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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46.
diesen nicht. Warum nicht? Weil er eine Scheinvindication war,
die Vindication aber für diese Personen, da sie nichts Eignes
haben konnten, eine Unmöglichkeit enthielt. Ganz consequent
vom Standpunkt der Form aus, allein dem materiellen We-
sen des Rechtsgeschäfts als eines Erwerbsactes durchaus
nicht entsprechend. So kam das wunderliche Resultat heraus,
daß jene Personen ihrem Herrn durch letztwillige Verfügung
eines Dritten auch diese Rechte erwerben konnten, 694) nicht
aber durch Rechtsgeschäft; daß sie Erbschaften für ihn antreten,
Landgüter und alle möglichen Sachen und auch die wichtigsten
der Servituten ihm verschaffen konnten, nicht aber die minder
wichtigen derselben. Eben darin aber, daß es minder wichtige
Rechte waren, mag der Grund gelegen haben, daß man hier
der Form eine Concession machte; hätte es bedeutendere In-
teressen gegolten, man würde sich dazu schwerlich verstanden
haben.

Bei dem Testament durften alle mit dem familiae emtor
durch das Band der väterlichen Gewalt verbundenen Personen
(Söhne, Brüder, Vater) nicht als Zeugen fungiren, 695) wohl
aber die eingesetzten Erben und Legatare und alle ihnen in der-
selben Weise verbundenen Personen. 696) Warum? Das Te-
stament war formell ein Geschäft zwischen Testator und familiae
emtor.
Ursprünglich, so lange man noch dem Erben selbst die
Familia mancipirte, hatte der Satz Sinn, allein als dies auf-

stracter Bezeichnung desselben (ajo rem domini esse) als auf den Spre-
chenden selbst (ajo rem meam esse) denken. Letztere Fassung hätte eine Un-
genauigkeit oder richtiger Unwahrheit enthalten, denn cum istarum perso-
narum nihil suum esse possit, conveniens est scilicet ut nihil (suum
esse) in jure vindicare possint Gaj. II,
96 und können wir hinzusetzen:
ut nihil suo nomine mancipio accipere possint.
694) Vat. fragm. §. 51.
695) Gaj. II §. 105, 106: domesticum testimonium. Ulp. XX
§. 3--5.
696) Gaj. II, 108. Cic. pro Milone c. 18.
Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 36

Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46.
dieſen nicht. Warum nicht? Weil er eine Scheinvindication war,
die Vindication aber für dieſe Perſonen, da ſie nichts Eignes
haben konnten, eine Unmöglichkeit enthielt. Ganz conſequent
vom Standpunkt der Form aus, allein dem materiellen We-
ſen des Rechtsgeſchäfts als eines Erwerbsactes durchaus
nicht entſprechend. So kam das wunderliche Reſultat heraus,
daß jene Perſonen ihrem Herrn durch letztwillige Verfügung
eines Dritten auch dieſe Rechte erwerben konnten, 694) nicht
aber durch Rechtsgeſchäft; daß ſie Erbſchaften für ihn antreten,
Landgüter und alle möglichen Sachen und auch die wichtigſten
der Servituten ihm verſchaffen konnten, nicht aber die minder
wichtigen derſelben. Eben darin aber, daß es minder wichtige
Rechte waren, mag der Grund gelegen haben, daß man hier
der Form eine Conceſſion machte; hätte es bedeutendere In-
tereſſen gegolten, man würde ſich dazu ſchwerlich verſtanden
haben.

Bei dem Teſtament durften alle mit dem familiae emtor
durch das Band der väterlichen Gewalt verbundenen Perſonen
(Söhne, Brüder, Vater) nicht als Zeugen fungiren, 695) wohl
aber die eingeſetzten Erben und Legatare und alle ihnen in der-
ſelben Weiſe verbundenen Perſonen. 696) Warum? Das Te-
ſtament war formell ein Geſchäft zwiſchen Teſtator und familiae
emtor.
Urſprünglich, ſo lange man noch dem Erben ſelbſt die
Familia mancipirte, hatte der Satz Sinn, allein als dies auf-

ſtracter Bezeichnung deſſelben (ajo rem domini esse) als auf den Spre-
chenden ſelbſt (ajo rem meam esse) denken. Letztere Faſſung hätte eine Un-
genauigkeit oder richtiger Unwahrheit enthalten, denn cum istarum perso-
narum nihil suum esse possit, conveniens est scilicet ut nihil (suum
esse) in jure vindicare possint Gaj. II,
96 und können wir hinzuſetzen:
ut nihil suo nomine mancipio accipere possint.
694) Vat. fragm. §. 51.
695) Gaj. II §. 105, 106: domesticum testimonium. Ulp. XX
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696) Gaj. II, 108. Cic. pro Milone c. 18.
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[561/0267] Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. dieſen nicht. Warum nicht? Weil er eine Scheinvindication war, die Vindication aber für dieſe Perſonen, da ſie nichts Eignes haben konnten, eine Unmöglichkeit enthielt. Ganz conſequent vom Standpunkt der Form aus, allein dem materiellen We- ſen des Rechtsgeſchäfts als eines Erwerbsactes durchaus nicht entſprechend. So kam das wunderliche Reſultat heraus, daß jene Perſonen ihrem Herrn durch letztwillige Verfügung eines Dritten auch dieſe Rechte erwerben konnten, 694) nicht aber durch Rechtsgeſchäft; daß ſie Erbſchaften für ihn antreten, Landgüter und alle möglichen Sachen und auch die wichtigſten der Servituten ihm verſchaffen konnten, nicht aber die minder wichtigen derſelben. Eben darin aber, daß es minder wichtige Rechte waren, mag der Grund gelegen haben, daß man hier der Form eine Conceſſion machte; hätte es bedeutendere In- tereſſen gegolten, man würde ſich dazu ſchwerlich verſtanden haben. Bei dem Teſtament durften alle mit dem familiae emtor durch das Band der väterlichen Gewalt verbundenen Perſonen (Söhne, Brüder, Vater) nicht als Zeugen fungiren, 695) wohl aber die eingeſetzten Erben und Legatare und alle ihnen in der- ſelben Weiſe verbundenen Perſonen. 696) Warum? Das Te- ſtament war formell ein Geſchäft zwiſchen Teſtator und familiae emtor. Urſprünglich, ſo lange man noch dem Erben ſelbſt die Familia mancipirte, hatte der Satz Sinn, allein als dies auf- 693) 694) Vat. fragm. §. 51. 695) Gaj. II §. 105, 106: domesticum testimonium. Ulp. XX §. 3—5. 696) Gaj. II, 108. Cic. pro Milone c. 18. 693) ſtracter Bezeichnung deſſelben (ajo rem domini esse) als auf den Spre- chenden ſelbſt (ajo rem meam esse) denken. Letztere Faſſung hätte eine Un- genauigkeit oder richtiger Unwahrheit enthalten, denn cum istarum perso- narum nihil suum esse possit, conveniens est scilicet ut nihil (suum esse) in jure vindicare possint Gaj. II, 96 und können wir hinzuſetzen: ut nihil suo nomine mancipio accipere possint. Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 36

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 561. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/267>, abgerufen am 10.06.2024.