Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

gen zurück und wagte nicht, ein Wort zu sagen.
Da gab Anna dem Schimmel einen kecken Schlag
mit der Gerte und setzte ihn in Galop, ich that
das Gleiche; ein lauer Wind wehte uns entge¬
gen, und als ich auf einmal sah, daß sie, ganz
geröthet die balsamische Luft einathmend und
während ihr Haar wie ein leuchtender Streif
wagrecht schwebte, langhin flatternd: daß sie so
ganz vergnügt vor sich hin lächelte, den Kopf
hoch aufgehalten mit dem funkelnden Krönchen,
da schloß ich mich dicht an ihre Seite, und so
jagten wir wohl fünf Minuten lang über die
einsame Höhe dahin. Aber diese fünf Minuten,
kurz wie ein Augenblick, schienen doch eine Ewig¬
keit von Glück zu sein, es war ein Stück Dasein,
an welchem die Zeit ihr Maß verlor, welches
einer Blume vollkommen glich, einer Blume,
von der man keine Frucht zu verlangen braucht,
weil die bloße Erinnerung ihrer Blüthezeit ein
volles Genügen und ein Schutzbrief ist für alle
Zukunft. Der Weg war noch halb feucht und
doch fest, rechts unter uns zog der Fluß, wir
sahen seine glänzende Länge hinauf, jenseits er¬

gen zuruͤck und wagte nicht, ein Wort zu ſagen.
Da gab Anna dem Schimmel einen kecken Schlag
mit der Gerte und ſetzte ihn in Galop, ich that
das Gleiche; ein lauer Wind wehte uns entge¬
gen, und als ich auf einmal ſah, daß ſie, ganz
geroͤthet die balſamiſche Luft einathmend und
waͤhrend ihr Haar wie ein leuchtender Streif
wagrecht ſchwebte, langhin flatternd: daß ſie ſo
ganz vergnuͤgt vor ſich hin laͤchelte, den Kopf
hoch aufgehalten mit dem funkelnden Kroͤnchen,
da ſchloß ich mich dicht an ihre Seite, und ſo
jagten wir wohl fuͤnf Minuten lang uͤber die
einſame Hoͤhe dahin. Aber dieſe fuͤnf Minuten,
kurz wie ein Augenblick, ſchienen doch eine Ewig¬
keit von Gluͤck zu ſein, es war ein Stuͤck Daſein,
an welchem die Zeit ihr Maß verlor, welches
einer Blume vollkommen glich, einer Blume,
von der man keine Frucht zu verlangen braucht,
weil die bloße Erinnerung ihrer Bluͤthezeit ein
volles Genuͤgen und ein Schutzbrief iſt fuͤr alle
Zukunft. Der Weg war noch halb feucht und
doch feſt, rechts unter uns zog der Fluß, wir
ſahen ſeine glaͤnzende Laͤnge hinauf, jenſeits er¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0416" n="406"/>
gen zuru&#x0364;ck und wagte nicht, ein Wort zu &#x017F;agen.<lb/>
Da gab Anna dem Schimmel einen kecken Schlag<lb/>
mit der Gerte und &#x017F;etzte ihn in Galop, ich that<lb/>
das Gleiche; ein lauer Wind wehte uns entge¬<lb/>
gen, und als ich auf einmal &#x017F;ah, daß &#x017F;ie, ganz<lb/>
gero&#x0364;thet die bal&#x017F;ami&#x017F;che Luft einathmend und<lb/>
wa&#x0364;hrend ihr Haar wie ein leuchtender Streif<lb/>
wagrecht &#x017F;chwebte, langhin flatternd: daß &#x017F;ie &#x017F;o<lb/>
ganz vergnu&#x0364;gt vor &#x017F;ich hin la&#x0364;chelte, den Kopf<lb/>
hoch aufgehalten mit dem funkelnden Kro&#x0364;nchen,<lb/>
da &#x017F;chloß ich mich dicht an ihre Seite, und &#x017F;o<lb/>
jagten wir wohl fu&#x0364;nf Minuten lang u&#x0364;ber die<lb/>
ein&#x017F;ame Ho&#x0364;he dahin. Aber die&#x017F;e fu&#x0364;nf Minuten,<lb/>
kurz wie ein Augenblick, &#x017F;chienen doch eine Ewig¬<lb/>
keit von Glu&#x0364;ck zu &#x017F;ein, es war ein Stu&#x0364;ck Da&#x017F;ein,<lb/>
an welchem die Zeit ihr Maß verlor, welches<lb/>
einer Blume vollkommen glich, einer Blume,<lb/>
von der man keine Frucht zu verlangen braucht,<lb/>
weil die bloße Erinnerung ihrer Blu&#x0364;thezeit ein<lb/>
volles Genu&#x0364;gen und ein Schutzbrief i&#x017F;t fu&#x0364;r alle<lb/>
Zukunft. Der Weg war noch halb feucht und<lb/>
doch fe&#x017F;t, rechts unter uns zog der Fluß, wir<lb/>
&#x017F;ahen &#x017F;eine gla&#x0364;nzende La&#x0364;nge hinauf, jen&#x017F;eits er¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[406/0416] gen zuruͤck und wagte nicht, ein Wort zu ſagen. Da gab Anna dem Schimmel einen kecken Schlag mit der Gerte und ſetzte ihn in Galop, ich that das Gleiche; ein lauer Wind wehte uns entge¬ gen, und als ich auf einmal ſah, daß ſie, ganz geroͤthet die balſamiſche Luft einathmend und waͤhrend ihr Haar wie ein leuchtender Streif wagrecht ſchwebte, langhin flatternd: daß ſie ſo ganz vergnuͤgt vor ſich hin laͤchelte, den Kopf hoch aufgehalten mit dem funkelnden Kroͤnchen, da ſchloß ich mich dicht an ihre Seite, und ſo jagten wir wohl fuͤnf Minuten lang uͤber die einſame Hoͤhe dahin. Aber dieſe fuͤnf Minuten, kurz wie ein Augenblick, ſchienen doch eine Ewig¬ keit von Gluͤck zu ſein, es war ein Stuͤck Daſein, an welchem die Zeit ihr Maß verlor, welches einer Blume vollkommen glich, einer Blume, von der man keine Frucht zu verlangen braucht, weil die bloße Erinnerung ihrer Bluͤthezeit ein volles Genuͤgen und ein Schutzbrief iſt fuͤr alle Zukunft. Der Weg war noch halb feucht und doch feſt, rechts unter uns zog der Fluß, wir ſahen ſeine glaͤnzende Laͤnge hinauf, jenſeits er¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/416
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/416>, abgerufen am 13.05.2024.