Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
ebenfalls begegnen, wenn sie nämlich darnach eingerichtet ist (Errichtung des Geschäfts vor der Obrigkeit, Zeugen u. s. w.), allein sie braucht es nicht, dieser Vortheil gehört also zur Classe der besonderen.
Jene sind in den meisten Fällen durch die Parthei selbst ver- schuldet; die objective Zweifelhaftigkeit, Unklarheit des Rechts- geschäfts ist regelmäßig nur die Folge der subjectiven Unklar- heit, sei es des Denkens und Wollens oder des Sprechens. Der Handelnde wollte z. B. dem Gegner nur den Gebrauch einer Servitut (precaria juris possessio) einräumen, aber er hat sich so ausgedrückt, als habe er beabsichtigt ihm die Servitut selbst zu gewähren. Ober der Handelnde war sich dieses recht- lichen Unterschiedes und der Nothwendigkeit der Entscheidung für die eine oder andere Möglichkeit gar nicht bewußt, und sein Wille oscillirte, so zu sagen, in aller Naivität zwischen beiden in der Mitte.
Diese doppelte Unklarheit und in ihr eine der reichsten Quellen der Processe völlig auszuschließen, liegt nun zwar außerhalb der Macht des Rechts. Aber viel, sehr viel kann im- merhin zu diesem Zweck geschehen theils durch freie Thätigkeit des Verkehrs (Benutzung stehender Formulare, Zuziehung von Juristen) theils durch eine Einrichtung des Rechts, und diese Einrichtung ist keine andere, als unser Formalismus. Ich bin gezwungen gewesen, diesen eigenthümlichen Nutzen der Form schon öfter gelegentlich zu berühren (S. 15, 347, 354), und ich will den Vergleich, den ich früher gebraucht habe, wieder auf- nehmen und weiter durchführen.
Die Form ist für die Rechtsgeschäfte, was das Gepräge für die Münzen. Wie das Gepräge uns die Prüfung des Metallgehaltes, Gewichtes, kurz des Werthes der Münze erspart, zu der wir bei ungeprägtem Metall, wenn es zur Zahlung verwandt werden sollte, gezwungen wären, so überhebt die Form den Richter der Mühe der Untersuchung, ob ein Rechtsgeschäft beabsichtigt ist, und wenn für verschiedene
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
ebenfalls begegnen, wenn ſie nämlich darnach eingerichtet iſt (Errichtung des Geſchäfts vor der Obrigkeit, Zeugen u. ſ. w.), allein ſie braucht es nicht, dieſer Vortheil gehört alſo zur Claſſe der beſonderen.
Jene ſind in den meiſten Fällen durch die Parthei ſelbſt ver- ſchuldet; die objective Zweifelhaftigkeit, Unklarheit des Rechts- geſchäfts iſt regelmäßig nur die Folge der ſubjectiven Unklar- heit, ſei es des Denkens und Wollens oder des Sprechens. Der Handelnde wollte z. B. dem Gegner nur den Gebrauch einer Servitut (precaria juris possessio) einräumen, aber er hat ſich ſo ausgedrückt, als habe er beabſichtigt ihm die Servitut ſelbſt zu gewähren. Ober der Handelnde war ſich dieſes recht- lichen Unterſchiedes und der Nothwendigkeit der Entſcheidung für die eine oder andere Möglichkeit gar nicht bewußt, und ſein Wille oscillirte, ſo zu ſagen, in aller Naivität zwiſchen beiden in der Mitte.
Dieſe doppelte Unklarheit und in ihr eine der reichſten Quellen der Proceſſe völlig auszuſchließen, liegt nun zwar außerhalb der Macht des Rechts. Aber viel, ſehr viel kann im- merhin zu dieſem Zweck geſchehen theils durch freie Thätigkeit des Verkehrs (Benutzung ſtehender Formulare, Zuziehung von Juriſten) theils durch eine Einrichtung des Rechts, und dieſe Einrichtung iſt keine andere, als unſer Formalismus. Ich bin gezwungen geweſen, dieſen eigenthümlichen Nutzen der Form ſchon öfter gelegentlich zu berühren (S. 15, 347, 354), und ich will den Vergleich, den ich früher gebraucht habe, wieder auf- nehmen und weiter durchführen.
Die Form iſt für die Rechtsgeſchäfte, was das Gepräge für die Münzen. Wie das Gepräge uns die Prüfung des Metallgehaltes, Gewichtes, kurz des Werthes der Münze erſpart, zu der wir bei ungeprägtem Metall, wenn es zur Zahlung verwandt werden ſollte, gezwungen wären, ſo überhebt die Form den Richter der Mühe der Unterſuchung, ob ein Rechtsgeſchäft beabſichtigt iſt, und wenn für verſchiedene
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Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
ebenfalls begegnen, wenn ſie nämlich darnach eingerichtet iſt
(Errichtung des Geſchäfts vor der Obrigkeit, Zeugen u. ſ. w.),
allein ſie braucht es nicht, dieſer Vortheil gehört alſo zur
Claſſe der beſonderen.
Jene ſind in den meiſten Fällen durch die Parthei ſelbſt ver-
ſchuldet; die objective Zweifelhaftigkeit, Unklarheit des Rechts-
geſchäfts iſt regelmäßig nur die Folge der ſubjectiven Unklar-
heit, ſei es des Denkens und Wollens oder des Sprechens.
Der Handelnde wollte z. B. dem Gegner nur den Gebrauch
einer Servitut (precaria juris possessio) einräumen, aber er
hat ſich ſo ausgedrückt, als habe er beabſichtigt ihm die Servitut
ſelbſt zu gewähren. Ober der Handelnde war ſich dieſes recht-
lichen Unterſchiedes und der Nothwendigkeit der Entſcheidung
für die eine oder andere Möglichkeit gar nicht bewußt, und ſein
Wille oscillirte, ſo zu ſagen, in aller Naivität zwiſchen beiden
in der Mitte.
Dieſe doppelte Unklarheit und in ihr eine der reichſten
Quellen der Proceſſe völlig auszuſchließen, liegt nun zwar
außerhalb der Macht des Rechts. Aber viel, ſehr viel kann im-
merhin zu dieſem Zweck geſchehen theils durch freie Thätigkeit
des Verkehrs (Benutzung ſtehender Formulare, Zuziehung von
Juriſten) theils durch eine Einrichtung des Rechts, und dieſe
Einrichtung iſt keine andere, als unſer Formalismus. Ich bin
gezwungen geweſen, dieſen eigenthümlichen Nutzen der Form
ſchon öfter gelegentlich zu berühren (S. 15, 347, 354), und ich
will den Vergleich, den ich früher gebraucht habe, wieder auf-
nehmen und weiter durchführen.
Die Form iſt für die Rechtsgeſchäfte, was das
Gepräge für die Münzen. Wie das Gepräge uns die
Prüfung des Metallgehaltes, Gewichtes, kurz des Werthes der
Münze erſpart, zu der wir bei ungeprägtem Metall, wenn es
zur Zahlung verwandt werden ſollte, gezwungen wären, ſo
überhebt die Form den Richter der Mühe der Unterſuchung, ob
ein Rechtsgeſchäft beabſichtigt iſt, und wenn für verſchiedene
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/226>, abgerufen am 16.06.2024.
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