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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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die religiösen Meinungen zurückgeführt. Es wur¬
den Bücher von Hellsehenden, Berichte über
merkwürdige Reisen durch verschiedene Himmels¬
körper und andere ähnliche Aufschlüsse gelesen,
nachdem sie der Frau Margreth zur Anschaffung
empfohlen worden, und alsdann darüber ge¬
sprochen und die Phantasie mit den kühnsten
Gedanken angefüllt. Der Eine oder Andere
fügte dann noch aufgeschnappte Berichte aus der
Wissenschaft hinzu, wie er von dem Bedienten
eines Sternguckers gehört hatte, daß man durch
dessen Fernrohr lebendige Wesen im Monde und
feurige Schiffe in der Sonne sehen könne. Frau
Margreth hatte immer die lebendigste Einbil¬
dungskraft und bei ihr ging Alles in Fleisch
und Blut über. Sie pflegte mehrmals in der
Nacht aufzustehen und aus dem Fenster zu
schauen, um nachzusehen, was in der stillen
dunklen Welt vorging, und immer entdeckte sie
einen verdächtigen Stern, der nicht wie gewöhn¬
lich aussah, ein Meteor oder einen rothen
Schein, welch' Allem sie gleich einen Namen
zu geben wußte. Alles war ihr von Bedeutung

I. 13

die religioͤſen Meinungen zuruͤckgefuͤhrt. Es wur¬
den Buͤcher von Hellſehenden, Berichte uͤber
merkwuͤrdige Reiſen durch verſchiedene Himmels¬
koͤrper und andere aͤhnliche Aufſchluͤſſe geleſen,
nachdem ſie der Frau Margreth zur Anſchaffung
empfohlen worden, und alsdann daruͤber ge¬
ſprochen und die Phantaſie mit den kuͤhnſten
Gedanken angefuͤllt. Der Eine oder Andere
fuͤgte dann noch aufgeſchnappte Berichte aus der
Wiſſenſchaft hinzu, wie er von dem Bedienten
eines Sternguckers gehoͤrt hatte, daß man durch
deſſen Fernrohr lebendige Weſen im Monde und
feurige Schiffe in der Sonne ſehen koͤnne. Frau
Margreth hatte immer die lebendigſte Einbil¬
dungskraft und bei ihr ging Alles in Fleiſch
und Blut uͤber. Sie pflegte mehrmals in der
Nacht aufzuſtehen und aus dem Fenſter zu
ſchauen, um nachzuſehen, was in der ſtillen
dunklen Welt vorging, und immer entdeckte ſie
einen verdaͤchtigen Stern, der nicht wie gewoͤhn¬
lich ausſah, ein Meteor oder einen rothen
Schein, welch' Allem ſie gleich einen Namen
zu geben wußte. Alles war ihr von Bedeutung

I. 13
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[193/0207] die religioͤſen Meinungen zuruͤckgefuͤhrt. Es wur¬ den Buͤcher von Hellſehenden, Berichte uͤber merkwuͤrdige Reiſen durch verſchiedene Himmels¬ koͤrper und andere aͤhnliche Aufſchluͤſſe geleſen, nachdem ſie der Frau Margreth zur Anſchaffung empfohlen worden, und alsdann daruͤber ge¬ ſprochen und die Phantaſie mit den kuͤhnſten Gedanken angefuͤllt. Der Eine oder Andere fuͤgte dann noch aufgeſchnappte Berichte aus der Wiſſenſchaft hinzu, wie er von dem Bedienten eines Sternguckers gehoͤrt hatte, daß man durch deſſen Fernrohr lebendige Weſen im Monde und feurige Schiffe in der Sonne ſehen koͤnne. Frau Margreth hatte immer die lebendigſte Einbil¬ dungskraft und bei ihr ging Alles in Fleiſch und Blut uͤber. Sie pflegte mehrmals in der Nacht aufzuſtehen und aus dem Fenſter zu ſchauen, um nachzuſehen, was in der ſtillen dunklen Welt vorging, und immer entdeckte ſie einen verdaͤchtigen Stern, der nicht wie gewoͤhn¬ lich ausſah, ein Meteor oder einen rothen Schein, welch' Allem ſie gleich einen Namen zu geben wußte. Alles war ihr von Bedeutung I. 13

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/207>, abgerufen am 30.04.2024.