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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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mißhandelten Jungen so lamentiren und erbost
sein konnten gegen mich, da der treffliche Ver¬
lauf der Geschichte sich von selbst verstand und
ich hieran so wenig etwas ändern konnte, als
die alten Götter am Fatum.

Die Betroffenen waren sämmtlich, was man
schon in der Kinderwelt rechtliche Leute nennen
könnte, ruhige, gesetzte Knaben, welche bisher
keinen Anlaß zu grobem Tadel gegeben, und aus
denen seither stille und arbeitsame junge Bürger
geworden. Um so tiefer wurzelte in ihnen die
Erinnerung an meine Teufelei und das erlittene
Unrecht, und als sie es Jahre lang nachher mir
vorhielten, erinnerte ich mich ganz genau wieder
an die vergessene Geschichte, und fast jedes Wort
ward wieder lebendig. Erst jetzt quälte mich der
Vorfall mit verdoppelter nachhaltiger Wuth, und
so oft ich daran denke, steigt mir das Blut zu
Kopfe, und ich möchte mit aller Gewalt die
Schuld auf jene leichtgläubigen Inquisitoren
schieben, ja sogar die plauderhafte Frau ankla¬
gen, welche auf die verpönten Worte gemerkt
und nicht geruht hatte, bis ein bestimmter Ur¬

I. 15

mißhandelten Jungen ſo lamentiren und erboſt
ſein konnten gegen mich, da der treffliche Ver¬
lauf der Geſchichte ſich von ſelbſt verſtand und
ich hieran ſo wenig etwas aͤndern konnte, als
die alten Goͤtter am Fatum.

Die Betroffenen waren ſaͤmmtlich, was man
ſchon in der Kinderwelt rechtliche Leute nennen
koͤnnte, ruhige, geſetzte Knaben, welche bisher
keinen Anlaß zu grobem Tadel gegeben, und aus
denen ſeither ſtille und arbeitſame junge Buͤrger
geworden. Um ſo tiefer wurzelte in ihnen die
Erinnerung an meine Teufelei und das erlittene
Unrecht, und als ſie es Jahre lang nachher mir
vorhielten, erinnerte ich mich ganz genau wieder
an die vergeſſene Geſchichte, und faſt jedes Wort
ward wieder lebendig. Erſt jetzt quaͤlte mich der
Vorfall mit verdoppelter nachhaltiger Wuth, und
ſo oft ich daran denke, ſteigt mir das Blut zu
Kopfe, und ich moͤchte mit aller Gewalt die
Schuld auf jene leichtglaͤubigen Inquiſitoren
ſchieben, ja ſogar die plauderhafte Frau ankla¬
gen, welche auf die verpoͤnten Worte gemerkt
und nicht geruht hatte, bis ein beſtimmter Ur¬

I. 15
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[225/0239] mißhandelten Jungen ſo lamentiren und erboſt ſein konnten gegen mich, da der treffliche Ver¬ lauf der Geſchichte ſich von ſelbſt verſtand und ich hieran ſo wenig etwas aͤndern konnte, als die alten Goͤtter am Fatum. Die Betroffenen waren ſaͤmmtlich, was man ſchon in der Kinderwelt rechtliche Leute nennen koͤnnte, ruhige, geſetzte Knaben, welche bisher keinen Anlaß zu grobem Tadel gegeben, und aus denen ſeither ſtille und arbeitſame junge Buͤrger geworden. Um ſo tiefer wurzelte in ihnen die Erinnerung an meine Teufelei und das erlittene Unrecht, und als ſie es Jahre lang nachher mir vorhielten, erinnerte ich mich ganz genau wieder an die vergeſſene Geſchichte, und faſt jedes Wort ward wieder lebendig. Erſt jetzt quaͤlte mich der Vorfall mit verdoppelter nachhaltiger Wuth, und ſo oft ich daran denke, ſteigt mir das Blut zu Kopfe, und ich moͤchte mit aller Gewalt die Schuld auf jene leichtglaͤubigen Inquiſitoren ſchieben, ja ſogar die plauderhafte Frau ankla¬ gen, welche auf die verpoͤnten Worte gemerkt und nicht geruht hatte, bis ein beſtimmter Ur¬ I. 15

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/239>, abgerufen am 30.04.2024.