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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Jusepe Ribera.
studirte Caravaggio und wurde, ohne ihn persönlich gekannt zu
haben, sein geistreichster Schüler. Da ihm als Spanier auch reali-
stische Auffassung und melancholische Devotion nicht fremd war,
so liess er im Fach des ascetischen Naturalismus bald alle Zeitgenos-
sen hinter sich zurück. Er gab seinen Märtyrbildern einen Localton
des Schaffots, seinen Köpfen und Gestalten eine Energie des Reliefs
und Gelehrsamkeit der Modellirung, seinen Geberden eine stilvolle
Mächtigkeit und oft ein tiefes Pathos, dass viele erklärten, die
Unzulänglichkeit aller übrigen sei hier Ereigniss. Wenn also
malerisches Gefühl und früheste Eindrücke den lombardo-venezia-
nischen Schulen angehörten, wenn seine gründliche Kunstbildung
ihn mit Verehrung gegen die Werke des Vatikan erfüllte, so hatten
ihn Zeitgeist und Interesse zu einem tenebroso gemacht. Aber
diese seine Arbeiten erfreuten sich einer solchen Nachfrage,
dass er erst zu ihrer Vervielfältigung durch die Nadel griff,
dann die Mithülfe von Schülern in Anspruch nahm. Sie machen
die Mehrzahl seiner Werke aus; aber wenn sie ihm Weltruf und
glänzendes Einkommen verschafften, bei der Nachwelt haben sie
ihm empfindlich geschadet, sie haben die besseren Werke seiner
ersten lichten Manier in Vergessenheit gebracht. Diese hat er
aber nie verlernt: sie begegnet uns nicht nur im Anfang, son-
dern auch in der Mitte und ganz am Schluss seiner Laufbahn.
Die Concepcion in dem Montereykloster zu Salamanca (1635)
überragt alles was Guido und Murillo in der Interpretation dieses
Mysteriums erreicht haben; sein Meisterwerk, die Communion der
Apostel in San Martino (1651) war eine der tiefempfundensten
religiösen Schöpfungen des Jahrhunderts. --

Ribera führte seinen Gast in eine neue grosse Kirche, S. Tri-
nita maggiore, um ihm das erste öffentliche Werk zu zeigen,
das ihm nach seinem Emportauchen aus dem Dunkel anvertraut
worden war. Den Auftrag von drei Historien aus dem Leben
des hl. Ignatius verdankte er seinem ersten Gönner und Entdecker,
Osuna, oder vielmehr dessen Beichtvater. Derselbe hatte den
schönen h. Antonius mit dem Jesuskind veranlasst, der lange eine
Kapelle von S. Francesco Xaverio geziert hat 1).

Man sieht hier den früheren Soldaten und hidalgo, den
feurigen phantastischen Basken, der durch einen plötzlichen Ent-
schluss zum Mönch umgewandelt ist, aber sich noch etwas unge-

1) In der Sacristei von S. Ferdinando, wie die Kirche jetzt heisst, ist eine
gute Kopie, eine Originalreplik (?) ist in der Akademie von S. Fernando zu Madrid.

Jusepe Ribera.
studirte Caravaggio und wurde, ohne ihn persönlich gekannt zu
haben, sein geistreichster Schüler. Da ihm als Spanier auch reali-
stische Auffassung und melancholische Devotion nicht fremd war,
so liess er im Fach des ascetischen Naturalismus bald alle Zeitgenos-
sen hinter sich zurück. Er gab seinen Märtyrbildern einen Localton
des Schaffots, seinen Köpfen und Gestalten eine Energie des Reliefs
und Gelehrsamkeit der Modellirung, seinen Geberden eine stilvolle
Mächtigkeit und oft ein tiefes Pathos, dass viele erklärten, die
Unzulänglichkeit aller übrigen sei hier Ereigniss. Wenn also
malerisches Gefühl und früheste Eindrücke den lombardo-venezia-
nischen Schulen angehörten, wenn seine gründliche Kunstbildung
ihn mit Verehrung gegen die Werke des Vatikan erfüllte, so hatten
ihn Zeitgeist und Interesse zu einem tenebroso gemacht. Aber
diese seine Arbeiten erfreuten sich einer solchen Nachfrage,
dass er erst zu ihrer Vervielfältigung durch die Nadel griff,
dann die Mithülfe von Schülern in Anspruch nahm. Sie machen
die Mehrzahl seiner Werke aus; aber wenn sie ihm Weltruf und
glänzendes Einkommen verschafften, bei der Nachwelt haben sie
ihm empfindlich geschadet, sie haben die besseren Werke seiner
ersten lichten Manier in Vergessenheit gebracht. Diese hat er
aber nie verlernt: sie begegnet uns nicht nur im Anfang, son-
dern auch in der Mitte und ganz am Schluss seiner Laufbahn.
Die Concepcion in dem Montereykloster zu Salamanca (1635)
überragt alles was Guido und Murillo in der Interpretation dieses
Mysteriums erreicht haben; sein Meisterwerk, die Communion der
Apostel in San Martino (1651) war eine der tiefempfundensten
religiösen Schöpfungen des Jahrhunderts. —

Ribera führte seinen Gast in eine neue grosse Kirche, S. Tri-
nità maggiore, um ihm das erste öffentliche Werk zu zeigen,
das ihm nach seinem Emportauchen aus dem Dunkel anvertraut
worden war. Den Auftrag von drei Historien aus dem Leben
des hl. Ignatius verdankte er seinem ersten Gönner und Entdecker,
Osuna, oder vielmehr dessen Beichtvater. Derselbe hatte den
schönen h. Antonius mit dem Jesuskind veranlasst, der lange eine
Kapelle von S. Francesco Xaverio geziert hat 1).

Man sieht hier den früheren Soldaten und hidalgo, den
feurigen phantastischen Basken, der durch einen plötzlichen Ent-
schluss zum Mönch umgewandelt ist, aber sich noch etwas unge-

1) In der Sacristei von S. Ferdinando, wie die Kirche jetzt heisst, ist eine
gute Kopie, eine Originalreplik (?) ist in der Akademie von S. Fernando zu Madrid.
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[323/0349] Jusepe Ribera. studirte Caravaggio und wurde, ohne ihn persönlich gekannt zu haben, sein geistreichster Schüler. Da ihm als Spanier auch reali- stische Auffassung und melancholische Devotion nicht fremd war, so liess er im Fach des ascetischen Naturalismus bald alle Zeitgenos- sen hinter sich zurück. Er gab seinen Märtyrbildern einen Localton des Schaffots, seinen Köpfen und Gestalten eine Energie des Reliefs und Gelehrsamkeit der Modellirung, seinen Geberden eine stilvolle Mächtigkeit und oft ein tiefes Pathos, dass viele erklärten, die Unzulänglichkeit aller übrigen sei hier Ereigniss. Wenn also malerisches Gefühl und früheste Eindrücke den lombardo-venezia- nischen Schulen angehörten, wenn seine gründliche Kunstbildung ihn mit Verehrung gegen die Werke des Vatikan erfüllte, so hatten ihn Zeitgeist und Interesse zu einem tenebroso gemacht. Aber diese seine Arbeiten erfreuten sich einer solchen Nachfrage, dass er erst zu ihrer Vervielfältigung durch die Nadel griff, dann die Mithülfe von Schülern in Anspruch nahm. Sie machen die Mehrzahl seiner Werke aus; aber wenn sie ihm Weltruf und glänzendes Einkommen verschafften, bei der Nachwelt haben sie ihm empfindlich geschadet, sie haben die besseren Werke seiner ersten lichten Manier in Vergessenheit gebracht. Diese hat er aber nie verlernt: sie begegnet uns nicht nur im Anfang, son- dern auch in der Mitte und ganz am Schluss seiner Laufbahn. Die Concepcion in dem Montereykloster zu Salamanca (1635) überragt alles was Guido und Murillo in der Interpretation dieses Mysteriums erreicht haben; sein Meisterwerk, die Communion der Apostel in San Martino (1651) war eine der tiefempfundensten religiösen Schöpfungen des Jahrhunderts. — Ribera führte seinen Gast in eine neue grosse Kirche, S. Tri- nità maggiore, um ihm das erste öffentliche Werk zu zeigen, das ihm nach seinem Emportauchen aus dem Dunkel anvertraut worden war. Den Auftrag von drei Historien aus dem Leben des hl. Ignatius verdankte er seinem ersten Gönner und Entdecker, Osuna, oder vielmehr dessen Beichtvater. Derselbe hatte den schönen h. Antonius mit dem Jesuskind veranlasst, der lange eine Kapelle von S. Francesco Xaverio geziert hat 1). Man sieht hier den früheren Soldaten und hidalgo, den feurigen phantastischen Basken, der durch einen plötzlichen Ent- schluss zum Mönch umgewandelt ist, aber sich noch etwas unge- 1) In der Sacristei von S. Ferdinando, wie die Kirche jetzt heisst, ist eine gute Kopie, eine Originalreplik (?) ist in der Akademie von S. Fernando zu Madrid.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/349>, abgerufen am 09.05.2024.