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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Drittes Buch.

Jusepe Ribera hatte sich unter italischem Himmel und, wie
so viele fremde Maler, unter den wechselnden Einwirkungen eines
freien Wanderlebens zum Künstler durchgearbeitet. Es war ein
Beweis seltener Kraft des Charakters, wenn das Ergebniss eine
künstlerische Durchbildung war, wie er sie besser kaum in
strengster Schule hätte empfangen können. Wahrscheinlich
waren es die Lehren und Erzählungen seines Meisters Ribalta
in Valencia, die ihn auf die lombardische Schule hingewiesen
hatten; er hatte sich nach Parma gewandt, und so in Correggio
vertieft, dass eine dort von ihm ausgemalte Kapelle damals oft
von Reisenden für eine Arbeit dieses Meisters gehalten wurde 1).
Diess war der ursprüngliche Spagnoletto. Allein seit Correggio
war der Geschmack in Italien ein ganz anderer geworden. Das
Publikum dieses Jahrhunderts verlangte derbere Kost als Poesie
des Lichts, heiter unbefangene Umdichtung kirchlicher Legenden
bloss nach dem freien Kanon von Schönheit und Liebreiz. Cara-
vaggio's, auch eines Lombarden, neue Art machte selbst im
Schooss der Schule von Bologna einen stärkeren Eindruck als
die dort aufgerichteten erhabenen Muster der Vorzeit: Guido,
Guercino gingen zu der plastischen, pastosen Manier über. Zwar
dem Gründer des "Naturalismus" waren jene anspruchlosen,
echt malerischen Motive aus dem alltäglichen Leben nach nieder-
ländischer Art die liebsten; er war glücklich in Wahl frischer,
hübscher, jugendlicher Modelle. Aber die Mehrzahl der Besteller
verlangte Realitäten ganz anderer Art. Die Zeit war gross in
der Technik der Folterkammer. Agostino Caracci hatte die
Schindung des hl. Bartolomäus mit dem Phlegma einer anato-
mischen Demonstration dargestellt, Poussin in kunstgerechter Ab-
haspelung des Darms des hl. Erasmus den Preis der Grässlich-
keit und Geschmacklosigkeit gewonnen, Guido in der Kreuzigung
des Petrus das Muster eines Henkerstücks gegeben, und Dome-
nichino in der rührenden Scene des letzten Abendmahls des hl.
Hieronymus den Kirchenvater als Bild der Greisenhaftigkeit
im ekelhaftesten Verfall darstellen zu müssen geglaubt. Ribera,
der anfangs nur den Antrieben seines malerischen Gefühls ge-
folgt war und in Folge dessen mit Noth zu kämpfen hatte, lernte,
dass wer seine Zeit beherrschen will, ihr dienen muss. Er

1) L. Scaramuccia, le finezze de penelli italiani. Pavia 1674, S. 174. Die
Kirche war S. Maria Blanca de' PP. Scalzi. Aus jener Zeit ist dort nur noch ein
ganz verdorbenes Bild des hl. Martin geblieben, in S. Andrea.
Drittes Buch.

Jusepe Ribera hatte sich unter italischem Himmel und, wie
so viele fremde Maler, unter den wechselnden Einwirkungen eines
freien Wanderlebens zum Künstler durchgearbeitet. Es war ein
Beweis seltener Kraft des Charakters, wenn das Ergebniss eine
künstlerische Durchbildung war, wie er sie besser kaum in
strengster Schule hätte empfangen können. Wahrscheinlich
waren es die Lehren und Erzählungen seines Meisters Ribalta
in Valencia, die ihn auf die lombardische Schule hingewiesen
hatten; er hatte sich nach Parma gewandt, und so in Correggio
vertieft, dass eine dort von ihm ausgemalte Kapelle damals oft
von Reisenden für eine Arbeit dieses Meisters gehalten wurde 1).
Diess war der ursprüngliche Spagnoletto. Allein seit Correggio
war der Geschmack in Italien ein ganz anderer geworden. Das
Publikum dieses Jahrhunderts verlangte derbere Kost als Poesie
des Lichts, heiter unbefangene Umdichtung kirchlicher Legenden
bloss nach dem freien Kanon von Schönheit und Liebreiz. Cara-
vaggio’s, auch eines Lombarden, neue Art machte selbst im
Schooss der Schule von Bologna einen stärkeren Eindruck als
die dort aufgerichteten erhabenen Muster der Vorzeit: Guido,
Guercino gingen zu der plastischen, pastosen Manier über. Zwar
dem Gründer des „Naturalismus“ waren jene anspruchlosen,
echt malerischen Motive aus dem alltäglichen Leben nach nieder-
ländischer Art die liebsten; er war glücklich in Wahl frischer,
hübscher, jugendlicher Modelle. Aber die Mehrzahl der Besteller
verlangte Realitäten ganz anderer Art. Die Zeit war gross in
der Technik der Folterkammer. Agostino Caracci hatte die
Schindung des hl. Bartolomäus mit dem Phlegma einer anato-
mischen Demonstration dargestellt, Poussin in kunstgerechter Ab-
haspelung des Darms des hl. Erasmus den Preis der Grässlich-
keit und Geschmacklosigkeit gewonnen, Guido in der Kreuzigung
des Petrus das Muster eines Henkerstücks gegeben, und Dome-
nichino in der rührenden Scene des letzten Abendmahls des hl.
Hieronymus den Kirchenvater als Bild der Greisenhaftigkeit
im ekelhaftesten Verfall darstellen zu müssen geglaubt. Ribera,
der anfangs nur den Antrieben seines malerischen Gefühls ge-
folgt war und in Folge dessen mit Noth zu kämpfen hatte, lernte,
dass wer seine Zeit beherrschen will, ihr dienen muss. Er

1) L. Scaramuccia, le finezze de penelli italiani. Pavia 1674, S. 174. Die
Kirche war S. Maria Blanca de’ PP. Scalzi. Aus jener Zeit ist dort nur noch ein
ganz verdorbenes Bild des hl. Martin geblieben, in S. Andrea.
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[322/0348] Drittes Buch. Jusepe Ribera hatte sich unter italischem Himmel und, wie so viele fremde Maler, unter den wechselnden Einwirkungen eines freien Wanderlebens zum Künstler durchgearbeitet. Es war ein Beweis seltener Kraft des Charakters, wenn das Ergebniss eine künstlerische Durchbildung war, wie er sie besser kaum in strengster Schule hätte empfangen können. Wahrscheinlich waren es die Lehren und Erzählungen seines Meisters Ribalta in Valencia, die ihn auf die lombardische Schule hingewiesen hatten; er hatte sich nach Parma gewandt, und so in Correggio vertieft, dass eine dort von ihm ausgemalte Kapelle damals oft von Reisenden für eine Arbeit dieses Meisters gehalten wurde 1). Diess war der ursprüngliche Spagnoletto. Allein seit Correggio war der Geschmack in Italien ein ganz anderer geworden. Das Publikum dieses Jahrhunderts verlangte derbere Kost als Poesie des Lichts, heiter unbefangene Umdichtung kirchlicher Legenden bloss nach dem freien Kanon von Schönheit und Liebreiz. Cara- vaggio’s, auch eines Lombarden, neue Art machte selbst im Schooss der Schule von Bologna einen stärkeren Eindruck als die dort aufgerichteten erhabenen Muster der Vorzeit: Guido, Guercino gingen zu der plastischen, pastosen Manier über. Zwar dem Gründer des „Naturalismus“ waren jene anspruchlosen, echt malerischen Motive aus dem alltäglichen Leben nach nieder- ländischer Art die liebsten; er war glücklich in Wahl frischer, hübscher, jugendlicher Modelle. Aber die Mehrzahl der Besteller verlangte Realitäten ganz anderer Art. Die Zeit war gross in der Technik der Folterkammer. Agostino Caracci hatte die Schindung des hl. Bartolomäus mit dem Phlegma einer anato- mischen Demonstration dargestellt, Poussin in kunstgerechter Ab- haspelung des Darms des hl. Erasmus den Preis der Grässlich- keit und Geschmacklosigkeit gewonnen, Guido in der Kreuzigung des Petrus das Muster eines Henkerstücks gegeben, und Dome- nichino in der rührenden Scene des letzten Abendmahls des hl. Hieronymus den Kirchenvater als Bild der Greisenhaftigkeit im ekelhaftesten Verfall darstellen zu müssen geglaubt. Ribera, der anfangs nur den Antrieben seines malerischen Gefühls ge- folgt war und in Folge dessen mit Noth zu kämpfen hatte, lernte, dass wer seine Zeit beherrschen will, ihr dienen muss. Er 1) L. Scaramuccia, le finezze de penelli italiani. Pavia 1674, S. 174. Die Kirche war S. Maria Blanca de’ PP. Scalzi. Aus jener Zeit ist dort nur noch ein ganz verdorbenes Bild des hl. Martin geblieben, in S. Andrea.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/348>, abgerufen am 29.04.2024.