Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik.

Nach älterm Recht mußte der Testator des unbedeutendsten
Nachtrages wegen das ganze Testament von neuem machen, das
neuere überhebt ihn dieser Mühe, indem es ihm zu dem Zweck
die Form des Fideicommisses und Codicills zur Verfügung stellt.
Der Fortschritt, den die Idee des Codicills für die Geschichte des
römischen Erbrechts bezeichnet, besteht nicht in der Einführung
der Formlosigkeit -- das war im Gegentheil eine Verschlechte-
rung, und das spätere Recht ist mit gutem Grunde zur Form
zurückgekehrt -- sondern in der theilweisen Losreißung von dem
Grundsatz der Concentrirung des letzten Willens zu einem Akt
(S. 40), kurz in der Ermöglichung eines Singulargeschäfts
auf dem Gebiet des Erbrechts.

Nach Abschluß des Vertrages werden die Partheien noch
über einige Abänderungen einig: welche Kraft haben dieselben?
Nach älterm Recht gar keine, denn wenn einmal die Worte der
Stipulation gesprochen sind, so ist letztere für immer fixirt, und
es hätte, um jene Bestimmungen nachzutragen, eines neuen
Stipulationsaktes bedurft. Nach neuerm dagegen muß man
unterscheiden, ob sie sofort d. h. im unmittelbaren Anschluß an
den Akt, oder ob sie erst später getroffen sind. Im ersten Fall fügen
sie sich noch als integrirende Bestandtheile dem Rechtsgeschäft sel-
ber ein und zwar sowohl bei den bonae fidei Contracten als der
Stipulation, 188) im letztern Fall haben sie eine positive (d. h.
Klage
erzeugende) Wirkung nur dann, wenn sie sich unter den
Gesichtspunkt eines neuen Contractsabschlusses bringen lassen,
sonst d. h. also in ihrer Gestalt als Zusätze haben sie nur eine
negative (Exceptions-) Wirkung. 189) Zu dem Gedanken einer

188) Für jene L. 7 §. 5 de pact. (2. 14) .. ex continenti .. in in-
gressu contractus. L. 72 de cont. emt.
(18. 1), für diese L. 40 de R. Cr.
(12. 1).
189) L. 72 cit. L. 7 §. 6 de pact. L. 13 Cod. ibid. (2. 4) L. 44 §. 2
de O. et A.
(44. 7). Die Exceptions form zeigt, daß der Zusatz kein
Stück des ursprünglichen Vertrages wird, ihm vielmehr als etwas Selbstän-
diges äußerlich gegenüber tritt.
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.

Nach älterm Recht mußte der Teſtator des unbedeutendſten
Nachtrages wegen das ganze Teſtament von neuem machen, das
neuere überhebt ihn dieſer Mühe, indem es ihm zu dem Zweck
die Form des Fideicommiſſes und Codicills zur Verfügung ſtellt.
Der Fortſchritt, den die Idee des Codicills für die Geſchichte des
römiſchen Erbrechts bezeichnet, beſteht nicht in der Einführung
der Formloſigkeit — das war im Gegentheil eine Verſchlechte-
rung, und das ſpätere Recht iſt mit gutem Grunde zur Form
zurückgekehrt — ſondern in der theilweiſen Losreißung von dem
Grundſatz der Concentrirung des letzten Willens zu einem Akt
(S. 40), kurz in der Ermöglichung eines Singulargeſchäfts
auf dem Gebiet des Erbrechts.

Nach Abſchluß des Vertrages werden die Partheien noch
über einige Abänderungen einig: welche Kraft haben dieſelben?
Nach älterm Recht gar keine, denn wenn einmal die Worte der
Stipulation geſprochen ſind, ſo iſt letztere für immer fixirt, und
es hätte, um jene Beſtimmungen nachzutragen, eines neuen
Stipulationsaktes bedurft. Nach neuerm dagegen muß man
unterſcheiden, ob ſie ſofort d. h. im unmittelbaren Anſchluß an
den Akt, oder ob ſie erſt ſpäter getroffen ſind. Im erſten Fall fügen
ſie ſich noch als integrirende Beſtandtheile dem Rechtsgeſchäft ſel-
ber ein und zwar ſowohl bei den bonae fidei Contracten als der
Stipulation, 188) im letztern Fall haben ſie eine poſitive (d. h.
Klage
erzeugende) Wirkung nur dann, wenn ſie ſich unter den
Geſichtspunkt eines neuen Contractsabſchluſſes bringen laſſen,
ſonſt d. h. alſo in ihrer Geſtalt als Zuſätze haben ſie nur eine
negative (Exceptions-) Wirkung. 189) Zu dem Gedanken einer

188) Für jene L. 7 §. 5 de pact. (2. 14) .. ex continenti .. in in-
gressu contractus. L. 72 de cont. emt.
(18. 1), für dieſe L. 40 de R. Cr.
(12. 1).
189) L. 72 cit. L. 7 §. 6 de pact. L. 13 Cod. ibid. (2. 4) L. 44 §. 2
de O. et A.
(44. 7). Die Exceptions form zeigt, daß der Zuſatz kein
Stück des urſprünglichen Vertrages wird, ihm vielmehr als etwas Selbſtän-
diges äußerlich gegenüber tritt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <pb facs="#f0164" n="148"/>
                        <fw place="top" type="header">Zweites Buch. Er&#x017F;ter Ab&#x017F;chn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die Technik. <hi rendition="#aq">A.</hi> Die Analytik.</fw><lb/>
                        <p>Nach älterm Recht mußte der Te&#x017F;tator des unbedeutend&#x017F;ten<lb/>
Nachtrages wegen das ganze Te&#x017F;tament von neuem machen, das<lb/>
neuere überhebt ihn die&#x017F;er Mühe, indem es ihm zu dem Zweck<lb/>
die Form des Fideicommi&#x017F;&#x017F;es und Codicills zur Verfügung &#x017F;tellt.<lb/>
Der Fort&#x017F;chritt, den die Idee des Codicills für die Ge&#x017F;chichte des<lb/>
römi&#x017F;chen Erbrechts bezeichnet, be&#x017F;teht nicht in der Einführung<lb/>
der Formlo&#x017F;igkeit &#x2014; das war im Gegentheil eine Ver&#x017F;chlechte-<lb/>
rung, und das &#x017F;pätere Recht i&#x017F;t mit gutem Grunde zur Form<lb/>
zurückgekehrt &#x2014; &#x017F;ondern in der theilwei&#x017F;en Losreißung von dem<lb/>
Grund&#x017F;atz der Concentrirung des letzten Willens zu <hi rendition="#g">einem</hi> Akt<lb/>
(S. 40), kurz in der Ermöglichung eines <hi rendition="#g">Singularge&#x017F;chäfts</hi><lb/>
auf dem Gebiet des Erbrechts.</p><lb/>
                        <p>Nach Ab&#x017F;chluß des Vertrages werden die Partheien noch<lb/>
über einige Abänderungen einig: welche Kraft haben die&#x017F;elben?<lb/>
Nach älterm Recht gar keine, denn wenn einmal die Worte der<lb/>
Stipulation ge&#x017F;prochen &#x017F;ind, &#x017F;o i&#x017F;t letztere für immer fixirt, und<lb/>
es hätte, um jene Be&#x017F;timmungen nachzutragen, eines neuen<lb/>
Stipulationsaktes bedurft. Nach neuerm dagegen muß man<lb/>
unter&#x017F;cheiden, ob &#x017F;ie <hi rendition="#g">&#x017F;ofort</hi> d. h. im unmittelbaren An&#x017F;chluß an<lb/>
den Akt, oder ob &#x017F;ie er&#x017F;t &#x017F;päter getroffen &#x017F;ind. Im er&#x017F;ten Fall fügen<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich noch als integrirende Be&#x017F;tandtheile dem Rechtsge&#x017F;chäft &#x017F;el-<lb/>
ber ein und zwar &#x017F;owohl bei den <hi rendition="#aq">bonae fidei</hi> Contracten als der<lb/>
Stipulation, <note place="foot" n="188)">Für jene <hi rendition="#aq">L. 7 §. 5 de pact. (2. 14) .. ex continenti .. in in-<lb/>
gressu contractus. L. 72 de cont. emt.</hi> (18. 1), für die&#x017F;e <hi rendition="#aq">L. 40 de R. Cr.</hi><lb/>
(12. 1).</note> im letztern Fall haben &#x017F;ie eine <hi rendition="#g">po&#x017F;itive (d. h.<lb/>
Klage</hi> erzeugende) Wirkung nur dann, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich unter den<lb/>
Ge&#x017F;ichtspunkt eines neuen Contractsab&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;es bringen la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t d. h. al&#x017F;o in ihrer Ge&#x017F;talt als <hi rendition="#g">Zu&#x017F;ätze</hi> haben &#x017F;ie nur eine<lb/><hi rendition="#g">negative</hi> (Exceptions-) Wirkung. <note place="foot" n="189)"><hi rendition="#aq">L. 72 cit. L. 7 §. 6 de pact. L. 13 Cod. ibid. (2. 4) L. 44 §. 2<lb/>
de O. et A.</hi> (44. 7). Die <hi rendition="#g">Exceptions</hi> form zeigt, daß der Zu&#x017F;atz kein<lb/>
Stück des ur&#x017F;prünglichen Vertrages wird, ihm vielmehr als etwas Selb&#x017F;tän-<lb/>
diges äußerlich gegenüber tritt.</note> Zu dem Gedanken einer<lb/></p>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[148/0164] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Nach älterm Recht mußte der Teſtator des unbedeutendſten Nachtrages wegen das ganze Teſtament von neuem machen, das neuere überhebt ihn dieſer Mühe, indem es ihm zu dem Zweck die Form des Fideicommiſſes und Codicills zur Verfügung ſtellt. Der Fortſchritt, den die Idee des Codicills für die Geſchichte des römiſchen Erbrechts bezeichnet, beſteht nicht in der Einführung der Formloſigkeit — das war im Gegentheil eine Verſchlechte- rung, und das ſpätere Recht iſt mit gutem Grunde zur Form zurückgekehrt — ſondern in der theilweiſen Losreißung von dem Grundſatz der Concentrirung des letzten Willens zu einem Akt (S. 40), kurz in der Ermöglichung eines Singulargeſchäfts auf dem Gebiet des Erbrechts. Nach Abſchluß des Vertrages werden die Partheien noch über einige Abänderungen einig: welche Kraft haben dieſelben? Nach älterm Recht gar keine, denn wenn einmal die Worte der Stipulation geſprochen ſind, ſo iſt letztere für immer fixirt, und es hätte, um jene Beſtimmungen nachzutragen, eines neuen Stipulationsaktes bedurft. Nach neuerm dagegen muß man unterſcheiden, ob ſie ſofort d. h. im unmittelbaren Anſchluß an den Akt, oder ob ſie erſt ſpäter getroffen ſind. Im erſten Fall fügen ſie ſich noch als integrirende Beſtandtheile dem Rechtsgeſchäft ſel- ber ein und zwar ſowohl bei den bonae fidei Contracten als der Stipulation, 188) im letztern Fall haben ſie eine poſitive (d. h. Klage erzeugende) Wirkung nur dann, wenn ſie ſich unter den Geſichtspunkt eines neuen Contractsabſchluſſes bringen laſſen, ſonſt d. h. alſo in ihrer Geſtalt als Zuſätze haben ſie nur eine negative (Exceptions-) Wirkung. 189) Zu dem Gedanken einer 188) Für jene L. 7 §. 5 de pact. (2. 14) .. ex continenti .. in in- gressu contractus. L. 72 de cont. emt. (18. 1), für dieſe L. 40 de R. Cr. (12. 1). 189) L. 72 cit. L. 7 §. 6 de pact. L. 13 Cod. ibid. (2. 4) L. 44 §. 2 de O. et A. (44. 7). Die Exceptions form zeigt, daß der Zuſatz kein Stück des urſprünglichen Vertrages wird, ihm vielmehr als etwas Selbſtän- diges äußerlich gegenüber tritt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/164
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/164>, abgerufen am 02.05.2024.