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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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C. Die abstracte Analyse. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54.
oben angegebenen bedingten stipulatio emti, aus der es sich
historisch entwickelt hat. Ein Pupill, der mittelst der stipulatio
emti "spondesne equum dare, si centum dederim?"
sich
das ohne Tutor gekaufte Pferd hatte versprechen lassen und da-
für seinerseits: centum dare, si equum dederis spondirt hatte,
haftete auf den Kaufpreis nicht anders, als wenn er einfach den
Kaufcontract abgeschlossen hatte -- wollte er das Pferd, so
mußte er die Bedingung erfüllen.

In unserem heutigen Recht sind zur Zahl der zweiseitigen
Verträge noch die s. g. Innominatcontracte hinzugekommen, 258)
in ihrer reinen römischen Gestalt gehören sie bekanntlich zur
Zahl der einseitigen -- ein neuer Beleg für die Ausdehnung,
in welcher der Gedanke der Einseitigkeit noch das neuere Obliga-
tionenrecht beherrscht, für die Zähigkeit, mit der noch die spätere
Zeit an diesem alt- und ächtrömischen Gedanken festhielt.

Das Erbrecht bot diesem Gesichtspunkt nur bei dem Legat
Raum, denn die Erbschaft schließt mit Nothwendigkeit den
Uebergang von Rechten und Verbindlichkeiten in sich, darauf
beruht ja der Begriff der Universalsuccession. Es hieße das
wahre Verhältniß mehr verdecken, als aufklären, wollte man
es dadurch mit unserem Gesichtspunkt in Uebereinstimmung
bringen, daß man sagte: der Erbe überkomme nicht unmittelbar
die einzelnen Rechte und Verbindlichkeiten, sondern das ideale
Object der hereditas, die Persönlichkeit des Erblassers, er werde
also lediglich berechtigt.

Beim Legat dagegen ist unser Gesichtspunkt wiederum
streng durchgeführt. Das Legat so wie das ihm correspondi-
rende Geschäft unter Lebenden: die Schenkung, sind nach älterer
Auffassung rein einseitige Zuwendungen, mit deren Begriff

258) d. h. sie können zweiseitig sein, brauchen es aber nicht (selbst der
Tauschcontract nicht); die Möglichkeit, daß nach Absicht der Contrahenten
bloß der eine Theil verpflichtet sein solle, wenn der andere geleistet habe,
nicht aber letzterer, ist auch im heutigen Recht nicht hinweggefallen.
Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 13

C. Die abſtracte Analyſe. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54.
oben angegebenen bedingten stipulatio emti, aus der es ſich
hiſtoriſch entwickelt hat. Ein Pupill, der mittelſt der stipulatio
emti „spondesne equum dare, si centum dederim?“
ſich
das ohne Tutor gekaufte Pferd hatte verſprechen laſſen und da-
für ſeinerſeits: centum dare, si equum dederis ſpondirt hatte,
haftete auf den Kaufpreis nicht anders, als wenn er einfach den
Kaufcontract abgeſchloſſen hatte — wollte er das Pferd, ſo
mußte er die Bedingung erfüllen.

In unſerem heutigen Recht ſind zur Zahl der zweiſeitigen
Verträge noch die ſ. g. Innominatcontracte hinzugekommen, 258)
in ihrer reinen römiſchen Geſtalt gehören ſie bekanntlich zur
Zahl der einſeitigen — ein neuer Beleg für die Ausdehnung,
in welcher der Gedanke der Einſeitigkeit noch das neuere Obliga-
tionenrecht beherrſcht, für die Zähigkeit, mit der noch die ſpätere
Zeit an dieſem alt- und ächtrömiſchen Gedanken feſthielt.

Das Erbrecht bot dieſem Geſichtspunkt nur bei dem Legat
Raum, denn die Erbſchaft ſchließt mit Nothwendigkeit den
Uebergang von Rechten und Verbindlichkeiten in ſich, darauf
beruht ja der Begriff der Univerſalſucceſſion. Es hieße das
wahre Verhältniß mehr verdecken, als aufklären, wollte man
es dadurch mit unſerem Geſichtspunkt in Uebereinſtimmung
bringen, daß man ſagte: der Erbe überkomme nicht unmittelbar
die einzelnen Rechte und Verbindlichkeiten, ſondern das ideale
Object der hereditas, die Perſönlichkeit des Erblaſſers, er werde
alſo lediglich berechtigt.

Beim Legat dagegen iſt unſer Geſichtspunkt wiederum
ſtreng durchgeführt. Das Legat ſo wie das ihm correſpondi-
rende Geſchäft unter Lebenden: die Schenkung, ſind nach älterer
Auffaſſung rein einſeitige Zuwendungen, mit deren Begriff

258) d. h. ſie können zweiſeitig ſein, brauchen es aber nicht (ſelbſt der
Tauſchcontract nicht); die Möglichkeit, daß nach Abſicht der Contrahenten
bloß der eine Theil verpflichtet ſein ſolle, wenn der andere geleiſtet habe,
nicht aber letzterer, iſt auch im heutigen Recht nicht hinweggefallen.
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[193/0209] C. Die abſtracte Analyſe. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54. oben angegebenen bedingten stipulatio emti, aus der es ſich hiſtoriſch entwickelt hat. Ein Pupill, der mittelſt der stipulatio emti „spondesne equum dare, si centum dederim?“ ſich das ohne Tutor gekaufte Pferd hatte verſprechen laſſen und da- für ſeinerſeits: centum dare, si equum dederis ſpondirt hatte, haftete auf den Kaufpreis nicht anders, als wenn er einfach den Kaufcontract abgeſchloſſen hatte — wollte er das Pferd, ſo mußte er die Bedingung erfüllen. In unſerem heutigen Recht ſind zur Zahl der zweiſeitigen Verträge noch die ſ. g. Innominatcontracte hinzugekommen, 258) in ihrer reinen römiſchen Geſtalt gehören ſie bekanntlich zur Zahl der einſeitigen — ein neuer Beleg für die Ausdehnung, in welcher der Gedanke der Einſeitigkeit noch das neuere Obliga- tionenrecht beherrſcht, für die Zähigkeit, mit der noch die ſpätere Zeit an dieſem alt- und ächtrömiſchen Gedanken feſthielt. Das Erbrecht bot dieſem Geſichtspunkt nur bei dem Legat Raum, denn die Erbſchaft ſchließt mit Nothwendigkeit den Uebergang von Rechten und Verbindlichkeiten in ſich, darauf beruht ja der Begriff der Univerſalſucceſſion. Es hieße das wahre Verhältniß mehr verdecken, als aufklären, wollte man es dadurch mit unſerem Geſichtspunkt in Uebereinſtimmung bringen, daß man ſagte: der Erbe überkomme nicht unmittelbar die einzelnen Rechte und Verbindlichkeiten, ſondern das ideale Object der hereditas, die Perſönlichkeit des Erblaſſers, er werde alſo lediglich berechtigt. Beim Legat dagegen iſt unſer Geſichtspunkt wiederum ſtreng durchgeführt. Das Legat ſo wie das ihm correſpondi- rende Geſchäft unter Lebenden: die Schenkung, ſind nach älterer Auffaſſung rein einſeitige Zuwendungen, mit deren Begriff 258) d. h. ſie können zweiſeitig ſein, brauchen es aber nicht (ſelbſt der Tauſchcontract nicht); die Möglichkeit, daß nach Abſicht der Contrahenten bloß der eine Theil verpflichtet ſein ſolle, wenn der andere geleiſtet habe, nicht aber letzterer, iſt auch im heutigen Recht nicht hinweggefallen. Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 13

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/209>, abgerufen am 02.05.2024.