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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
serer Betrachtung gemacht haben, muß uns lehren, daß wir
es hier nicht mit einer rein äußerlichen Erscheinung, sondern
mit einem Gegenstand von tief innerlicher Bedeutung zu thun
haben. Hätte die Rechtsphilosophie oder die positiv-romanisti-
sche Jurisprudenz, die beide die dringendste Veranlassung hat-
ten, diese Bedeutung festzustellen, sich der Aufgabe unterzogen,
ich würde nicht nöthig haben, mir auch hier wieder durch eine
Untersuchung allgemeinerer Art den Weg zur historischen Dar-
stellung zu bahnen. Allein der Rechtsphilosophie war die Frage
wohl zu speciell und stofflich und der positiven Jurisprudenz
umgekehrt zu abstract, 648) und so glaube ich nicht an ihr vor-
übergehen zu dürfen.


Der Gegensatz von Inhalt und Form wird wie von den
Dingen der äußern Natur, so auch von denen des Geistes ge-
braucht, wir sprechen von den Formen der Gefühle, des Gedan-
kens, des Willens u. s. w. und verstehen darunter die Mittel,
in denen die inneren Vorgänge, Ideen, Empfindungen, Ent-
schlüsse u. s. w. Ausdruck und äußere Existenz gewinnen. In
beiden Anwendungen aber hat der Gegensatz keine reale Exi-
stenz: er ist nichts als eine Abstraction; unter Form verstehen
wir den Inhalt von Seiten seiner Sichtbarkeit. Eben darum
aber setzt die Form stets den Inhalt voraus; es gibt weder
einen Inhalt ohne Form, noch eine Form ohne Inhalt. Der
Schein des Gegentheils hängt mit dem Wechsel der Form
zusammen; der schließlichen Form, die wir dem Inhalt ent-

648) Der einzige, der sie meines Wissens berührt und, wie nicht an-
ders zu erwarten, in höchst beachtenswerther Weise, ist Savigny System III
S. 238 und Oblig. R. II 218. Erst nach Abschluß der folgenden Dar-
stellung ist mir eine eigne Schrift über den Gegenstand: von Völderndorf
Die Form der Rechtsgeschäfte u. s. w., Nördlingen 1857, zugegangen. Sie
hat mir keinen Anlaß gegeben an meiner Darstellung irgend etwas zu ändern,
so wenig ich damit im übrigen dem guten Willen, der sich in ihr ausspricht,
die Anerkennung versagen will.

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
ſerer Betrachtung gemacht haben, muß uns lehren, daß wir
es hier nicht mit einer rein äußerlichen Erſcheinung, ſondern
mit einem Gegenſtand von tief innerlicher Bedeutung zu thun
haben. Hätte die Rechtsphiloſophie oder die poſitiv-romaniſti-
ſche Jurisprudenz, die beide die dringendſte Veranlaſſung hat-
ten, dieſe Bedeutung feſtzuſtellen, ſich der Aufgabe unterzogen,
ich würde nicht nöthig haben, mir auch hier wieder durch eine
Unterſuchung allgemeinerer Art den Weg zur hiſtoriſchen Dar-
ſtellung zu bahnen. Allein der Rechtsphiloſophie war die Frage
wohl zu ſpeciell und ſtofflich und der poſitiven Jurisprudenz
umgekehrt zu abſtract, 648) und ſo glaube ich nicht an ihr vor-
übergehen zu dürfen.


Der Gegenſatz von Inhalt und Form wird wie von den
Dingen der äußern Natur, ſo auch von denen des Geiſtes ge-
braucht, wir ſprechen von den Formen der Gefühle, des Gedan-
kens, des Willens u. ſ. w. und verſtehen darunter die Mittel,
in denen die inneren Vorgänge, Ideen, Empfindungen, Ent-
ſchlüſſe u. ſ. w. Ausdruck und äußere Exiſtenz gewinnen. In
beiden Anwendungen aber hat der Gegenſatz keine reale Exi-
ſtenz: er iſt nichts als eine Abſtraction; unter Form verſtehen
wir den Inhalt von Seiten ſeiner Sichtbarkeit. Eben darum
aber ſetzt die Form ſtets den Inhalt voraus; es gibt weder
einen Inhalt ohne Form, noch eine Form ohne Inhalt. Der
Schein des Gegentheils hängt mit dem Wechſel der Form
zuſammen; der ſchließlichen Form, die wir dem Inhalt ent-

648) Der einzige, der ſie meines Wiſſens berührt und, wie nicht an-
ders zu erwarten, in höchſt beachtenswerther Weiſe, iſt Savigny Syſtem III
S. 238 und Oblig. R. II 218. Erſt nach Abſchluß der folgenden Dar-
ſtellung iſt mir eine eigne Schrift über den Gegenſtand: von Völderndorf
Die Form der Rechtsgeſchäfte u. ſ. w., Nördlingen 1857, zugegangen. Sie
hat mir keinen Anlaß gegeben an meiner Darſtellung irgend etwas zu ändern,
ſo wenig ich damit im übrigen dem guten Willen, der ſich in ihr ausſpricht,
die Anerkennung verſagen will.
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[498/0204] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. ſerer Betrachtung gemacht haben, muß uns lehren, daß wir es hier nicht mit einer rein äußerlichen Erſcheinung, ſondern mit einem Gegenſtand von tief innerlicher Bedeutung zu thun haben. Hätte die Rechtsphiloſophie oder die poſitiv-romaniſti- ſche Jurisprudenz, die beide die dringendſte Veranlaſſung hat- ten, dieſe Bedeutung feſtzuſtellen, ſich der Aufgabe unterzogen, ich würde nicht nöthig haben, mir auch hier wieder durch eine Unterſuchung allgemeinerer Art den Weg zur hiſtoriſchen Dar- ſtellung zu bahnen. Allein der Rechtsphiloſophie war die Frage wohl zu ſpeciell und ſtofflich und der poſitiven Jurisprudenz umgekehrt zu abſtract, 648) und ſo glaube ich nicht an ihr vor- übergehen zu dürfen. Der Gegenſatz von Inhalt und Form wird wie von den Dingen der äußern Natur, ſo auch von denen des Geiſtes ge- braucht, wir ſprechen von den Formen der Gefühle, des Gedan- kens, des Willens u. ſ. w. und verſtehen darunter die Mittel, in denen die inneren Vorgänge, Ideen, Empfindungen, Ent- ſchlüſſe u. ſ. w. Ausdruck und äußere Exiſtenz gewinnen. In beiden Anwendungen aber hat der Gegenſatz keine reale Exi- ſtenz: er iſt nichts als eine Abſtraction; unter Form verſtehen wir den Inhalt von Seiten ſeiner Sichtbarkeit. Eben darum aber ſetzt die Form ſtets den Inhalt voraus; es gibt weder einen Inhalt ohne Form, noch eine Form ohne Inhalt. Der Schein des Gegentheils hängt mit dem Wechſel der Form zuſammen; der ſchließlichen Form, die wir dem Inhalt ent- 648) Der einzige, der ſie meines Wiſſens berührt und, wie nicht an- ders zu erwarten, in höchſt beachtenswerther Weiſe, iſt Savigny Syſtem III S. 238 und Oblig. R. II 218. Erſt nach Abſchluß der folgenden Dar- ſtellung iſt mir eine eigne Schrift über den Gegenſtand: von Völderndorf Die Form der Rechtsgeſchäfte u. ſ. w., Nördlingen 1857, zugegangen. Sie hat mir keinen Anlaß gegeben an meiner Darſtellung irgend etwas zu ändern, ſo wenig ich damit im übrigen dem guten Willen, der ſich in ihr ausſpricht, die Anerkennung verſagen will.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/204>, abgerufen am 29.03.2024.