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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Die Gespräche über die Malerei.

Wer könnte freilich läugnen, dass diese naturalistischen Ge-
mälde Leben athmen? Aber diese Lebendigkeit hat keinen
grossen Werth. Wir sehen es an den Werken der Heroen der
Vergangenheit. Ihnen fehlt "diese rasche (pronta) Lebhaftigkeit,
diese aufregende (afectuosa) äussere Wahrheit." Unsere Zeit
wähnt über sie fortgeschritten zu sein. Aber das worauf sie sich
etwas zu gute thut: "Naturnachahmung, Farbe, Lebendigkeit,
Landschaft, Obst, Thiere", das ist von jenen Gewaltigen für
Tand gehalten worden. Das Zeitalter das in ihnen seine
Grösse sucht ist eine Epoche raschen Sinkens. Michelangelo und
Raphael sind die "Säulen des Herkules".

"Zeichnen und wieder Zeichnen, Speculiren und noch mehr
Zeichnen, das ist das Geschäft des Malers. Skizziren, auswi-
schen, skizziren, nulla dies sine linea, das ist der Weg zur
Grösse. Im Erfinden und Componiren, in den guten Formen und
Proportionen besteht die Kunst. Zeichnung ist das Fundament
und das Ganze der Malerei, ihre lebengebende Sonne." Sie
macht das gute Bild; die Farbe schmückt und unterstützt es.
Aber ihre Reize können von der Wahrheit ablenken und viele
Irrthümer verdecken. Die venezianische Schule, welche allezeit
nach Schönheit und Leichtigkeit des Colorits trachtete, ver-
schmähte die Zeichnung, weil sie die Denkarbeit floh. Von ihr
sagt man, dass es grosse Coloristen seien und wenig Zeichner,
grosse Praktiker und schlechte Theoretiker. --

Man sieht wol, von dem Trieb nach dem Schauen und Bil-
den der Sichtbarkeit und ihrer offenbaren Geheimnisse, von der
ernsten Arbeit jener Entdecker auf dem Ocean optischer Reize, --
diesem wahren Gegenstück wissenschaftlichen Forschergeistes
-- davon hat der dürre Schulstolz des Manieristen keine Ahnung.
Allezeit mit seinen "Maschinen" beschäftigt, hat er nie Zeit ge-
habt, um die Gunst der grossen Mutter Natur zu werben. Was
ist ihm Natur? Nur ein Mittel zum Zweck. Man soll ihr zuweilen
einen Blick schenken, um den Erfindungen der Phantasie Frische
zu geben, die (wie er doch fühlt) in jenem Aether des reinen
Denkens schwindsüchtig werden würden. "Die Natur dient zur
Erinnerung, als Weckerin der Vergesslichkeit; sie ist eine Nah-
rung, welche die Geister der Phantasie belebt und entschlum-
merte, erstorbene Ideen ins Gedächtniss zurückführt."

Diess sind die Grundsätze Carducho's und seiner Freunde;
auf sie stützen sich seine heftigen Angriffe gegen den Zeitge-
schmack und seine düstern Warnungen.


Die Gespräche über die Malerei.

Wer könnte freilich läugnen, dass diese naturalistischen Ge-
mälde Leben athmen? Aber diese Lebendigkeit hat keinen
grossen Werth. Wir sehen es an den Werken der Heroen der
Vergangenheit. Ihnen fehlt „diese rasche (pronta) Lebhaftigkeit,
diese aufregende (afectuosa) äussere Wahrheit.“ Unsere Zeit
wähnt über sie fortgeschritten zu sein. Aber das worauf sie sich
etwas zu gute thut: „Naturnachahmung, Farbe, Lebendigkeit,
Landschaft, Obst, Thiere“, das ist von jenen Gewaltigen für
Tand gehalten worden. Das Zeitalter das in ihnen seine
Grösse sucht ist eine Epoche raschen Sinkens. Michelangelo und
Raphael sind die „Säulen des Herkules“.

„Zeichnen und wieder Zeichnen, Speculiren und noch mehr
Zeichnen, das ist das Geschäft des Malers. Skizziren, auswi-
schen, skizziren, nulla dies sine linea, das ist der Weg zur
Grösse. Im Erfinden und Componiren, in den guten Formen und
Proportionen besteht die Kunst. Zeichnung ist das Fundament
und das Ganze der Malerei, ihre lebengebende Sonne.“ Sie
macht das gute Bild; die Farbe schmückt und unterstützt es.
Aber ihre Reize können von der Wahrheit ablenken und viele
Irrthümer verdecken. Die venezianische Schule, welche allezeit
nach Schönheit und Leichtigkeit des Colorits trachtete, ver-
schmähte die Zeichnung, weil sie die Denkarbeit floh. Von ihr
sagt man, dass es grosse Coloristen seien und wenig Zeichner,
grosse Praktiker und schlechte Theoretiker. —

Man sieht wol, von dem Trieb nach dem Schauen und Bil-
den der Sichtbarkeit und ihrer offenbaren Geheimnisse, von der
ernsten Arbeit jener Entdecker auf dem Ocean optischer Reize, —
diesem wahren Gegenstück wissenschaftlichen Forschergeistes
— davon hat der dürre Schulstolz des Manieristen keine Ahnung.
Allezeit mit seinen „Maschinen“ beschäftigt, hat er nie Zeit ge-
habt, um die Gunst der grossen Mutter Natur zu werben. Was
ist ihm Natur? Nur ein Mittel zum Zweck. Man soll ihr zuweilen
einen Blick schenken, um den Erfindungen der Phantasie Frische
zu geben, die (wie er doch fühlt) in jenem Aether des reinen
Denkens schwindsüchtig werden würden. „Die Natur dient zur
Erinnerung, als Weckerin der Vergesslichkeit; sie ist eine Nah-
rung, welche die Geister der Phantasie belebt und entschlum-
merte, erstorbene Ideen ins Gedächtniss zurückführt.“

Diess sind die Grundsätze Carducho’s und seiner Freunde;
auf sie stützen sich seine heftigen Angriffe gegen den Zeitge-
schmack und seine düstern Warnungen.


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[227/0251] Die Gespräche über die Malerei. Wer könnte freilich läugnen, dass diese naturalistischen Ge- mälde Leben athmen? Aber diese Lebendigkeit hat keinen grossen Werth. Wir sehen es an den Werken der Heroen der Vergangenheit. Ihnen fehlt „diese rasche (pronta) Lebhaftigkeit, diese aufregende (afectuosa) äussere Wahrheit.“ Unsere Zeit wähnt über sie fortgeschritten zu sein. Aber das worauf sie sich etwas zu gute thut: „Naturnachahmung, Farbe, Lebendigkeit, Landschaft, Obst, Thiere“, das ist von jenen Gewaltigen für Tand gehalten worden. Das Zeitalter das in ihnen seine Grösse sucht ist eine Epoche raschen Sinkens. Michelangelo und Raphael sind die „Säulen des Herkules“. „Zeichnen und wieder Zeichnen, Speculiren und noch mehr Zeichnen, das ist das Geschäft des Malers. Skizziren, auswi- schen, skizziren, nulla dies sine linea, das ist der Weg zur Grösse. Im Erfinden und Componiren, in den guten Formen und Proportionen besteht die Kunst. Zeichnung ist das Fundament und das Ganze der Malerei, ihre lebengebende Sonne.“ Sie macht das gute Bild; die Farbe schmückt und unterstützt es. Aber ihre Reize können von der Wahrheit ablenken und viele Irrthümer verdecken. Die venezianische Schule, welche allezeit nach Schönheit und Leichtigkeit des Colorits trachtete, ver- schmähte die Zeichnung, weil sie die Denkarbeit floh. Von ihr sagt man, dass es grosse Coloristen seien und wenig Zeichner, grosse Praktiker und schlechte Theoretiker. — Man sieht wol, von dem Trieb nach dem Schauen und Bil- den der Sichtbarkeit und ihrer offenbaren Geheimnisse, von der ernsten Arbeit jener Entdecker auf dem Ocean optischer Reize, — diesem wahren Gegenstück wissenschaftlichen Forschergeistes — davon hat der dürre Schulstolz des Manieristen keine Ahnung. Allezeit mit seinen „Maschinen“ beschäftigt, hat er nie Zeit ge- habt, um die Gunst der grossen Mutter Natur zu werben. Was ist ihm Natur? Nur ein Mittel zum Zweck. Man soll ihr zuweilen einen Blick schenken, um den Erfindungen der Phantasie Frische zu geben, die (wie er doch fühlt) in jenem Aether des reinen Denkens schwindsüchtig werden würden. „Die Natur dient zur Erinnerung, als Weckerin der Vergesslichkeit; sie ist eine Nah- rung, welche die Geister der Phantasie belebt und entschlum- merte, erstorbene Ideen ins Gedächtniss zurückführt.“ Diess sind die Grundsätze Carducho’s und seiner Freunde; auf sie stützen sich seine heftigen Angriffe gegen den Zeitge- schmack und seine düstern Warnungen.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/251>, abgerufen am 28.04.2024.