Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

ächter der Frauen und führte einen beständigen
Krieg mit ihnen, welche mit ihren sinnlichen
Reizen und ihrem eitlen Wesen die Männer ihrer
Tugend und Ernsthaftigkeit berauben wollten.
Als Cyniker verfolgte er die Frauen und Mäd¬
chen überall mit Natürlichkeiten, als Epikuräer
mit erotischen Witzen, und als Stoiker sagte er
ihnen Grobheiten, war aber immer zu finden,
wo drei bei einander standen. Sie wehrten sich
mit geräuschvollem Entsetzen gegen ihn, so daß
überall, wo er erschien, ein lustiger Spectakel
losging; nichts desto minder sah man ihn überall
gern, die Männer achteten nicht auf ihn und die
Kinder hingen mit großer Liebe an ihm; denn
mit diesen war er auf einmal wie ein Lamm und
stand in dem reinsten und schönsten Verhältnisse
zu ihnen. Er hatte die Allerkleinsten zu besorgen
und er that dies so vortrefflich, daß man noch
nie einen so wohlgearteten und sittigen Schlag
kleiner Jüngelchens und Dirnchens im Dorfe ge¬
sehen hatte. Deshalb übersah man seine übri¬
gen Geschichten, die er anrichtete, und die man
seiner tollen Jugend zuschrieb, und selbst, daß er

aͤchter der Frauen und fuͤhrte einen beſtaͤndigen
Krieg mit ihnen, welche mit ihren ſinnlichen
Reizen und ihrem eitlen Weſen die Maͤnner ihrer
Tugend und Ernſthaftigkeit berauben wollten.
Als Cyniker verfolgte er die Frauen und Maͤd¬
chen uͤberall mit Natuͤrlichkeiten, als Epikuraͤer
mit erotiſchen Witzen, und als Stoiker ſagte er
ihnen Grobheiten, war aber immer zu finden,
wo drei bei einander ſtanden. Sie wehrten ſich
mit geraͤuſchvollem Entſetzen gegen ihn, ſo daß
uͤberall, wo er erſchien, ein luſtiger Spectakel
losging; nichts deſto minder ſah man ihn uͤberall
gern, die Maͤnner achteten nicht auf ihn und die
Kinder hingen mit großer Liebe an ihm; denn
mit dieſen war er auf einmal wie ein Lamm und
ſtand in dem reinſten und ſchoͤnſten Verhaͤltniſſe
zu ihnen. Er hatte die Allerkleinſten zu beſorgen
und er that dies ſo vortrefflich, daß man noch
nie einen ſo wohlgearteten und ſittigen Schlag
kleiner Juͤngelchens und Dirnchens im Dorfe ge¬
ſehen hatte. Deshalb uͤberſah man ſeine uͤbri¬
gen Geſchichten, die er anrichtete, und die man
ſeiner tollen Jugend zuſchrieb, und ſelbſt, daß er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0268" n="258"/>
a&#x0364;chter der Frauen und fu&#x0364;hrte einen be&#x017F;ta&#x0364;ndigen<lb/>
Krieg mit ihnen, welche mit ihren &#x017F;innlichen<lb/>
Reizen und ihrem eitlen We&#x017F;en die Ma&#x0364;nner ihrer<lb/>
Tugend und Ern&#x017F;thaftigkeit berauben wollten.<lb/>
Als Cyniker verfolgte er die Frauen und Ma&#x0364;<lb/>
chen u&#x0364;berall mit Natu&#x0364;rlichkeiten, als Epikura&#x0364;er<lb/>
mit eroti&#x017F;chen Witzen, und als Stoiker &#x017F;agte er<lb/>
ihnen Grobheiten, war aber immer zu finden,<lb/>
wo drei bei einander &#x017F;tanden. Sie wehrten &#x017F;ich<lb/>
mit gera&#x0364;u&#x017F;chvollem Ent&#x017F;etzen gegen ihn, &#x017F;o daß<lb/>
u&#x0364;berall, wo er er&#x017F;chien, ein lu&#x017F;tiger Spectakel<lb/>
losging; nichts de&#x017F;to minder &#x017F;ah man ihn u&#x0364;berall<lb/>
gern, die Ma&#x0364;nner achteten nicht auf ihn und die<lb/>
Kinder hingen mit großer Liebe an ihm; denn<lb/>
mit die&#x017F;en war er auf einmal wie ein Lamm und<lb/>
&#x017F;tand in dem rein&#x017F;ten und &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
zu ihnen. Er hatte die Allerklein&#x017F;ten zu be&#x017F;orgen<lb/>
und er that dies &#x017F;o vortrefflich, daß man noch<lb/>
nie einen &#x017F;o wohlgearteten und &#x017F;ittigen Schlag<lb/>
kleiner Ju&#x0364;ngelchens und Dirnchens im Dorfe ge¬<lb/>
&#x017F;ehen hatte. Deshalb u&#x0364;ber&#x017F;ah man &#x017F;eine u&#x0364;bri¬<lb/>
gen Ge&#x017F;chichten, die er anrichtete, und die man<lb/>
&#x017F;einer tollen Jugend zu&#x017F;chrieb, und &#x017F;elb&#x017F;t, daß er<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[258/0268] aͤchter der Frauen und fuͤhrte einen beſtaͤndigen Krieg mit ihnen, welche mit ihren ſinnlichen Reizen und ihrem eitlen Weſen die Maͤnner ihrer Tugend und Ernſthaftigkeit berauben wollten. Als Cyniker verfolgte er die Frauen und Maͤd¬ chen uͤberall mit Natuͤrlichkeiten, als Epikuraͤer mit erotiſchen Witzen, und als Stoiker ſagte er ihnen Grobheiten, war aber immer zu finden, wo drei bei einander ſtanden. Sie wehrten ſich mit geraͤuſchvollem Entſetzen gegen ihn, ſo daß uͤberall, wo er erſchien, ein luſtiger Spectakel losging; nichts deſto minder ſah man ihn uͤberall gern, die Maͤnner achteten nicht auf ihn und die Kinder hingen mit großer Liebe an ihm; denn mit dieſen war er auf einmal wie ein Lamm und ſtand in dem reinſten und ſchoͤnſten Verhaͤltniſſe zu ihnen. Er hatte die Allerkleinſten zu beſorgen und er that dies ſo vortrefflich, daß man noch nie einen ſo wohlgearteten und ſittigen Schlag kleiner Juͤngelchens und Dirnchens im Dorfe ge¬ ſehen hatte. Deshalb uͤberſah man ſeine uͤbri¬ gen Geſchichten, die er anrichtete, und die man ſeiner tollen Jugend zuſchrieb, und ſelbſt, daß er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/268
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/268>, abgerufen am 13.05.2024.