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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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die große Germania selbst zu küssen, und hatte
sich statt dessen in einem der schimmernden Haar¬
netze gefangen, mit welchen sie ihre seltsamen
Söhne zu schmücken pflegen.

Sein täglicher Umgang bestand in zwei Ge¬
nossen, welche, gleich ihm vom äußersten Saume
deutschen Volksthumes herbeigekommen, in ver¬
schiedener und doch ähnlicher Lage sich befanden.
Der Zufall, welcher das Kleeblatt zusammenge¬
führt, schien bald ein nothwendiges Gesetz zu sein,
so sehr gewöhnten sie sich an einander.

Der Erste und Hervorragendste an körperlicher
Größe und Wohlgestalt war Erickson, ein Kind
der nördlichen Gewässer, ein wahrer Riese, wel¬
cher selbst nicht wußte, ob er eigentlich ein Däne
oder ein Deutscher sei, indessen gern deutsch ge¬
sinnt war, wenn er um diesen Preis den großen
Stock der Deutschen, gewissermaßen das Reich
der Mitte, wie er es nannte, als charakterlos
und aus der Art geschlagen tadeln durfte. Er
war ein vollkommener Jäger, ging stets in rauher
Jägertracht und hielt sich häufig auf dem Lande,
im Gebirge auf, um Birkhühner zu schießen, sich

die große Germania ſelbſt zu kuͤſſen, und hatte
ſich ſtatt deſſen in einem der ſchimmernden Haar¬
netze gefangen, mit welchen ſie ihre ſeltſamen
Soͤhne zu ſchmuͤcken pflegen.

Sein taͤglicher Umgang beſtand in zwei Ge¬
noſſen, welche, gleich ihm vom aͤußerſten Saume
deutſchen Volksthumes herbeigekommen, in ver¬
ſchiedener und doch aͤhnlicher Lage ſich befanden.
Der Zufall, welcher das Kleeblatt zuſammenge¬
fuͤhrt, ſchien bald ein nothwendiges Geſetz zu ſein,
ſo ſehr gewoͤhnten ſie ſich an einander.

Der Erſte und Hervorragendſte an koͤrperlicher
Groͤße und Wohlgeſtalt war Erickſon, ein Kind
der noͤrdlichen Gewaͤſſer, ein wahrer Rieſe, wel¬
cher ſelbſt nicht wußte, ob er eigentlich ein Daͤne
oder ein Deutſcher ſei, indeſſen gern deutſch ge¬
ſinnt war, wenn er um dieſen Preis den großen
Stock der Deutſchen, gewiſſermaßen das Reich
der Mitte, wie er es nannte, als charakterlos
und aus der Art geſchlagen tadeln durfte. Er
war ein vollkommener Jaͤger, ging ſtets in rauher
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[176/0186] die große Germania ſelbſt zu kuͤſſen, und hatte ſich ſtatt deſſen in einem der ſchimmernden Haar¬ netze gefangen, mit welchen ſie ihre ſeltſamen Soͤhne zu ſchmuͤcken pflegen. Sein taͤglicher Umgang beſtand in zwei Ge¬ noſſen, welche, gleich ihm vom aͤußerſten Saume deutſchen Volksthumes herbeigekommen, in ver¬ ſchiedener und doch aͤhnlicher Lage ſich befanden. Der Zufall, welcher das Kleeblatt zuſammenge¬ fuͤhrt, ſchien bald ein nothwendiges Geſetz zu ſein, ſo ſehr gewoͤhnten ſie ſich an einander. Der Erſte und Hervorragendſte an koͤrperlicher Groͤße und Wohlgeſtalt war Erickſon, ein Kind der noͤrdlichen Gewaͤſſer, ein wahrer Rieſe, wel¬ cher ſelbſt nicht wußte, ob er eigentlich ein Daͤne oder ein Deutſcher ſei, indeſſen gern deutſch ge¬ ſinnt war, wenn er um dieſen Preis den großen Stock der Deutſchen, gewiſſermaßen das Reich der Mitte, wie er es nannte, als charakterlos und aus der Art geſchlagen tadeln durfte. Er war ein vollkommener Jaͤger, ging ſtets in rauher Jaͤgertracht und hielt ſich haͤufig auf dem Lande, im Gebirge auf, um Birkhuͤhner zu ſchießen, ſich

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/186>, abgerufen am 30.04.2024.