kung erwecken mußte. Es konnte nicht anders seyn: die selbst in einer anomalen Form, im Zustande geistiger und leiblicher Zerrüttung sich kundthuenden Hinweisungen auf ein Jenseits und auf das Hereinragen der Geisterwelt in das Diesseits -- diese Aeußerungen von Somnambülen muß- ten überall Aufsehen, überall Theilnahme erregen. Und an diese Erscheinungen schließt sich das unserem Stilling eigenthümliche, ihm einerseits hohe Bewunderung, anderer- seits Haß und Verachtung zuziehende Werk, die Theorie der Geisterkunde. "Da die heut zu Tage herrschende Denkart, die aus der falschen Aufklärung entstanden ist, die Bibellehre von Engeln, von der Fortdauer der menschlichen Seele nicht annimmt, so frage ich jeden auf sein Gewissen, ob es nicht Pflicht sey, die Erfahrungszeugnisse verstorbener Menschen öffentlich bekannt zu machen, und dadurch die Bi- bellehre zu bewahrheiten?" Dieß ist der von Stilling selbst angegebene Endzweck seiner Schrift. Stilling war kein aber- gläubischer Bewunderer des Somnambulismus. Er erblickt in ihm eine außerordentliche Entwicklung einzelner, dem Menschen angeborenen Kräfte, des Ahnungsvermögens und der Einbildungskraft (S. s. grauen Mann St. 29). Er war einer der Ersten, welche den Somnambulismus theo- retisch zu begründen suchten: er stellte die Principien, auf welche man noch immer zurückgeht, die Lehre vom Aether, Nervengeist, Ahnungsvermögen zuerst in wissenschaftlicher Form auf. In dieser Wissenschaftlichkeit seines Ganges liegt einerseits schon ein Bürge, daß er sich frei erhielt vom un- bedingten Glauben an die somnambulen Erscheinungen, wie an höhere Offenbarungen: andererseits hat er sich eben da- durch einen sicheren Platz im Gebiete der auf den Somnam- bulismus sich beziehenden, immer weiter schreitenden Wis- senschaft, hiemit auch in dieser Beziehung eine hohe Bedeu- tung für die von der regen Theilnahme an diesen außeror- dentlichen Erscheinungen und von der wissenschaftlichen Er- klärung derselben beinahe ganz verschlungene Gegenwart erworben.
Dr. J. N. Grollmann.
kung erwecken mußte. Es konnte nicht anders ſeyn: die ſelbſt in einer anomalen Form, im Zuſtande geiſtiger und leiblicher Zerrüttung ſich kundthuenden Hinweiſungen auf ein Jenſeits und auf das Hereinragen der Geiſterwelt in das Dieſſeits — dieſe Aeußerungen von Somnambülen muß- ten überall Aufſehen, überall Theilnahme erregen. Und an dieſe Erſcheinungen ſchließt ſich das unſerem Stilling eigenthümliche, ihm einerſeits hohe Bewunderung, anderer- ſeits Haß und Verachtung zuziehende Werk, die Theorie der Geiſterkunde. „Da die heut zu Tage herrſchende Denkart, die aus der falſchen Aufklärung entſtanden iſt, die Bibellehre von Engeln, von der Fortdauer der menſchlichen Seele nicht annimmt, ſo frage ich jeden auf ſein Gewiſſen, ob es nicht Pflicht ſey, die Erfahrungszeugniſſe verſtorbener Menſchen öffentlich bekannt zu machen, und dadurch die Bi- bellehre zu bewahrheiten?“ Dieß iſt der von Stilling ſelbſt angegebene Endzweck ſeiner Schrift. Stilling war kein aber- gläubiſcher Bewunderer des Somnambulismus. Er erblickt in ihm eine außerordentliche Entwicklung einzelner, dem Menſchen angeborenen Kräfte, des Ahnungsvermögens und der Einbildungskraft (S. ſ. grauen Mann St. 29). Er war einer der Erſten, welche den Somnambulismus theo- retiſch zu begründen ſuchten: er ſtellte die Principien, auf welche man noch immer zurückgeht, die Lehre vom Aether, Nervengeiſt, Ahnungsvermögen zuerſt in wiſſenſchaftlicher Form auf. In dieſer Wiſſenſchaftlichkeit ſeines Ganges liegt einerſeits ſchon ein Bürge, daß er ſich frei erhielt vom un- bedingten Glauben an die ſomnambulen Erſcheinungen, wie an höhere Offenbarungen: andererſeits hat er ſich eben da- durch einen ſicheren Platz im Gebiete der auf den Somnam- bulismus ſich beziehenden, immer weiter ſchreitenden Wiſ- ſenſchaft, hiemit auch in dieſer Beziehung eine hohe Bedeu- tung für die von der regen Theilnahme an dieſen außeror- dentlichen Erſcheinungen und von der wiſſenſchaftlichen Er- klärung derſelben beinahe ganz verſchlungene Gegenwart erworben.
Dr. J. N. Grollmann.
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kung erwecken mußte. Es konnte nicht anders ſeyn: die
ſelbſt in einer anomalen Form, im Zuſtande geiſtiger und
leiblicher Zerrüttung ſich kundthuenden Hinweiſungen auf
ein Jenſeits und auf das Hereinragen der Geiſterwelt in das
Dieſſeits — dieſe Aeußerungen von Somnambülen muß-
ten überall Aufſehen, überall Theilnahme erregen. Und
an dieſe Erſcheinungen ſchließt ſich das unſerem Stilling
eigenthümliche, ihm einerſeits hohe Bewunderung, anderer-
ſeits Haß und Verachtung zuziehende Werk, die Theorie
der Geiſterkunde. „Da die heut zu Tage herrſchende
Denkart, die aus der falſchen Aufklärung entſtanden iſt, die
Bibellehre von Engeln, von der Fortdauer der menſchlichen
Seele nicht annimmt, ſo frage ich jeden auf ſein Gewiſſen, ob
es nicht Pflicht ſey, die Erfahrungszeugniſſe verſtorbener
Menſchen öffentlich bekannt zu machen, und dadurch die Bi-
bellehre zu bewahrheiten?“ Dieß iſt der von Stilling ſelbſt
angegebene Endzweck ſeiner Schrift. Stilling war kein aber-
gläubiſcher Bewunderer des Somnambulismus. Er erblickt
in ihm eine außerordentliche Entwicklung einzelner, dem
Menſchen angeborenen Kräfte, des Ahnungsvermögens und
der Einbildungskraft (S. ſ. grauen Mann St. 29). Er war
einer der Erſten, welche den Somnambulismus theo-
retiſch zu begründen ſuchten: er ſtellte die Principien, auf
welche man noch immer zurückgeht, die Lehre vom Aether,
Nervengeiſt, Ahnungsvermögen zuerſt in wiſſenſchaftlicher
Form auf. In dieſer Wiſſenſchaftlichkeit ſeines Ganges liegt
einerſeits ſchon ein Bürge, daß er ſich frei erhielt vom un-
bedingten Glauben an die ſomnambulen Erſcheinungen, wie
an höhere Offenbarungen: andererſeits hat er ſich eben da-
durch einen ſicheren Platz im Gebiete der auf den Somnam-
bulismus ſich beziehenden, immer weiter ſchreitenden Wiſ-
ſenſchaft, hiemit auch in dieſer Beziehung eine hohe Bedeu-
tung für die von der regen Theilnahme an dieſen außeror-
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Dr. J. N. Grollmann.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/30>, abgerufen am 11.10.2024.
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