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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
Lieblingsaufenthalt des Königs in Madrid, sein Blick beherrschte
hier die getreue Residenz und die Ebene mit den alten Jagd-
gründen, bis zum Escorial und dem Guadarramagebirge.

3. An Staffeleibilder war in dem decorativen System der
damaligen Architekten wenig gedacht worden. Man scheint sich
nur langsam mit der Vorstellung vertraut gemacht zu haben,
Tafelbilder, Oelgemälde zum vornehmsten Schmuck der Gemä-
cher zu wählen und sich in den bewohnten Räumen mit dem
Besten was man besass zu umgeben. Die kostbaren, hochge-
schätzten Stücke wurden mehr aufgehoben als aufgestellt: wie
die Werke der Edelmetall- und Kleinkunst blieben sie in Ca-
bineten verschlossen.

Das bei dem Tode Philipp II verfasste Inventar zeigt diese
Sitte noch in voller Herrschaft. Die Gemälde befinden sich in
den beiden Räumen des Guardajoyas (Kronjuwelenkammer), in
der Contaduria (Rechnungskammer), und in dem Schatzhaus (Casa
del Tesoro
). Sie zerfallen in zwei Klassen, Andachtsbilder und
Bildnisse. Die pinturas de devocion, unter welchen das Altarbild
der Palastkapelle, die Cocxcyen'sche Copie des Genter Altar-
werks oben an steht, sind meist Triptychen, Retablos der alt-
niederländischen Schule, Votivbilder, deren schon Isabella die
Katholische viele besass. Die wenigen italienischen sind von
Tizian: die Dolorosa und das Eccehomo auf Probirstein, die heil.
Margaretha mit dem Drachen, der Sündenfall. Viele waren in
der Kapelle und in den kleinen Oratorien des Palastes.

Die zahlreichen Bildnisse stellten Mitglieder des Hauses
und verwandte oder berühmte Fürstlichkeiten der Zeit dar, nebst
einigen Feldherrn und Hofnarren. Die besten waren von Tizian,
Antonio Mor und Sanchez Coello. Jene Meisterwerke venezia-
nischer Bildnisskunst, Tizians Carl V zu Pferd, später die Haupt-
zierde des Spiegelsaals und von den Gesandten in den Berichten
über ihre Audienz gepriesen, das Bildniss Philipps mit dem
Infanten Diego nach der Schlacht bei Lepanto, das Bildniss
Carl V. mit der Dogge, standen im Schatzhaus. Dazwischen
sah man die Phantasien des Hieronymus van Aeken, die der
König so vollständig gesammelt hatte, und antike Köpfe.

Mit diesen Stücken aber war der Gemäldevorrath noch
lange nicht erschöpft. Eine sehr grosse Zahl, wovon freilich
wenig übrig geblieben ist, diente zur Belebung der Gänge und
Galerien des Schlosses, wenn im Sommer die Tapisserien
entfernt wurden. Diese aber wählte man mehr nach gegenständ-

Zweites Buch.
Lieblingsaufenthalt des Königs in Madrid, sein Blick beherrschte
hier die getreue Residenz und die Ebene mit den alten Jagd-
gründen, bis zum Escorial und dem Guadarramagebirge.

3. An Staffeleibilder war in dem decorativen System der
damaligen Architekten wenig gedacht worden. Man scheint sich
nur langsam mit der Vorstellung vertraut gemacht zu haben,
Tafelbilder, Oelgemälde zum vornehmsten Schmuck der Gemä-
cher zu wählen und sich in den bewohnten Räumen mit dem
Besten was man besass zu umgeben. Die kostbaren, hochge-
schätzten Stücke wurden mehr aufgehoben als aufgestellt: wie
die Werke der Edelmetall- und Kleinkunst blieben sie in Ca-
bineten verschlossen.

Das bei dem Tode Philipp II verfasste Inventar zeigt diese
Sitte noch in voller Herrschaft. Die Gemälde befinden sich in
den beiden Räumen des Guardajoyas (Kronjuwelenkammer), in
der Contaduria (Rechnungskammer), und in dem Schatzhaus (Casa
del Tesoro
). Sie zerfallen in zwei Klassen, Andachtsbilder und
Bildnisse. Die pinturas de devocion, unter welchen das Altarbild
der Palastkapelle, die Cocxcyen’sche Copie des Genter Altar-
werks oben an steht, sind meist Triptychen, Retablos der alt-
niederländischen Schule, Votivbilder, deren schon Isabella die
Katholische viele besass. Die wenigen italienischen sind von
Tizian: die Dolorosa und das Eccehomo auf Probirstein, die heil.
Margaretha mit dem Drachen, der Sündenfall. Viele waren in
der Kapelle und in den kleinen Oratorien des Palastes.

Die zahlreichen Bildnisse stellten Mitglieder des Hauses
und verwandte oder berühmte Fürstlichkeiten der Zeit dar, nebst
einigen Feldherrn und Hofnarren. Die besten waren von Tizian,
Antonio Mor und Sanchez Coello. Jene Meisterwerke venezia-
nischer Bildnisskunst, Tizians Carl V zu Pferd, später die Haupt-
zierde des Spiegelsaals und von den Gesandten in den Berichten
über ihre Audienz gepriesen, das Bildniss Philipps mit dem
Infanten Diego nach der Schlacht bei Lepanto, das Bildniss
Carl V. mit der Dogge, standen im Schatzhaus. Dazwischen
sah man die Phantasien des Hieronymus van Aeken, die der
König so vollständig gesammelt hatte, und antike Köpfe.

Mit diesen Stücken aber war der Gemäldevorrath noch
lange nicht erschöpft. Eine sehr grosse Zahl, wovon freilich
wenig übrig geblieben ist, diente zur Belebung der Gänge und
Galerien des Schlosses, wenn im Sommer die Tapisserien
entfernt wurden. Diese aber wählte man mehr nach gegenständ-

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[188/0210] Zweites Buch. Lieblingsaufenthalt des Königs in Madrid, sein Blick beherrschte hier die getreue Residenz und die Ebene mit den alten Jagd- gründen, bis zum Escorial und dem Guadarramagebirge. 3. An Staffeleibilder war in dem decorativen System der damaligen Architekten wenig gedacht worden. Man scheint sich nur langsam mit der Vorstellung vertraut gemacht zu haben, Tafelbilder, Oelgemälde zum vornehmsten Schmuck der Gemä- cher zu wählen und sich in den bewohnten Räumen mit dem Besten was man besass zu umgeben. Die kostbaren, hochge- schätzten Stücke wurden mehr aufgehoben als aufgestellt: wie die Werke der Edelmetall- und Kleinkunst blieben sie in Ca- bineten verschlossen. Das bei dem Tode Philipp II verfasste Inventar zeigt diese Sitte noch in voller Herrschaft. Die Gemälde befinden sich in den beiden Räumen des Guardajoyas (Kronjuwelenkammer), in der Contaduria (Rechnungskammer), und in dem Schatzhaus (Casa del Tesoro). Sie zerfallen in zwei Klassen, Andachtsbilder und Bildnisse. Die pinturas de devocion, unter welchen das Altarbild der Palastkapelle, die Cocxcyen’sche Copie des Genter Altar- werks oben an steht, sind meist Triptychen, Retablos der alt- niederländischen Schule, Votivbilder, deren schon Isabella die Katholische viele besass. Die wenigen italienischen sind von Tizian: die Dolorosa und das Eccehomo auf Probirstein, die heil. Margaretha mit dem Drachen, der Sündenfall. Viele waren in der Kapelle und in den kleinen Oratorien des Palastes. Die zahlreichen Bildnisse stellten Mitglieder des Hauses und verwandte oder berühmte Fürstlichkeiten der Zeit dar, nebst einigen Feldherrn und Hofnarren. Die besten waren von Tizian, Antonio Mor und Sanchez Coello. Jene Meisterwerke venezia- nischer Bildnisskunst, Tizians Carl V zu Pferd, später die Haupt- zierde des Spiegelsaals und von den Gesandten in den Berichten über ihre Audienz gepriesen, das Bildniss Philipps mit dem Infanten Diego nach der Schlacht bei Lepanto, das Bildniss Carl V. mit der Dogge, standen im Schatzhaus. Dazwischen sah man die Phantasien des Hieronymus van Aeken, die der König so vollständig gesammelt hatte, und antike Köpfe. Mit diesen Stücken aber war der Gemäldevorrath noch lange nicht erschöpft. Eine sehr grosse Zahl, wovon freilich wenig übrig geblieben ist, diente zur Belebung der Gänge und Galerien des Schlosses, wenn im Sommer die Tapisserien entfernt wurden. Diese aber wählte man mehr nach gegenständ-

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/210>, abgerufen am 27.04.2024.