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Kant, Immanuel: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Berlinische Monatsschrift, 1784, H. 12, S. 481-494.

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und auch alsdann nur auf einige Zeit, in dem was
ihm zu wissen obliegt die Aufklärung aufschieben;
aber auf sie Verzicht zu thun, es sei für seine Per¬
son, mehr aber noch für die Nachkommenschaft,
heißt die heiligen Rechte der Menschheit verletzen
und mit Füßen treten. Was aber nicht einmal ein
Volk über sich selbst beschließen darf, das darf noch
weniger ein Monarch über das Volk beschließen;
denn sein gesetzgebendes Ansehen beruht eben dar¬
auf, daß er den gesammten Volkswillen in dem sei¬
nigen vereinigt. Wenn er nur darauf sieht, daß
alle wahre oder vermeinte Verbesserung mit der bür¬
gerlichen Ordnung zusammen bestehe; so kann er
seine Unterthanen übrigens nur selbst machen lassen,
was sie um ihres Seelenheils willen zu thun nöthig
finden; das geht ihn nichts an, wohl aber zu ver¬
hüten, daß nicht einer den andern gewaltthätig hin¬
dere, an der Bestimmung und Beförderung dessel¬
ben nach allem seinen Vermögen zu arbeiten. Es
thut selbst seiner Majestät Abbruch, wenn er sich
hierin mischt, indem er die Schriften, wodurch
seine Unterthanen ihre Einsichten ins Reine zu brin¬
gen suchen, seiner Regierungsaufsicht würdigt, so¬
wohl wenn er dieses aus eigener höchsten Einsicht
thut, wo er sich dem Vorwurfe aussetzt: Caesar
non est supra Grammaticos
, als auch und noch weit
mehr, wenn er seine oberste Gewalt so weit ernie¬
drigt, den geistlichen Despotism einiger Tyrannen

in

und auch alsdann nur auf einige Zeit, in dem was
ihm zu wiſſen obliegt die Aufklärung aufſchieben;
aber auf ſie Verzicht zu thun, es ſei für ſeine Per¬
ſon, mehr aber noch für die Nachkommenſchaft,
heißt die heiligen Rechte der Menſchheit verletzen
und mit Füßen treten. Was aber nicht einmal ein
Volk über ſich ſelbſt beſchließen darf, das darf noch
weniger ein Monarch über das Volk beſchließen;
denn ſein geſetzgebendes Anſehen beruht eben dar¬
auf, daß er den geſammten Volkswillen in dem ſei¬
nigen vereinigt. Wenn er nur darauf ſieht, daß
alle wahre oder vermeinte Verbeſſerung mit der bür¬
gerlichen Ordnung zuſammen beſtehe; ſo kann er
ſeine Unterthanen übrigens nur ſelbſt machen laſſen,
was ſie um ihres Seelenheils willen zu thun nöthig
finden; das geht ihn nichts an, wohl aber zu ver¬
hüten, daß nicht einer den andern gewaltthätig hin¬
dere, an der Beſtimmung und Beförderung deſſel¬
ben nach allem ſeinen Vermögen zu arbeiten. Es
thut ſelbſt ſeiner Majeſtät Abbruch, wenn er ſich
hierin miſcht, indem er die Schriften, wodurch
ſeine Unterthanen ihre Einſichten ins Reine zu brin¬
gen ſuchen, ſeiner Regierungsaufſicht würdigt, ſo¬
wohl wenn er dieſes aus eigener höchſten Einſicht
thut, wo er ſich dem Vorwurfe ausſetzt: Caeſar
non eſt ſupra Grammaticos
, als auch und noch weit
mehr, wenn er ſeine oberſte Gewalt ſo weit ernie¬
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[490/0026] und auch alsdann nur auf einige Zeit, in dem was ihm zu wiſſen obliegt die Aufklärung aufſchieben; aber auf ſie Verzicht zu thun, es ſei für ſeine Per¬ ſon, mehr aber noch für die Nachkommenſchaft, heißt die heiligen Rechte der Menſchheit verletzen und mit Füßen treten. Was aber nicht einmal ein Volk über ſich ſelbſt beſchließen darf, das darf noch weniger ein Monarch über das Volk beſchließen; denn ſein geſetzgebendes Anſehen beruht eben dar¬ auf, daß er den geſammten Volkswillen in dem ſei¬ nigen vereinigt. Wenn er nur darauf ſieht, daß alle wahre oder vermeinte Verbeſſerung mit der bür¬ gerlichen Ordnung zuſammen beſtehe; ſo kann er ſeine Unterthanen übrigens nur ſelbſt machen laſſen, was ſie um ihres Seelenheils willen zu thun nöthig finden; das geht ihn nichts an, wohl aber zu ver¬ hüten, daß nicht einer den andern gewaltthätig hin¬ dere, an der Beſtimmung und Beförderung deſſel¬ ben nach allem ſeinen Vermögen zu arbeiten. Es thut ſelbſt ſeiner Majeſtät Abbruch, wenn er ſich hierin miſcht, indem er die Schriften, wodurch ſeine Unterthanen ihre Einſichten ins Reine zu brin¬ gen ſuchen, ſeiner Regierungsaufſicht würdigt, ſo¬ wohl wenn er dieſes aus eigener höchſten Einſicht thut, wo er ſich dem Vorwurfe ausſetzt: Caeſar non eſt ſupra Grammaticos, als auch und noch weit mehr, wenn er ſeine oberſte Gewalt ſo weit ernie¬ drigt, den geiſtlichen Despotism einiger Tyrannen in

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Berlinische Monatsschrift, 1784, H. 12, S. 481-494, hier S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_aufklaerung_1784/26>, abgerufen am 28.04.2024.