Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

nirtheit. Denn was mir nicht klar war oder zu
schwierig erschien, das warf ich, mich selbst be¬
trügend, durcheinander und verhüllte es mit mei¬
ner unseligen Pinselgewandtheit, da ich, anstatt
bescheiden mit dem Stifte anzufangen, sogleich
mit den angewöhnten Tuschschalen, Wasserglas
und Pinsel hinausging und bestrebt war, gleich
ganze Blätter in allen vier Ecken bildartig anzu¬
füllen. Die Bäume waren noch unbelaubt und
ich hätte daher Gelegenheit gefunden, einstweilen
den Bau ihrer Stämme, Aeste und Zweige, die
Verschiedenheit und Anmuth im Verlaufe dersel¬
ben zu beobachten und mir einzuprägen; statt
dessen aber zog ich es vor, solche Gegenstände zu
wählen, welche jetzt schon ein Ganzes vorstellten,
und gerieth deshalb an die schwierigsten und für
jetzt zwecklosesten Dinge. Ich ergriff entweder
ganze Aussichten mit See und Gebirgen, oder
ging im Walde den Bergbächen nach, wo ich
eine Menge kleiner und hübscher Wasserfälle fand,
welche sich ansehnlich zwischen vier Striche ein¬
rahmen ließen. Das lebendige, geistige und zarte
Spiel des Wassers im Fallen, Schäumen und

12 *

nirtheit. Denn was mir nicht klar war oder zu
ſchwierig erſchien, das warf ich, mich ſelbſt be¬
truͤgend, durcheinander und verhuͤllte es mit mei¬
ner unſeligen Pinſelgewandtheit, da ich, anſtatt
beſcheiden mit dem Stifte anzufangen, ſogleich
mit den angewoͤhnten Tuſchſchalen, Waſſerglas
und Pinſel hinausging und beſtrebt war, gleich
ganze Blaͤtter in allen vier Ecken bildartig anzu¬
fuͤllen. Die Baͤume waren noch unbelaubt und
ich haͤtte daher Gelegenheit gefunden, einſtweilen
den Bau ihrer Staͤmme, Aeſte und Zweige, die
Verſchiedenheit und Anmuth im Verlaufe derſel¬
ben zu beobachten und mir einzupraͤgen; ſtatt
deſſen aber zog ich es vor, ſolche Gegenſtaͤnde zu
waͤhlen, welche jetzt ſchon ein Ganzes vorſtellten,
und gerieth deshalb an die ſchwierigſten und fuͤr
jetzt zweckloſeſten Dinge. Ich ergriff entweder
ganze Ausſichten mit See und Gebirgen, oder
ging im Walde den Bergbaͤchen nach, wo ich
eine Menge kleiner und huͤbſcher Waſſerfaͤlle fand,
welche ſich anſehnlich zwiſchen vier Striche ein¬
rahmen ließen. Das lebendige, geiſtige und zarte
Spiel des Waſſers im Fallen, Schaͤumen und

12 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0189" n="179"/>
nirtheit. Denn was mir nicht klar war oder zu<lb/>
&#x017F;chwierig er&#x017F;chien, das warf ich, mich &#x017F;elb&#x017F;t be¬<lb/>
tru&#x0364;gend, durcheinander und verhu&#x0364;llte es mit mei¬<lb/>
ner un&#x017F;eligen Pin&#x017F;elgewandtheit, da ich, an&#x017F;tatt<lb/>
be&#x017F;cheiden mit dem Stifte anzufangen, &#x017F;ogleich<lb/>
mit den angewo&#x0364;hnten Tu&#x017F;ch&#x017F;chalen, Wa&#x017F;&#x017F;erglas<lb/>
und Pin&#x017F;el hinausging und be&#x017F;trebt war, gleich<lb/>
ganze Bla&#x0364;tter in allen vier Ecken bildartig anzu¬<lb/>
fu&#x0364;llen. Die Ba&#x0364;ume waren noch unbelaubt und<lb/>
ich ha&#x0364;tte daher Gelegenheit gefunden, ein&#x017F;tweilen<lb/>
den Bau ihrer Sta&#x0364;mme, Ae&#x017F;te und Zweige, die<lb/>
Ver&#x017F;chiedenheit und Anmuth im Verlaufe der&#x017F;el¬<lb/>
ben zu beobachten und mir einzupra&#x0364;gen; &#x017F;tatt<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en aber zog ich es vor, &#x017F;olche Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde zu<lb/>
wa&#x0364;hlen, welche jetzt &#x017F;chon ein Ganzes vor&#x017F;tellten,<lb/>
und gerieth deshalb an die &#x017F;chwierig&#x017F;ten und fu&#x0364;r<lb/>
jetzt zwecklo&#x017F;e&#x017F;ten Dinge. Ich ergriff entweder<lb/>
ganze Aus&#x017F;ichten mit See und Gebirgen, oder<lb/>
ging im Walde den Bergba&#x0364;chen nach, wo ich<lb/>
eine Menge kleiner und hu&#x0364;b&#x017F;cher Wa&#x017F;&#x017F;erfa&#x0364;lle fand,<lb/>
welche &#x017F;ich an&#x017F;ehnlich zwi&#x017F;chen vier Striche ein¬<lb/>
rahmen ließen. Das lebendige, gei&#x017F;tige und zarte<lb/>
Spiel des Wa&#x017F;&#x017F;ers im Fallen, Scha&#x0364;umen und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">12 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[179/0189] nirtheit. Denn was mir nicht klar war oder zu ſchwierig erſchien, das warf ich, mich ſelbſt be¬ truͤgend, durcheinander und verhuͤllte es mit mei¬ ner unſeligen Pinſelgewandtheit, da ich, anſtatt beſcheiden mit dem Stifte anzufangen, ſogleich mit den angewoͤhnten Tuſchſchalen, Waſſerglas und Pinſel hinausging und beſtrebt war, gleich ganze Blaͤtter in allen vier Ecken bildartig anzu¬ fuͤllen. Die Baͤume waren noch unbelaubt und ich haͤtte daher Gelegenheit gefunden, einſtweilen den Bau ihrer Staͤmme, Aeſte und Zweige, die Verſchiedenheit und Anmuth im Verlaufe derſel¬ ben zu beobachten und mir einzupraͤgen; ſtatt deſſen aber zog ich es vor, ſolche Gegenſtaͤnde zu waͤhlen, welche jetzt ſchon ein Ganzes vorſtellten, und gerieth deshalb an die ſchwierigſten und fuͤr jetzt zweckloſeſten Dinge. Ich ergriff entweder ganze Ausſichten mit See und Gebirgen, oder ging im Walde den Bergbaͤchen nach, wo ich eine Menge kleiner und huͤbſcher Waſſerfaͤlle fand, welche ſich anſehnlich zwiſchen vier Striche ein¬ rahmen ließen. Das lebendige, geiſtige und zarte Spiel des Waſſers im Fallen, Schaͤumen und 12 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/189
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/189>, abgerufen am 27.04.2024.