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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

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den Bal nicht richtiger zurükwirft als durch spielende Persiflage. Sie
geleitete inzwischen in der Abendluft noch den Verfasser des Hesperus
auf die schönste Höhe (um selber eine zu sein) und schön ist ihr Gesicht
und am schönsten ihr Kleopatra's Auge: daher ich immer zu ihr sagte:
"ich glaubte ihr kein Wort, ausser wenn sie mich ansähe" --5


Am gelehrten Mitwochs-souper assen Loder, Batsch, der jüngere
Hufeland, Fichte, die andern weis ich nicht. Fichte ist klein (ich dachte
mir ihn lang) bescheiden und bestimt, aber ohne genialische Auszeich-
nung. Er hat fast die Physiognomie von Schreiner in Leipzig. Ich10
werde überal liebend behandelt, besonders von Schüze. Ach ich rede
bei den Leuten zu sehr in den Tag hinein und scheere mich um zu wenig.
Meine freundlichen Tischreden in Dresden zur Schlegel sollen wie
Herder erzählt, die Gebrüder Schlegel zur Umarbeitung ja sogar zum
Umdruk ihres Urtheils über mich genöthigt haben. --15

Die Herder sind noch liebender gegen mich als sonst. Er hatte meine
Palingenesien in einigen Tagen gelesen, deren leichter Wechsel ihn
für sie besticht. Ich solte bei ihm logieren. -- Wir fuhren gestern nach
Tieffurth zur Herzogin Mutter.

20

"Ich schreibe hier in Wielands weiten Mantel vor Kälte ein-
gewickelt, den mir seine Frau mitgegeben, an meinen Fatis für dich
weiter" -- so wolt' ich vor mehrerern [!] Tagen schreiben; denn ich
reise schon zum 2ten mal mit nichts anderem versehen aus als mit
gar -- nichts; blos im Sommerrok und mit Taschen vol Schuhen und25
Wäsche, ohne Mantelsak und ohne alles.

Gegenwärtige Türkisch-Papier-Färberei hab' ich mit Kaffee zu
Stande gebracht.

Ich wil wieder zurükgehen, einiges von Jena nachholen und so
hieherkommen.30

Indes von Jena hab ich nichts mehr übrig als meine Dumheit, im
[99]Mitwochs Souper vor Schüze und Hufeland zu sagen, daß die
Litt[eratur] Zeitung keinem Künstler etwas helfe, und darüber zu
streiten. Schlegel, gegen den Fichte und alle sprachen -- wie hier und
welches Gebrüder Wieland die Dioskuren nach der Heinsischen Über-35
sezung nent, nämlich die Götterbuben, oft sagt er Zwillingsbuben,
weil sie ihn nur einen ästhetischen Oekonomen nennen -- ist philo-

den Bal nicht richtiger zurükwirft als durch ſpielende Perſiflage. Sie
geleitete inzwiſchen in der Abendluft noch den Verfaſſer des Hesperus
auf die ſchönſte Höhe (um ſelber eine zu ſein) und ſchön iſt ihr Geſicht
und am ſchönſten ihr Kleopatra’s Auge: daher ich immer zu ihr ſagte:
„ich glaubte ihr kein Wort, auſſer wenn ſie mich anſähe“ —5


Am gelehrten Mitwochs-souper aſſen Loder, Batſch, der jüngere
Hufeland, Fichte, die andern weis ich nicht. Fichte iſt klein (ich dachte
mir ihn lang) beſcheiden und beſtimt, aber ohne genialiſche Auszeich-
nung. Er hat faſt die Phyſiognomie von Schreiner in Leipzig. Ich10
werde überal liebend behandelt, beſonders von Schüze. Ach ich rede
bei den Leuten zu ſehr in den Tag hinein und ſcheere mich um zu wenig.
Meine freundlichen Tiſchreden in Dresden zur Schlegel ſollen wie
Herder erzählt, die Gebrüder Schlegel zur Umarbeitung ja ſogar zum
Umdruk ihres Urtheils über mich genöthigt haben. —15

Die Herder ſind noch liebender gegen mich als ſonſt. Er hatte meine
Palingenesien in einigen Tagen geleſen, deren leichter Wechſel ihn
für ſie beſticht. Ich ſolte bei ihm logieren. — Wir fuhren geſtern nach
Tieffurth zur Herzogin Mutter.

20

„Ich ſchreibe hier in Wielands weiten Mantel vor Kälte ein-
gewickelt, den mir ſeine Frau mitgegeben, an meinen Fatis für dich
weiter“ — ſo wolt’ ich vor mehrerern [!] Tagen ſchreiben; denn ich
reiſe ſchon zum 2ten mal mit nichts anderem verſehen aus als mit
gar — nichts; blos im Sommerrok und mit Taſchen vol Schuhen und25
Wäſche, ohne Mantelſak und ohne alles.

Gegenwärtige Türkiſch-Papier-Färberei hab’ ich mit Kaffée zu
Stande gebracht.

Ich wil wieder zurükgehen, einiges von Jena nachholen und ſo
hieherkommen.30

Indes von Jena hab ich nichts mehr übrig als meine Dumheit, im
[99]Mitwochs Souper vor Schüze und Hufeland zu ſagen, daß die
Litt[eratur] Zeitung keinem Künſtler etwas helfe, und darüber zu
ſtreiten. Schlegel, gegen den Fichte und alle ſprachen — wie hier und
welches Gebrüder Wieland die Dioſkuren nach der Heinſiſchen Über-35
ſezung nent, nämlich die Götterbuben, oft ſagt er Zwillingsbuben,
weil ſie ihn nur einen äſthetiſchen Oekonomen nennen — iſt philo-

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[90/0099] den Bal nicht richtiger zurükwirft als durch ſpielende Perſiflage. Sie geleitete inzwiſchen in der Abendluft noch den Verfaſſer des Hesperus auf die ſchönſte Höhe (um ſelber eine zu ſein) und ſchön iſt ihr Geſicht und am ſchönſten ihr Kleopatra’s Auge: daher ich immer zu ihr ſagte: „ich glaubte ihr kein Wort, auſſer wenn ſie mich anſähe“ — 5 d. 24 Aug. Am gelehrten Mitwochs-souper aſſen Loder, Batſch, der jüngere Hufeland, Fichte, die andern weis ich nicht. Fichte iſt klein (ich dachte mir ihn lang) beſcheiden und beſtimt, aber ohne genialiſche Auszeich- nung. Er hat faſt die Phyſiognomie von Schreiner in Leipzig. Ich 10 werde überal liebend behandelt, beſonders von Schüze. Ach ich rede bei den Leuten zu ſehr in den Tag hinein und ſcheere mich um zu wenig. Meine freundlichen Tiſchreden in Dresden zur Schlegel ſollen wie Herder erzählt, die Gebrüder Schlegel zur Umarbeitung ja ſogar zum Umdruk ihres Urtheils über mich genöthigt haben. — 15 Die Herder ſind noch liebender gegen mich als ſonſt. Er hatte meine Palingenesien in einigen Tagen geleſen, deren leichter Wechſel ihn für ſie beſticht. Ich ſolte bei ihm logieren. — Wir fuhren geſtern nach Tieffurth zur Herzogin Mutter. Weimar Donnerſtags 30 Aug. 20 „Ich ſchreibe hier in Wielands weiten Mantel vor Kälte ein- gewickelt, den mir ſeine Frau mitgegeben, an meinen Fatis für dich weiter“ — ſo wolt’ ich vor mehrerern [!] Tagen ſchreiben; denn ich reiſe ſchon zum 2ten mal mit nichts anderem verſehen aus als mit gar — nichts; blos im Sommerrok und mit Taſchen vol Schuhen und 25 Wäſche, ohne Mantelſak und ohne alles. Gegenwärtige Türkiſch-Papier-Färberei hab’ ich mit Kaffée zu Stande gebracht. Ich wil wieder zurükgehen, einiges von Jena nachholen und ſo hieherkommen. 30 Indes von Jena hab ich nichts mehr übrig als meine Dumheit, im Mitwochs Souper vor Schüze und Hufeland zu ſagen, daß die Litt[eratur] Zeitung keinem Künſtler etwas helfe, und darüber zu ſtreiten. Schlegel, gegen den Fichte und alle ſprachen — wie hier und welches Gebrüder Wieland die Dioſkuren nach der Heinſiſchen Über- 35 ſezung nent, nämlich die Götterbuben, oft ſagt er Zwillingsbuben, weil ſie ihn nur einen äſthetiſchen Oekonomen nennen — iſt philo- [99]

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/99>, abgerufen am 30.04.2024.