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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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und belebt; wenn die Sonne in ein Glas Was¬
ser schien und durch dasselbe auf den hell polirten
Tisch, so waren die sieben spielenden Farben für
sie ein unmittelbarer Abglanz der Herrlichkeiten,
welche in der Sonne selbst sein sollten. Sie
sagte: Seht ihr denn nicht die schönen Blumen
und Kränze, die grünen Geländer und die rothen
Seidentücher? diese goldenen Glöcklein und diese
silbernen Brunnen? und so oft die Sonne in
die Stube schien, machte sie das Experiment,
um ein wenig in den Himmel zu sehen, wie sie
meinte. Ihr Mann und der Schneider lachten
sie dann aus, und der Erste nannte sie eine
phantastische Kuh. Jedoch auf einem festeren
Boden stand sie, wenn von Geistererscheinungen
die Rede war, denn hier hatte sie feste und un¬
läugbare Erfahrungen die Menge, welche sie
schon Schweiß genug gekostet hatten, und fast
alle Andern wußten auch davon zu erzählen.
Seit sie nicht mehr aus dem Hause kam, waren
freilich ihre Erlebnisse auf ein häufiges Pochen
und Rumoren in alten Wandschränken und etwa
auf das Umherschleichen eines schwarzen Schafes

und belebt; wenn die Sonne in ein Glas Waſ¬
ſer ſchien und durch daſſelbe auf den hell polirten
Tiſch, ſo waren die ſieben ſpielenden Farben fuͤr
ſie ein unmittelbarer Abglanz der Herrlichkeiten,
welche in der Sonne ſelbſt ſein ſollten. Sie
ſagte: Seht ihr denn nicht die ſchoͤnen Blumen
und Kraͤnze, die gruͤnen Gelaͤnder und die rothen
Seidentuͤcher? dieſe goldenen Gloͤcklein und dieſe
ſilbernen Brunnen? und ſo oft die Sonne in
die Stube ſchien, machte ſie das Experiment,
um ein wenig in den Himmel zu ſehen, wie ſie
meinte. Ihr Mann und der Schneider lachten
ſie dann aus, und der Erſte nannte ſie eine
phantaſtiſche Kuh. Jedoch auf einem feſteren
Boden ſtand ſie, wenn von Geiſtererſcheinungen
die Rede war, denn hier hatte ſie feſte und un¬
laͤugbare Erfahrungen die Menge, welche ſie
ſchon Schweiß genug gekoſtet hatten, und faſt
alle Andern wußten auch davon zu erzaͤhlen.
Seit ſie nicht mehr aus dem Hauſe kam, waren
freilich ihre Erlebniſſe auf ein haͤufiges Pochen
und Rumoren in alten Wandſchraͤnken und etwa
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[194/0208] und belebt; wenn die Sonne in ein Glas Waſ¬ ſer ſchien und durch daſſelbe auf den hell polirten Tiſch, ſo waren die ſieben ſpielenden Farben fuͤr ſie ein unmittelbarer Abglanz der Herrlichkeiten, welche in der Sonne ſelbſt ſein ſollten. Sie ſagte: Seht ihr denn nicht die ſchoͤnen Blumen und Kraͤnze, die gruͤnen Gelaͤnder und die rothen Seidentuͤcher? dieſe goldenen Gloͤcklein und dieſe ſilbernen Brunnen? und ſo oft die Sonne in die Stube ſchien, machte ſie das Experiment, um ein wenig in den Himmel zu ſehen, wie ſie meinte. Ihr Mann und der Schneider lachten ſie dann aus, und der Erſte nannte ſie eine phantaſtiſche Kuh. Jedoch auf einem feſteren Boden ſtand ſie, wenn von Geiſtererſcheinungen die Rede war, denn hier hatte ſie feſte und un¬ laͤugbare Erfahrungen die Menge, welche ſie ſchon Schweiß genug gekoſtet hatten, und faſt alle Andern wußten auch davon zu erzaͤhlen. Seit ſie nicht mehr aus dem Hauſe kam, waren freilich ihre Erlebniſſe auf ein haͤufiges Pochen und Rumoren in alten Wandſchraͤnken und etwa auf das Umherſchleichen eines ſchwarzen Schafes

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/208>, abgerufen am 30.04.2024.