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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Der alte Palast.
Moralitäten, Allegorien, Passions- und Apostelgeschichten; Pa-
triarchen- und Römerhistorien; mythologisch-erotische Scenen
und die Grossthaten des Hauses, den Feldzug Carl V noch Tunis
und die Campagnen des Erzherzog Albrecht. Graf Harrach sah
in der Palastkapelle die Apokalypse, im Comödiensaal Tunis, in
des Königs Winterwohnung die Passion von "A. Dürer" und
"sehr schöne und gute" von Rafael 1).

2. Im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert hatte durch
Italiener hier und da die Freskomalerei Eingang gefunden, aber
nie ist sie in so grossem Umfang angewandt worden wie unter
Philipp II; unter dem vierten Philipp ist sie erloschen. Carl V
hatte 1546 den Tocador in der Alhambra durch Julio de
Aquiles im römischen Groteskengeschmack des Johann von
Udine ausmalen lassen: diese Decorationsweise liebte auch Phi-
lipp II. Wäre er nicht durch den Escorial abgelenkt worden,
er würde wol das ganze Schloss in diesem Stil mit Fresken
bedeckt haben. Eine freilich verworrene Beschreibung des von
ihm bevorzugten westlichen Flügels des Alcazars hat der Maler
Vincenz Carducho aufbewahrt (Dialogos 345 ff.). Der König
verwandte hier seine Italiener aus der Escorialcolonie, Romulo
Cincinato, den Bergamasco, Patricio Caxesi; die leitende Haupt-
rolle aber war dem Andalusier Gaspar Becerra aus Baeza zuge-
fallen, der viele Jahre in Rom gelebt hatte. Von ihm war der
im Loggiengeschmack bemalte Gang, der vom Audienzsaal in die
Westgalerie führte, und das Zimmer der "Vier Elemente". Einen
glücklichen Raum für solche phantastische Erfindungen gaben
die halbkreisförmigen Erkergemächer dieser Galerie, nach dem
Parke zu. In einem ihrer Cubos hatte Becerra die Sieben freien
Künste gemalt, er enthielt das Bauarchiv des Königs in vergol-
deten Nussbaumschränken. Einige Säle im Pardoschloss, beson-
ders aber die "untere Zelle des Priors" im Escorial (von Cinci-
nato) gibt eine gute Vorstellung von dieser Art Zimmermalerei.
Die grösste Pracht aber entfaltete der italienische Geschmack
im goldenen Thurme. Die Wände waren bekleidet mit Stuck
"weiss wie Alabaster" und Gold; die Stockwerke durch eine be-
queme Wendeltreppe verbunden; man sah in einem Zimmer
ovidische Verwandlungen. Hier befand sich die Bibliothek ca-
stilischer, französischer und italienischer Werke 2). Es war der

1) Tagebuch; 3. Mai 1674, 4. März 1675. Er meint die Geschichten der Apostel.
2) Hier sah man die Bildnisse von Aristoteles, Cicero, Attila, Muley Hazan von
Tunis, Scanderbeg, Columbus, Magellaes und viele Prälaten.

Der alte Palast.
Moralitäten, Allegorien, Passions- und Apostelgeschichten; Pa-
triarchen- und Römerhistorien; mythologisch-erotische Scenen
und die Grossthaten des Hauses, den Feldzug Carl V noch Tunis
und die Campagnen des Erzherzog Albrecht. Graf Harrach sah
in der Palastkapelle die Apokalypse, im Comödiensaal Tunis, in
des Königs Winterwohnung die Passion von „A. Dürer“ und
„sehr schöne und gute“ von Rafael 1).

2. Im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert hatte durch
Italiener hier und da die Freskomalerei Eingang gefunden, aber
nie ist sie in so grossem Umfang angewandt worden wie unter
Philipp II; unter dem vierten Philipp ist sie erloschen. Carl V
hatte 1546 den Tocador in der Alhambra durch Julio de
Aquilés im römischen Groteskengeschmack des Johann von
Udine ausmalen lassen: diese Decorationsweise liebte auch Phi-
lipp II. Wäre er nicht durch den Escorial abgelenkt worden,
er würde wol das ganze Schloss in diesem Stil mit Fresken
bedeckt haben. Eine freilich verworrene Beschreibung des von
ihm bevorzugten westlichen Flügels des Alcazars hat der Maler
Vincenz Carducho aufbewahrt (Diálogos 345 ff.). Der König
verwandte hier seine Italiener aus der Escorialcolonie, Romulo
Cincinato, den Bergamasco, Patricio Caxesi; die leitende Haupt-
rolle aber war dem Andalusier Gaspar Becerra aus Baeza zuge-
fallen, der viele Jahre in Rom gelebt hatte. Von ihm war der
im Loggiengeschmack bemalte Gang, der vom Audienzsaal in die
Westgalerie führte, und das Zimmer der „Vier Elemente“. Einen
glücklichen Raum für solche phantastische Erfindungen gaben
die halbkreisförmigen Erkergemächer dieser Galerie, nach dem
Parke zu. In einem ihrer Cubos hatte Becerra die Sieben freien
Künste gemalt, er enthielt das Bauarchiv des Königs in vergol-
deten Nussbaumschränken. Einige Säle im Pardoschloss, beson-
ders aber die „untere Zelle des Priors“ im Escorial (von Cinci-
nato) gibt eine gute Vorstellung von dieser Art Zimmermalerei.
Die grösste Pracht aber entfaltete der italienische Geschmack
im goldenen Thurme. Die Wände waren bekleidet mit Stuck
„weiss wie Alabaster“ und Gold; die Stockwerke durch eine be-
queme Wendeltreppe verbunden; man sah in einem Zimmer
ovidische Verwandlungen. Hier befand sich die Bibliothek ca-
stilischer, französischer und italienischer Werke 2). Es war der

1) Tagebuch; 3. Mai 1674, 4. März 1675. Er meint die Geschichten der Apostel.
2) Hier sah man die Bildnisse von Aristoteles, Cicero, Attila, Muley Hazan von
Tunis, Scanderbeg, Columbus, Magellães und viele Prälaten.
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[187/0209] Der alte Palast. Moralitäten, Allegorien, Passions- und Apostelgeschichten; Pa- triarchen- und Römerhistorien; mythologisch-erotische Scenen und die Grossthaten des Hauses, den Feldzug Carl V noch Tunis und die Campagnen des Erzherzog Albrecht. Graf Harrach sah in der Palastkapelle die Apokalypse, im Comödiensaal Tunis, in des Königs Winterwohnung die Passion von „A. Dürer“ und „sehr schöne und gute“ von Rafael 1). 2. Im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert hatte durch Italiener hier und da die Freskomalerei Eingang gefunden, aber nie ist sie in so grossem Umfang angewandt worden wie unter Philipp II; unter dem vierten Philipp ist sie erloschen. Carl V hatte 1546 den Tocador in der Alhambra durch Julio de Aquilés im römischen Groteskengeschmack des Johann von Udine ausmalen lassen: diese Decorationsweise liebte auch Phi- lipp II. Wäre er nicht durch den Escorial abgelenkt worden, er würde wol das ganze Schloss in diesem Stil mit Fresken bedeckt haben. Eine freilich verworrene Beschreibung des von ihm bevorzugten westlichen Flügels des Alcazars hat der Maler Vincenz Carducho aufbewahrt (Diálogos 345 ff.). Der König verwandte hier seine Italiener aus der Escorialcolonie, Romulo Cincinato, den Bergamasco, Patricio Caxesi; die leitende Haupt- rolle aber war dem Andalusier Gaspar Becerra aus Baeza zuge- fallen, der viele Jahre in Rom gelebt hatte. Von ihm war der im Loggiengeschmack bemalte Gang, der vom Audienzsaal in die Westgalerie führte, und das Zimmer der „Vier Elemente“. Einen glücklichen Raum für solche phantastische Erfindungen gaben die halbkreisförmigen Erkergemächer dieser Galerie, nach dem Parke zu. In einem ihrer Cubos hatte Becerra die Sieben freien Künste gemalt, er enthielt das Bauarchiv des Königs in vergol- deten Nussbaumschränken. Einige Säle im Pardoschloss, beson- ders aber die „untere Zelle des Priors“ im Escorial (von Cinci- nato) gibt eine gute Vorstellung von dieser Art Zimmermalerei. Die grösste Pracht aber entfaltete der italienische Geschmack im goldenen Thurme. Die Wände waren bekleidet mit Stuck „weiss wie Alabaster“ und Gold; die Stockwerke durch eine be- queme Wendeltreppe verbunden; man sah in einem Zimmer ovidische Verwandlungen. Hier befand sich die Bibliothek ca- stilischer, französischer und italienischer Werke 2). Es war der 1) Tagebuch; 3. Mai 1674, 4. März 1675. Er meint die Geschichten der Apostel. 2) Hier sah man die Bildnisse von Aristoteles, Cicero, Attila, Muley Hazan von Tunis, Scanderbeg, Columbus, Magellães und viele Prälaten.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/209>, abgerufen am 27.04.2024.