrter Biederman) Reichard und seine Frau
mit der schönen Nase und den Teufel und seine Grosmutter. Ich as
zweimal an einer table ronde, deren eine Hemisphäre Autoren (Rezer,
Böttiger, Bertuch, Zink, etc.) und deren andere, als musculi antagoni-
stae
, Buchhändler umrangen, Vieweg, Unger, Decker jun., Fromman,5
Hartknoch, Nikolovius etc. etc. etc. Lauter gebildete, feine Freie; aber
dem Hartknoch gab ich meine Seele; er ist ein Freund Klingers, dessen
neustes Buch er mir schenkte und ich dir schicken werde.


Klinger, sein Freund, hat eine natürliche Tochter des Fürsten (Orlof10
denk' ich) und ist Oberster. Er preiset mein Kampanerthal; und der
Hesperus sol den Hartknoch, wie er sagt, durch die erste Lektüre von
Siberien errettet, nämlich ihn so erhoben haben, daß er mit der Freiheit
für sich sprach, die ihm die seinige wieder gab. -- Jakobi's Sohn
ehelicht Asmus Tochter. -- Die Palingenesien bekomst du noch vor15
Johannis, und der Hesperus wird jezt gebunden. --

Von Dresden wil ich noch nichts ausheben als den Abgussaal, der
sich gestern wie eine neue Welt in mich drängte und die alte halb er-
drükte. Du tritst in einen langen lichten hohen gewölbten Saal, durch
den 2 Alleen von Säulen laufen. Zwischen den Säulen ruhen die alten20
Götter, die ihre Grabes Erde oder ihre Himmelswolken abgeworfen
haben und die uns eine heilige seelige stille Welt in ihrer Gestalt und
in unserer Brust aufdecken. Du findest da den Unterschied zwischen der
Schönheit eines Menschen und der Schönheit eines Gottes; jene be-
wegt, obwohl sanft, noch der Wunsch und die Scheu; aber diese ruhet[71]25
fest und einfach wie der blaue Aether vor der Welt und der Zeit und
die Ruhe der Volendung, nicht der Ermüdung blikt im Auge und öfnet
die Lippen. So oft ich künftig über grosse oder schöne Gegenstände
schreibe, werden diese Götter vor mich treten und mir die Geseze der
Schönheit geben. Leider hat so gar der gemilderte Faun Aehnlichkeit30
mit der Wirklichkeit, gegen die einen die affektlosen schönen Formen ein-
nehmen. Jezt kenn ich die Griechen und vergesse sie nie wieder. --

Über die neuen Weltkugeln und Weltsonnen in der Bildergallerie
solst du noch astronomische Ephemeriden haben. -- Die Strasse von
Meissen läuft zwischen einem langen gebognen Hügelrücken und der35
breiten gebognen Elbe herlich hin. Betritst du die Dresdner Brücke, so
liegen Palläste wie Städte, vor dir, und neben dir eine Elbe, die aus

5 Jean Paul Briefe. III.

Deſſau (ein gereiſter gelehrter Biederman) Reichard und ſeine Frau
mit der ſchönen Naſe und den Teufel und ſeine Grosmutter. Ich as
zweimal an einer table ronde, deren eine Hemiſphäre Autoren (Rezer,
Böttiger, Bertuch, Zink, ꝛc.) und deren andere, als musculi antagoni-
stae
, Buchhändler umrangen, Vieweg, Unger, Decker jun., Fromman,5
Hartknoch, Nikolovius ꝛc. ꝛc. ꝛc. Lauter gebildete, feine Freie; aber
dem Hartknoch gab ich meine Seele; er iſt ein Freund Klingers, deſſen
neuſtes Buch er mir ſchenkte und ich dir ſchicken werde.


Klinger, ſein Freund, hat eine natürliche Tochter des Fürſten (Orlof10
denk’ ich) und iſt Oberſter. Er preiſet mein Kampanerthal; und der
Heſperus ſol den Hartknoch, wie er ſagt, durch die erſte Lektüre von
Siberien errettet, nämlich ihn ſo erhoben haben, daß er mit der Freiheit
für ſich ſprach, die ihm die ſeinige wieder gab. — Jakobi’s Sohn
ehelicht Asmus Tochter. — Die Palingenesien bekomſt du noch vor15
Johannis, und der Hesperus wird jezt gebunden. —

Von Dresden wil ich noch nichts ausheben als den Abgusſaal, der
ſich geſtern wie eine neue Welt in mich drängte und die alte halb er-
drükte. Du tritſt in einen langen lichten hohen gewölbten Saal, durch
den 2 Alleen von Säulen laufen. Zwiſchen den Säulen ruhen die alten20
Götter, die ihre Grabes Erde oder ihre Himmelswolken abgeworfen
haben und die uns eine heilige ſeelige ſtille Welt in ihrer Geſtalt und
in unſerer Bruſt aufdecken. Du findeſt da den Unterſchied zwiſchen der
Schönheit eines Menſchen und der Schönheit eines Gottes; jene be-
wegt, obwohl ſanft, noch der Wunſch und die Scheu; aber dieſe ruhet[71]25
feſt und einfach wie der blaue Aether vor der Welt und der Zeit und
die Ruhe der Volendung, nicht der Ermüdung blikt im Auge und öfnet
die Lippen. So oft ich künftig über groſſe oder ſchöne Gegenſtände
ſchreibe, werden dieſe Götter vor mich treten und mir die Geſeze der
Schönheit geben. Leider hat ſo gar der gemilderte Faun Aehnlichkeit30
mit der Wirklichkeit, gegen die einen die affektloſen ſchönen Formen ein-
nehmen. Jezt kenn ich die Griechen und vergeſſe ſie nie wieder. —

Über die neuen Weltkugeln und Weltſonnen in der Bildergallerie
ſolſt du noch aſtronomiſche Ephemeriden haben. — Die Straſſe von
Meiſſen läuft zwiſchen einem langen gebognen Hügelrücken und der35
breiten gebognen Elbe herlich hin. Betritſt du die Dresdner Brücke, ſo
liegen Palläſte wie Städte, vor dir, und neben dir eine Elbe, die aus

5 Jean Paul Briefe. III.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0073" n="65"/>
De&#x017F;&#x017F;au (ein gerei&#x017F;ter gelehrter Biederman) Reichard und &#x017F;eine Frau<lb/>
mit der &#x017F;chönen Na&#x017F;e und den Teufel und &#x017F;eine Grosmutter. Ich as<lb/>
zweimal an einer <hi rendition="#aq">table ronde,</hi> deren eine Hemi&#x017F;phäre Autoren (Rezer,<lb/>
Böttiger, Bertuch, Zink, &#xA75B;c.) und deren andere, als <hi rendition="#aq">musculi antagoni-<lb/>
stae</hi>, Buchhändler umrangen, Vieweg, Unger, Decker <hi rendition="#aq">jun.</hi>, Fromman,<lb n="5"/>
Hartknoch, Nikolovius &#xA75B;c. &#xA75B;c. &#xA75B;c. Lauter gebildete, feine Freie; aber<lb/>
dem Hartknoch gab ich meine Seele; er i&#x017F;t ein Freund Klingers, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
neu&#x017F;tes Buch er mir &#x017F;chenkte und ich dir &#x017F;chicken werde.</p><lb/>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#right">17 Mai</hi> </dateline><lb/>
          <p>Klinger, &#x017F;ein Freund, hat eine natürliche Tochter des Für&#x017F;ten (Orlof<lb n="10"/>
denk&#x2019; ich) und i&#x017F;t Ober&#x017F;ter. Er prei&#x017F;et mein Kampanerthal; und der<lb/>
He&#x017F;perus &#x017F;ol den Hartknoch, wie er &#x017F;agt, durch die er&#x017F;te Lektüre von<lb/>
Siberien errettet, nämlich ihn &#x017F;o erhoben haben, daß er mit der Freiheit<lb/>
für &#x017F;ich &#x017F;prach, die ihm die &#x017F;einige wieder gab. &#x2014; Jakobi&#x2019;s Sohn<lb/>
ehelicht Asmus Tochter. &#x2014; Die <hi rendition="#aq">Palingenesien</hi> bekom&#x017F;t du noch vor<lb n="15"/>
Johannis, und der <hi rendition="#aq">Hesperus</hi> wird jezt gebunden. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Von Dresden wil ich noch nichts ausheben als den Abgus&#x017F;aal, der<lb/>
&#x017F;ich ge&#x017F;tern wie eine neue Welt in mich drängte und die alte halb er-<lb/>
drükte. Du trit&#x017F;t in einen langen lichten hohen gewölbten Saal, durch<lb/>
den 2 Alleen von Säulen laufen. Zwi&#x017F;chen den Säulen ruhen die alten<lb n="20"/>
Götter, die ihre Grabes Erde oder ihre Himmelswolken abgeworfen<lb/>
haben und die uns eine heilige &#x017F;eelige &#x017F;tille Welt in ihrer Ge&#x017F;talt und<lb/>
in un&#x017F;erer Bru&#x017F;t aufdecken. Du finde&#x017F;t da den Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen der<lb/>
Schönheit eines Men&#x017F;chen und der Schönheit eines Gottes; jene be-<lb/>
wegt, obwohl &#x017F;anft, noch der Wun&#x017F;ch und die Scheu; aber die&#x017F;e ruhet<note place="right"><ref target="1922_Bd3_71">[71]</ref></note><lb n="25"/>
fe&#x017F;t und einfach wie der blaue Aether vor der Welt und der Zeit und<lb/>
die Ruhe der Volendung, nicht der Ermüdung blikt im Auge und öfnet<lb/>
die Lippen. So oft ich künftig über gro&#x017F;&#x017F;e oder &#x017F;chöne Gegen&#x017F;tände<lb/>
&#x017F;chreibe, werden die&#x017F;e Götter vor mich treten und mir die Ge&#x017F;eze der<lb/>
Schönheit geben. Leider hat &#x017F;o gar der gemilderte Faun Aehnlichkeit<lb n="30"/>
mit der Wirklichkeit, gegen die einen die affektlo&#x017F;en &#x017F;chönen Formen ein-<lb/>
nehmen. Jezt kenn ich die Griechen und verge&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ie nie wieder. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Über die neuen Weltkugeln und Welt&#x017F;onnen in der Bildergallerie<lb/>
&#x017F;ol&#x017F;t du noch a&#x017F;tronomi&#x017F;che Ephemeriden haben. &#x2014; Die Stra&#x017F;&#x017F;e von<lb/>
Mei&#x017F;&#x017F;en läuft zwi&#x017F;chen einem langen gebognen Hügelrücken und der<lb n="35"/>
breiten gebognen Elbe herlich hin. Betrit&#x017F;t du die Dresdner Brücke, &#x017F;o<lb/>
liegen Pallä&#x017F;te wie Städte, vor dir, und neben dir eine Elbe, die aus<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">5 Jean Paul Briefe. <hi rendition="#aq">III.</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0073] Deſſau (ein gereiſter gelehrter Biederman) Reichard und ſeine Frau mit der ſchönen Naſe und den Teufel und ſeine Grosmutter. Ich as zweimal an einer table ronde, deren eine Hemiſphäre Autoren (Rezer, Böttiger, Bertuch, Zink, ꝛc.) und deren andere, als musculi antagoni- stae, Buchhändler umrangen, Vieweg, Unger, Decker jun., Fromman, 5 Hartknoch, Nikolovius ꝛc. ꝛc. ꝛc. Lauter gebildete, feine Freie; aber dem Hartknoch gab ich meine Seele; er iſt ein Freund Klingers, deſſen neuſtes Buch er mir ſchenkte und ich dir ſchicken werde. 17 Mai Klinger, ſein Freund, hat eine natürliche Tochter des Fürſten (Orlof 10 denk’ ich) und iſt Oberſter. Er preiſet mein Kampanerthal; und der Heſperus ſol den Hartknoch, wie er ſagt, durch die erſte Lektüre von Siberien errettet, nämlich ihn ſo erhoben haben, daß er mit der Freiheit für ſich ſprach, die ihm die ſeinige wieder gab. — Jakobi’s Sohn ehelicht Asmus Tochter. — Die Palingenesien bekomſt du noch vor 15 Johannis, und der Hesperus wird jezt gebunden. — Von Dresden wil ich noch nichts ausheben als den Abgusſaal, der ſich geſtern wie eine neue Welt in mich drängte und die alte halb er- drükte. Du tritſt in einen langen lichten hohen gewölbten Saal, durch den 2 Alleen von Säulen laufen. Zwiſchen den Säulen ruhen die alten 20 Götter, die ihre Grabes Erde oder ihre Himmelswolken abgeworfen haben und die uns eine heilige ſeelige ſtille Welt in ihrer Geſtalt und in unſerer Bruſt aufdecken. Du findeſt da den Unterſchied zwiſchen der Schönheit eines Menſchen und der Schönheit eines Gottes; jene be- wegt, obwohl ſanft, noch der Wunſch und die Scheu; aber dieſe ruhet 25 feſt und einfach wie der blaue Aether vor der Welt und der Zeit und die Ruhe der Volendung, nicht der Ermüdung blikt im Auge und öfnet die Lippen. So oft ich künftig über groſſe oder ſchöne Gegenſtände ſchreibe, werden dieſe Götter vor mich treten und mir die Geſeze der Schönheit geben. Leider hat ſo gar der gemilderte Faun Aehnlichkeit 30 mit der Wirklichkeit, gegen die einen die affektloſen ſchönen Formen ein- nehmen. Jezt kenn ich die Griechen und vergeſſe ſie nie wieder. — [71] Über die neuen Weltkugeln und Weltſonnen in der Bildergallerie ſolſt du noch aſtronomiſche Ephemeriden haben. — Die Straſſe von Meiſſen läuft zwiſchen einem langen gebognen Hügelrücken und der 35 breiten gebognen Elbe herlich hin. Betritſt du die Dresdner Brücke, ſo liegen Palläſte wie Städte, vor dir, und neben dir eine Elbe, die aus 5 Jean Paul Briefe. III.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/73
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/73>, abgerufen am 30.04.2024.