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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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Rocke, warf die Schuhriemen weg und riß das
Band von seinem Hute, trug einen derben Prü¬
gel in der Hand, welcher zu seinem zarten Ge¬
sichtchen seltsam contrastirte, und legte sein Bett
auf den bloßen Boden; bald trug er sein schönes
Goldhaar in langen tausendfach geringelten Locken,
weil die Scheere überflüssig sei, bald schnitt er
es so dicht am Kopfe weg, daß man mit dem
feinsten Zängelchen kaum ein Härchen hätte fas¬
sen können, indem er die Locken als schnöden Luxus
erklärte, und er sah dann mit seinem geschorenen
Rosenköpfchen noch viel lustiger aus. Im Essen
war er hinwieder Epikuräer und die gewöhnliche
Dorfkost verschmähend, schmorte er sich ein saures
Eichhörnchen, briet ein Fischchen oder eine Wachtel,
die er gefangen hatte, und aß ausgesuchte kleine
Böhnchen, junge Kräutchen u. dgl., wozu er ein
halbes Gläschen alten Wein trank. Als Stoiker
hingegen richtete er allerhand spaßhafte Händel
an und brachte die Leute in Harnisch, um in dem
entstandenen Lärm dann einen kalten Gleichmuth
zu behaupten und sich Nichts anfechten zu lassen;
insbesondere aber erklärte er sich als einen Ver¬

II. 17

Rocke, warf die Schuhriemen weg und riß das
Band von ſeinem Hute, trug einen derben Pruͤ¬
gel in der Hand, welcher zu ſeinem zarten Ge¬
ſichtchen ſeltſam contraſtirte, und legte ſein Bett
auf den bloßen Boden; bald trug er ſein ſchoͤnes
Goldhaar in langen tauſendfach geringelten Locken,
weil die Scheere uͤberfluͤſſig ſei, bald ſchnitt er
es ſo dicht am Kopfe weg, daß man mit dem
feinſten Zaͤngelchen kaum ein Haͤrchen haͤtte faſ¬
ſen koͤnnen, indem er die Locken als ſchnoͤden Luxus
erklaͤrte, und er ſah dann mit ſeinem geſchorenen
Roſenkoͤpfchen noch viel luſtiger aus. Im Eſſen
war er hinwieder Epikuraͤer und die gewoͤhnliche
Dorfkoſt verſchmaͤhend, ſchmorte er ſich ein ſaures
Eichhoͤrnchen, briet ein Fiſchchen oder eine Wachtel,
die er gefangen hatte, und aß ausgeſuchte kleine
Boͤhnchen, junge Kraͤutchen u. dgl., wozu er ein
halbes Glaͤschen alten Wein trank. Als Stoiker
hingegen richtete er allerhand ſpaßhafte Haͤndel
an und brachte die Leute in Harniſch, um in dem
entſtandenen Laͤrm dann einen kalten Gleichmuth
zu behaupten und ſich Nichts anfechten zu laſſen;
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II. 17
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[257/0267] Rocke, warf die Schuhriemen weg und riß das Band von ſeinem Hute, trug einen derben Pruͤ¬ gel in der Hand, welcher zu ſeinem zarten Ge¬ ſichtchen ſeltſam contraſtirte, und legte ſein Bett auf den bloßen Boden; bald trug er ſein ſchoͤnes Goldhaar in langen tauſendfach geringelten Locken, weil die Scheere uͤberfluͤſſig ſei, bald ſchnitt er es ſo dicht am Kopfe weg, daß man mit dem feinſten Zaͤngelchen kaum ein Haͤrchen haͤtte faſ¬ ſen koͤnnen, indem er die Locken als ſchnoͤden Luxus erklaͤrte, und er ſah dann mit ſeinem geſchorenen Roſenkoͤpfchen noch viel luſtiger aus. Im Eſſen war er hinwieder Epikuraͤer und die gewoͤhnliche Dorfkoſt verſchmaͤhend, ſchmorte er ſich ein ſaures Eichhoͤrnchen, briet ein Fiſchchen oder eine Wachtel, die er gefangen hatte, und aß ausgeſuchte kleine Boͤhnchen, junge Kraͤutchen u. dgl., wozu er ein halbes Glaͤschen alten Wein trank. Als Stoiker hingegen richtete er allerhand ſpaßhafte Haͤndel an und brachte die Leute in Harniſch, um in dem entſtandenen Laͤrm dann einen kalten Gleichmuth zu behaupten und ſich Nichts anfechten zu laſſen; insbeſondere aber erklaͤrte er ſich als einen Ver¬ II. 17

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/267>, abgerufen am 12.05.2024.