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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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verrieth die Spuren vortrefflicher Künstlerarbeit.
Ueber der reich verzierten Thür ragte ein mor¬
genländisches Marienbild von schwarzem Marmor,
das auf einem stark im Feuer vergoldeten metal¬
lenen Halbmonde stand. So erinnerte das Ganze
an jene kleinen zierlichen Baudenkmäler, welche
einst große Herren für irgend eine Geliebte, oder
berühmte Künstler zu ihrem eigenen Wohnsitze
bauten. Hierher hatte Ferdinand seine Schritte
zu lenken; denn in dem reich gesimsten Fenster sah
man ein dunkles Mädchenhaupt auf schmalem
Körper schwanken, wie eine Mohnblume auf
ihrem Stengel. Die Wittwe eines Malers aus
der vorhergegangenen Periode wohnte in dem
Häuschen, eines Malers, der zu seiner Zeit oft
genannt wurde, von welchem aber nirgends mehr
die Werke zu finden waren; sogar seine seltsame
Wittwe, die einst nur außerordentlich schön ge¬
wesen, hatte das letzte Fetzchen gefärbter Lein¬
wand weggeräumt und dafür das alte Haus in¬
wendig bekleidet mit allen Erzeugnissen der Mo¬
denindustrie und den Spielereien der Bequemlich¬
keit. Nur ihr pomphaftes Bildniß, wie der Ver¬

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verrieth die Spuren vortrefflicher Kuͤnſtlerarbeit.
Ueber der reich verzierten Thuͤr ragte ein mor¬
genlaͤndiſches Marienbild von ſchwarzem Marmor,
das auf einem ſtark im Feuer vergoldeten metal¬
lenen Halbmonde ſtand. So erinnerte das Ganze
an jene kleinen zierlichen Baudenkmaͤler, welche
einſt große Herren fuͤr irgend eine Geliebte, oder
beruͤhmte Kuͤnſtler zu ihrem eigenen Wohnſitze
bauten. Hierher hatte Ferdinand ſeine Schritte
zu lenken; denn in dem reich geſimſten Fenſter ſah
man ein dunkles Maͤdchenhaupt auf ſchmalem
Koͤrper ſchwanken, wie eine Mohnblume auf
ihrem Stengel. Die Wittwe eines Malers aus
der vorhergegangenen Periode wohnte in dem
Haͤuschen, eines Malers, der zu ſeiner Zeit oft
genannt wurde, von welchem aber nirgends mehr
die Werke zu finden waren; ſogar ſeine ſeltſame
Wittwe, die einſt nur außerordentlich ſchoͤn ge¬
weſen, hatte das letzte Fetzchen gefaͤrbter Lein¬
wand weggeraͤumt und dafuͤr das alte Haus in¬
wendig bekleidet mit allen Erzeugniſſen der Mo¬
deninduſtrie und den Spielereien der Bequemlich¬
keit. Nur ihr pomphaftes Bildniß, wie der Ver¬

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[217/0227] verrieth die Spuren vortrefflicher Kuͤnſtlerarbeit. Ueber der reich verzierten Thuͤr ragte ein mor¬ genlaͤndiſches Marienbild von ſchwarzem Marmor, das auf einem ſtark im Feuer vergoldeten metal¬ lenen Halbmonde ſtand. So erinnerte das Ganze an jene kleinen zierlichen Baudenkmaͤler, welche einſt große Herren fuͤr irgend eine Geliebte, oder beruͤhmte Kuͤnſtler zu ihrem eigenen Wohnſitze bauten. Hierher hatte Ferdinand ſeine Schritte zu lenken; denn in dem reich geſimſten Fenſter ſah man ein dunkles Maͤdchenhaupt auf ſchmalem Koͤrper ſchwanken, wie eine Mohnblume auf ihrem Stengel. Die Wittwe eines Malers aus der vorhergegangenen Periode wohnte in dem Haͤuschen, eines Malers, der zu ſeiner Zeit oft genannt wurde, von welchem aber nirgends mehr die Werke zu finden waren; ſogar ſeine ſeltſame Wittwe, die einſt nur außerordentlich ſchoͤn ge¬ weſen, hatte das letzte Fetzchen gefaͤrbter Lein¬ wand weggeraͤumt und dafuͤr das alte Haus in¬ wendig bekleidet mit allen Erzeugniſſen der Mo¬ deninduſtrie und den Spielereien der Bequemlich¬ keit. Nur ihr pomphaftes Bildniß, wie der Ver¬ 14 *

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/227>, abgerufen am 28.04.2024.