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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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begegnend, und das Braun auf ihren Schwingen
und das Weiß an der inneren Seite wechselten
und blitzten mit dem Flügelschlage und den
Schwenkungen im Sonnenscheine, während wir
unten im Schatten waren. Ich sah dieß Alles
in meinem Glücke, indessen ich den guten Gäu¬
len, welche nach dem Wasser begehrten, die Zäume
abnahm. Anna erblickte ein weißes Blümchen,
ich weiß nicht was für eines, brach es und trat
auf mich zu, es auf meinen Hut zu stecken; ich
sah und hörte jetzt Nichts mehr, als wir uns
zum dritten Male küßten. Zugleich umschlang ich
sie mit den Armen, drückte sie mit Heftigkeit an mich
und fing an, sie mit Küssen zu bedecken. Erst hielt
sie zitternd einen Augenblick still, dann legte sie
ihre Arme um meinen Hals und küßte mich wie¬
der; aber bei dem fünften oder sechsten Kusse
wurde sie todtenbleich und suchte sich loszumachen,
indessen ich ebenfalls eine sonderbare Verwandlung
fühlte. Die Küsse erloschen wie von selbst, es
war mir, als ob ich einen urfremden, wesenlosen
Gegenstand im Arme hielte, wir sahen uns fremd
und erschreckt in's Gesicht, unentschlossen hielt ich

begegnend, und das Braun auf ihren Schwingen
und das Weiß an der inneren Seite wechſelten
und blitzten mit dem Fluͤgelſchlage und den
Schwenkungen im Sonnenſcheine, waͤhrend wir
unten im Schatten waren. Ich ſah dieß Alles
in meinem Gluͤcke, indeſſen ich den guten Gaͤu¬
len, welche nach dem Waſſer begehrten, die Zaͤume
abnahm. Anna erblickte ein weißes Bluͤmchen,
ich weiß nicht was fuͤr eines, brach es und trat
auf mich zu, es auf meinen Hut zu ſtecken; ich
ſah und hoͤrte jetzt Nichts mehr, als wir uns
zum dritten Male kuͤßten. Zugleich umſchlang ich
ſie mit den Armen, druͤckte ſie mit Heftigkeit an mich
und fing an, ſie mit Kuͤſſen zu bedecken. Erſt hielt
ſie zitternd einen Augenblick ſtill, dann legte ſie
ihre Arme um meinen Hals und kuͤßte mich wie¬
der; aber bei dem fuͤnften oder ſechſten Kuſſe
wurde ſie todtenbleich und ſuchte ſich loszumachen,
indeſſen ich ebenfalls eine ſonderbare Verwandlung
fuͤhlte. Die Kuͤſſe erloſchen wie von ſelbſt, es
war mir, als ob ich einen urfremden, weſenloſen
Gegenſtand im Arme hielte, wir ſahen uns fremd
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[411/0421] begegnend, und das Braun auf ihren Schwingen und das Weiß an der inneren Seite wechſelten und blitzten mit dem Fluͤgelſchlage und den Schwenkungen im Sonnenſcheine, waͤhrend wir unten im Schatten waren. Ich ſah dieß Alles in meinem Gluͤcke, indeſſen ich den guten Gaͤu¬ len, welche nach dem Waſſer begehrten, die Zaͤume abnahm. Anna erblickte ein weißes Bluͤmchen, ich weiß nicht was fuͤr eines, brach es und trat auf mich zu, es auf meinen Hut zu ſtecken; ich ſah und hoͤrte jetzt Nichts mehr, als wir uns zum dritten Male kuͤßten. Zugleich umſchlang ich ſie mit den Armen, druͤckte ſie mit Heftigkeit an mich und fing an, ſie mit Kuͤſſen zu bedecken. Erſt hielt ſie zitternd einen Augenblick ſtill, dann legte ſie ihre Arme um meinen Hals und kuͤßte mich wie¬ der; aber bei dem fuͤnften oder ſechſten Kuſſe wurde ſie todtenbleich und ſuchte ſich loszumachen, indeſſen ich ebenfalls eine ſonderbare Verwandlung fuͤhlte. Die Kuͤſſe erloſchen wie von ſelbſt, es war mir, als ob ich einen urfremden, weſenloſen Gegenſtand im Arme hielte, wir ſahen uns fremd und erſchreckt in's Geſicht, unentſchloſſen hielt ich

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/421>, abgerufen am 13.05.2024.