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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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in der Gemsjagd zu versuchen oder sich selbst den
Männern des Gebirges anzuschließen, wenn sie
nach einem seltenen Bären auszogen. Alle Vier¬
teljahr malte er regelmäßig ein Bildchen vom
allerkleinsten Maßstabe, nicht größer, als sein
Handteller, das in einem oder anderthalb Tagen
fertig war. Diese Bildchen verkaufte er jedesmal
ziemlich theuer, und aus dem Erlöse lebte er und
rührte dann keinen Pinsel wieder an, bis die
Baarschaft zu Ende ging. Seine kleinen Werke
enthielten weiter nichts, als ein Sandbord, einige
Zaunpfähle mit Kürbissen oder ein paar magere
Birken mit einem blassen schwindsüchtigen Wölk¬
chen in der Luft. Warum sie den Liebhabern ge¬
fielen und wie er selbst dazu gekommen, sie zu
malen, wußte er nicht zu sagen und Niemand.
Erickson war nicht etwa ein schlechter Maler, dazu
war er zu geistreich; er war gar kein Maler.
Das wußte er selbst am besten, und aus humori¬
stischer Verzweiflung verhüllte er die Nüchternheit
und Dürre seiner Erfindungen und seine gänzliche
Unproduktivität mit so verzwickten zierlichen Pin¬
selstrichen, geistreichen Schwänzchen und Schnör¬

III. 12

in der Gemsjagd zu verſuchen oder ſich ſelbſt den
Maͤnnern des Gebirges anzuſchließen, wenn ſie
nach einem ſeltenen Baͤren auszogen. Alle Vier¬
teljahr malte er regelmaͤßig ein Bildchen vom
allerkleinſten Maßſtabe, nicht groͤßer, als ſein
Handteller, das in einem oder anderthalb Tagen
fertig war. Dieſe Bildchen verkaufte er jedesmal
ziemlich theuer, und aus dem Erloͤſe lebte er und
ruͤhrte dann keinen Pinſel wieder an, bis die
Baarſchaft zu Ende ging. Seine kleinen Werke
enthielten weiter nichts, als ein Sandbord, einige
Zaunpfaͤhle mit Kuͤrbiſſen oder ein paar magere
Birken mit einem blaſſen ſchwindſuͤchtigen Woͤlk¬
chen in der Luft. Warum ſie den Liebhabern ge¬
fielen und wie er ſelbſt dazu gekommen, ſie zu
malen, wußte er nicht zu ſagen und Niemand.
Erickſon war nicht etwa ein ſchlechter Maler, dazu
war er zu geiſtreich; er war gar kein Maler.
Das wußte er ſelbſt am beſten, und aus humori¬
ſtiſcher Verzweiflung verhuͤllte er die Nuͤchternheit
und Duͤrre ſeiner Erfindungen und ſeine gaͤnzliche
Unproduktivitaͤt mit ſo verzwickten zierlichen Pin¬
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III. 12
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[177/0187] in der Gemsjagd zu verſuchen oder ſich ſelbſt den Maͤnnern des Gebirges anzuſchließen, wenn ſie nach einem ſeltenen Baͤren auszogen. Alle Vier¬ teljahr malte er regelmaͤßig ein Bildchen vom allerkleinſten Maßſtabe, nicht groͤßer, als ſein Handteller, das in einem oder anderthalb Tagen fertig war. Dieſe Bildchen verkaufte er jedesmal ziemlich theuer, und aus dem Erloͤſe lebte er und ruͤhrte dann keinen Pinſel wieder an, bis die Baarſchaft zu Ende ging. Seine kleinen Werke enthielten weiter nichts, als ein Sandbord, einige Zaunpfaͤhle mit Kuͤrbiſſen oder ein paar magere Birken mit einem blaſſen ſchwindſuͤchtigen Woͤlk¬ chen in der Luft. Warum ſie den Liebhabern ge¬ fielen und wie er ſelbſt dazu gekommen, ſie zu malen, wußte er nicht zu ſagen und Niemand. Erickſon war nicht etwa ein ſchlechter Maler, dazu war er zu geiſtreich; er war gar kein Maler. Das wußte er ſelbſt am beſten, und aus humori¬ ſtiſcher Verzweiflung verhuͤllte er die Nuͤchternheit und Duͤrre ſeiner Erfindungen und ſeine gaͤnzliche Unproduktivitaͤt mit ſo verzwickten zierlichen Pin¬ ſelſtrichen, geiſtreichen Schwaͤnzchen und Schnoͤr¬ III. 12

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/187>, abgerufen am 30.04.2024.