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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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hob sich das steile Ufer mit dunklem Walde und
darüber hin sahen wir über viele Höhenzüge weg
im Nordosten ein paar schwäbische Berge, einsame
Pyramiden, in unendlicher Stille und Ferne.
Im Südwesten lagen die Alpen weit herum,
noch tief herunter mit Schnee bedeckt, und über
ihnen lagerte ein wunderschönes mächtiges Wol¬
kengebirge im gleichen Glanze, Licht und Schat¬
ten ganz von gleicher Farbe, wie die Berge, ein
Meer von leuchtendem Weiß und tiefem Blau,
aber in tausend Formen gegossen, von denen eine
die andere überthürmte, Gletscherhäupter und
Wolken durcheinander geworfen. Das Ganze war
eine senkrecht aufgerichtete glänzende und wunder¬
bare Wildniß, gewaltig und nah an das Gemüth
rückend und doch so lautlos, unbeweglich und
fern. Wir sahen Alles zugleich, ohne daß wir
besonders hinblickten; wie ein unendlicher Kranz
schien sich die weite Welt um uns zu drehen, bis
sie sich verengte, als wir allmälig bergab jagten,
dem Flusse zu. Aber es war uns nur, als ob
wir im Traume in einen geträumten Traum trä¬
ten, als wir auf einer Fähre über den Fluß fuh¬

hob ſich das ſteile Ufer mit dunklem Walde und
daruͤber hin ſahen wir uͤber viele Hoͤhenzuͤge weg
im Nordoſten ein paar ſchwaͤbiſche Berge, einſame
Pyramiden, in unendlicher Stille und Ferne.
Im Suͤdweſten lagen die Alpen weit herum,
noch tief herunter mit Schnee bedeckt, und uͤber
ihnen lagerte ein wunderſchoͤnes maͤchtiges Wol¬
kengebirge im gleichen Glanze, Licht und Schat¬
ten ganz von gleicher Farbe, wie die Berge, ein
Meer von leuchtendem Weiß und tiefem Blau,
aber in tauſend Formen gegoſſen, von denen eine
die andere uͤberthuͤrmte, Gletſcherhaͤupter und
Wolken durcheinander geworfen. Das Ganze war
eine ſenkrecht aufgerichtete glaͤnzende und wunder¬
bare Wildniß, gewaltig und nah an das Gemuͤth
ruͤckend und doch ſo lautlos, unbeweglich und
fern. Wir ſahen Alles zugleich, ohne daß wir
beſonders hinblickten; wie ein unendlicher Kranz
ſchien ſich die weite Welt um uns zu drehen, bis
ſie ſich verengte, als wir allmaͤlig bergab jagten,
dem Fluſſe zu. Aber es war uns nur, als ob
wir im Traume in einen getraͤumten Traum traͤ¬
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[407/0417] hob ſich das ſteile Ufer mit dunklem Walde und daruͤber hin ſahen wir uͤber viele Hoͤhenzuͤge weg im Nordoſten ein paar ſchwaͤbiſche Berge, einſame Pyramiden, in unendlicher Stille und Ferne. Im Suͤdweſten lagen die Alpen weit herum, noch tief herunter mit Schnee bedeckt, und uͤber ihnen lagerte ein wunderſchoͤnes maͤchtiges Wol¬ kengebirge im gleichen Glanze, Licht und Schat¬ ten ganz von gleicher Farbe, wie die Berge, ein Meer von leuchtendem Weiß und tiefem Blau, aber in tauſend Formen gegoſſen, von denen eine die andere uͤberthuͤrmte, Gletſcherhaͤupter und Wolken durcheinander geworfen. Das Ganze war eine ſenkrecht aufgerichtete glaͤnzende und wunder¬ bare Wildniß, gewaltig und nah an das Gemuͤth ruͤckend und doch ſo lautlos, unbeweglich und fern. Wir ſahen Alles zugleich, ohne daß wir beſonders hinblickten; wie ein unendlicher Kranz ſchien ſich die weite Welt um uns zu drehen, bis ſie ſich verengte, als wir allmaͤlig bergab jagten, dem Fluſſe zu. Aber es war uns nur, als ob wir im Traume in einen getraͤumten Traum traͤ¬ ten, als wir auf einer Faͤhre uͤber den Fluß fuh¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/417>, abgerufen am 13.05.2024.